von Eric Karstens, 9.9.09
Auf dem Edinburgh International Television Festival fasste der Vorstandsvorsitzende der RTL Group, Gerhard Zeiler, die aktuelle Lage des Privatfernsehens in Europa so zusammen:
“Wir müssen uns mit der Tatsache abfinden, dass die berauschenden Tage des Fernsehens, an die wir uns alle noch gerne erinnern, bis auf weiteres vorbei sind.“
Statt gespannt die morgendlichen Einschaltquoten und sprudelnden Gewinne zu genießen, so Zeiler, sind viele Medien-Manager heute eher mit Schuldendienst und dem schieren Überleben ihrer Unternehmen beschäftigt.
Zeiler gibt dabei nicht dem Internet die Schuld an der Krise des kommerziellen Fernsehens; im Gegenteil führt er an, dass die Menschen im Durchschnitt tatsächlich mehr und nicht weniger Zeit mit dem Fernsehen verbringen würden. Vielmehr müsse die TV-Branche selbst zur Verantwortung gezogen werden. Die Gründung von immer mehr Kanälen habe das Publikum fragmentiert und damit die Werbeerlöse jedes einzelnen Senders ausgetrocknet. Die großen, etablierten TV-Ketten wie die RTL Group, die sich längst daran gewöhnt hatten, den Löwenanteil der Werbeeinnahmen abzubekommen, leiden am stärksten unter dem brancheninternen Wettbewerb. Die Finanzkrise hat dieses strukturelle Problem verschärft, aber nicht ausgelöst. Daher wird auch eine kommende wirtschaftliche Erholung daran kaum etwas ändern.
Zeiler präsentierte auch ein Rezept zur Krisenbewältigung. Seine Vorschläge lauten im Einzelnen:
- Fernsehunternehmen sollten in einer Größenordnung von weiteren 10-20 Prozent radikal Kosten sparen.
- Das Werberecht solle weiter gelockert werden, damit innovative Werbeformen Eingang ins Fernsehen finden, sprich: Werbung, der sich das Publikum nicht durch Vorspulen oder Kanalwechsel entziehen kann.
- Free-TV-Sender sollen ihre attraktivsten Programme in Pay-TV-Kanäle verschieben, um das Publikum direkt – und nicht auf dem Umweg über die Werbung – abzukassieren.
- Die Fernsehunternehmen sollten einen Weg finden, ihre Online-Video-Streaming-Aktivitäten effizienter kommerziell zu nutzen.
All das ist nicht wirklich neu oder originell. Radikale Sparbemühungen sind in der gesamten europäischen Medienlandschaft an der Tagesordnung. Gleichzeitig versucht die Branche weiterhin hartnäckig, Pay-TV und Online-on-Demand-Dienste zu verkaufen. Doch nur wenige (wie Sky in Großbritannien oder Canal+ in Frankreich) haben es bisher vermocht, die Verbraucher wirtschaftlich nachhaltig genug von solchen Angeboten zu überzeugen. Und die Forderung nach grenzenlosen Werbemöglichkeiten ist zwar nicht ganz unberechtigt, aber so alt wie das Privatfernsehen selbst.
Der wirklich interessante Aspekt der Rede Zeilers ist ein anderer. Er peilt nämlich eine weitere Konsolidierung der Branche an. Gemeint ist damit die Übernahme kleiner durch große Unternehmen, und die Fusion von Konkurrenten. Angesichts der bereits recht starken Medienkonzentration in Europa wäre mit einer Zustimmung der Kartell-und Wettbewerbsbehörden zu solchen Plänen eigentlich nicht zu rechnen, doch offensichtlich hofft Zeiler in Zeiten der Wirtschaftskrise auf Nachsicht der Regulierer. Zweifellos würde die Schließung einiger Kanäle den Überlebenden helfen. Außerdem sieht Zeiler die Möglichkeit, eine branchenweite Plattform für nicht-lineares Online-Fernsehen zu entwickeln, “an der sich alle Sender beteiligen.”
Damit wären in der Tat Kosten zu sparen, vor allem böte sich der Branche eine willkommene Gelegenheit, das Internet insgesamt fester in den Griff zu bekommen (man denke nur an das umstrittene Paradigma der Netzneutralität, Maßnahmen gegen Piraterie, die dominante Stellung von Google etc.). Außerdem könnte Online-Werbung effizienter verkauft werden. Nicht zufällig synchronisiert Zeiler seinen Edinburgher Vorstoß mit der Nachricht, dass die vier größten Online-Marketing-Unternehmen hierzulande die Fühler gerade nach just einer solchen Allianz ausstrecken, darunter die RTL-Tochter IP Deutschland und die Bertelsmann-Beteiligung Gruner + Jahr.
Denn fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die Konsolidierung, die sich Zeiler für den Fernseh-Markt wünscht, unter Media-Agenturen längst stattgefunden. Media-Agenturen fungieren als Vermittler zwischen Unternehmen und Werbeträgern; sie bündeln die Nachfrage nach Werbung, um eine bessere Verhandlungsposition zu erreichen, und setzen Kommunikationspläne medienübergreifend um. Die so entstandenen Oligopolisten unter den Media-Agenturen können den Sendern und Website-Betreibern vielfach die Preise diktieren oder hohe Rabatte durchsetzen.
Ob der Markt am besten durch die Bildung eines Gegen-Oligopols gesunden kann, ist freilich eine ganz andere Frage. Wir haben es hier mit einem jener Fälle zu tun, in denen Politik und Regulierungsbehörden Branchen mit hoher Sichtbarkeit – wie die Medien – weitaus stärker an die Kandare nehmen als andere, die unter dem Radar der Öffentlichkeit fliegen. Stattdessen wäre eine mehrdimensionale Bewertung des Medienmarktes angezeigt, die alle Beteiligten am gleichen Standard misst. Die Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien der Europäischen Kommission (GD INFSO) hat kürzlich mit dem Medienpluralismus-Monitor einen Schritt in diese Richtung gemacht.
Andererseits muss ein mehrdimensionaler Ansatz wie dieser auch die inneren Werte des Programms berücksichtigen. Eine Kostenreduktion, führte Zeiler aus, verringere die Programmqualität und damit Zuschauermarktanteile. Dem müsse aber nicht so sein.
Es wurde schon häufig argumentiert, dass die Wirksamkeit von Werbung mit der Qualität der Programme korreliert. Gerade Markenartikel-Werbung spricht gerne die sozialen Aufstiegsambitionen ihrer Zielgruppe an. Aber wenn das Fernsehen, wie der Medienwissenschaftler Norbert Bolz kürzlich feststellte, anti-soziales Verhalten und grobe Umgangsformen als vollkommen normal und akzeptabel darstellt, bleibt der entsprechenden Zuschauerschaft kaum mehr Luft nach oben für gesellschaftlichen Ehrgeiz. In solchem Umfeld kann Markenartikel-Werbung auf Dauer nicht gedeihen. Was bleibt, sind Werbespots für Sportwetten, Sex-Hotlines, Astrologie und Online-Poker. Mit gut investiertem Geld für kompetente Mitarbeiter und inhaltliche Qualität könnte die Branche hingegen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die kulturellen Schwarzseher zum Schweigen bringen und zugleich für die großen Werbekunden wieder attraktiv werden.
Dieser Beitrag erscheint im englischsprachigen Original im Magazin des European Journalism Centre.