#Das Neue und seine Feinde

Who morphed my cheese? Über Leute, die nur Käse machen

von , 14.2.13

Bei Keynotes in großen Unternehmen frage ich öfter, ob das dortige Management nicht auch ab 1998 gezwungen wurde, die berühmte Business-Parabel von Spencer Johnson zu verinnerlichen. Sie heißt: „Who moved my cheese?“ Ich habe so ein Buch damals sehr offensichtlich absichtlich geschenkt bekommen und es gleich voller Zorn in den Shredder geworfen. Ich ahnte immer, dass es dazu verführt, die Dinge zu einfach zu sehen. Es erfüllt aber eine oft erhobene Forderung des Managements: „Keep it simple and stupid.“ – Das tut das Buch auch. „Well done.“

Sie können eine Kurzfassung des Buches in der Wikipedia finden. Ganz kurz hier: Zwei Mäuse leben in einem Labyrinth und fressen darin an einer lieben, immer gewohnten Stelle ihren Käse, von dem es einen ganzen Berg voll gibt. Eines Tages ist der Käse alle. „Alle, alle!“ Da jammern sie und weinen, besonders die eine Maus! Die andere aber zeigt sich couragierter und schlägt vor, im (gefahrvollen) Labyrinth nach neuem Käse zu suchen. Es entspinnt sich ein lehrreicher Dialog zwischen der angstvollen Maus, die nur rumweint, und der unternehmerischen Maus, die Mut hat, aus der „Komfortzone auszubrechen“ und „nach neuen Wegen“ zu suchen. Parallel dazu läuft eine zweite Geschichte zwischen zwei Menschen, die ihre Arbeit verlieren … Na, die Mäuse finden am Ende der Parabel einen neuen Berg Käse, und alles ist gut.

Seitdem alle das Buch gelesen haben, wird allgemein „Verlasst endlich eure Komfortzone, ihr Faulpelze!“ gepredigt. „Sucht neuen Käse! Und wenn ihr welchen gefunden habt, ruft nur kurz an. Fresst ihn nicht, sondern sucht gleich wieder neuen. Keine Komfortzone! Nie mehr!“

Warum hatte ich so ein unangenehmes Gefühl beim Lesen? Weil es dazu führte, dass nun jede Telekom in jedem Land der Welt eine neue Tochter gründete oder kaufte, also mehr Käse auftrieb. Autofirmen bauten viel mehr Modelle. Banken eröffneten Zweigstellen überall, Schlecker-Drogerien verbreiteten sich über Osteuropa, Produktion wurde nach China verlagert, Verlage schluckten die kleineren, Buchhandelsketten breiteten sich aus. Das Käsesuchen wurde zu einer Strategie des übertriebenen „Mehr vom Gleichen“, ach, das ist oft ein normaler Ausbruch der Neurose in der Psychologie … Watzlawick …

Heute lesen wir oft, dass Banken ihre ausländischen Tochtergesellschaften verkaufen, dass der Media-Markt in China aufgibt, dass Telekoms ihre Schulden senken, indem sie ihre Weltpläne begraben. Sie haben eben überall im Weltlabyrinth nach Käse gesucht und gesucht, am besten auf Kredit und mehr, als sie verdauen konnten.

Können wir uns nicht bitte-bitte eine Stufe subtiler dies fragen? „Who morphed my cheese?“

Irgendwie, um in der Parabel zu bleiben, ist der Käse, den man früher machte, nicht mehr das, was die Welt will. Sie will gar keine Papierbücher mehr, sondern eBooks, keine Festnetzleitungen mehr, sondern Glasfaser und LTE, keine Bankfilialen, sondern Finanzportale, keine Handys, sondern Smartphones, keine Desktops, sondern Tablets, keine Kodak-Filme, sondern Digicams, keine komplexe Software, sondern Apps etc. etc.

Ich setze die Mäuseparabel fort: Die Mäuse sausen durch das Labyrinth und suchen Käse. Sie finden und finden und finden keinen Käse mehr und erlahmen deprimiert. Sie fühlen sich gleichzeitig mehr und mehr durch den penetranten Geruch von gebratenem Frühstücksbacon gestört, der überall herumliegt. Den Mäusen wird übel – überall Bacon, kein Cheese. „Bacon stinkt ganz entsetzlich, außerdem ist er warm – pfui, warm! Er ist sehr salzig, man muss hinterher den ganzen Amazon austrinken und hinterher noch mit Heilwasser goorgeln. Ach, wäre hier doch ein Zauberberg von Höhlenkäse, und wir könnten einfach ‚Samsung, Samsung öffne dich!‘ rufen, aber so muss man vor dem Gestank dieses Neuen die Windows schließen.“

Ab und zu bleiben sie schaudernd vor den überhand nehmenden Baconbergen stehen. Da sehen sie einige fremde Mäuse Speck fressen, ohne dass denen übel würde. Die Fremden rufen ihnen zu:

Bacon, das neue Manna der Erde!
Bacon kam über die Welt!
Alles Gute zu Bacon werde,
Genug mit Käse gequält!

„Käse wird siegen! Bacon ist eine Eintagsfliege!“, rufen die Käsemäuse, aber die Speckmäuse erwidern, dass Bacon die Long Term Evolution von Käse sei …

„Who has morphed my cheese?“

Diese Frage wird nicht gestellt. Darunter werden wir alle leiden. Da machen viel zu viele noch Analogkäse, während sich andere schon auf den virtuellen Schinken klopfen.

 
 

Gunter Dueck, Das Neue und seine Feinde · Wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen

Das Neue und seine Feinde

Wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen
Campus Sachbuch Wirtschaft, 282 Seiten, inklusive E-Book, € 24,99

“Die Banken höhnten über die Internetbanken, Kodak über die Digitalkameras, Brockhaus über Wikipedia, der Buchhandel über das E-Book. Und wo stehen wir heute? Unternehmen haben wie alle Systeme ein Immunsystem, das jede neue Idee zunächst wie eine Störung behandelt. Die eigentliche Kunst ist es, sie mit unerschütterlicher unternehmerischer Energie und über alle Hindernisse hinweg trotzdem durchzusetzen, wenn die Zeit reif ist.”

 
Crosspost von Omnisophie

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.