#Bundespräsidentenwahl

Wer wählt Wulff? Wer wählt Gauck? Ein (satirisches?) Gedankenspiel

von , 6.6.10

Chapeau! Einen derart genialen Schachzug hätte man der rot-grünen Opposition gar nicht zugetraut. Einen Kandidaten zu präsentieren, der einer liberal-konservativen Regierung gut zu Gesicht stehen würde und für die Linke (bislang) unwählbar ist.

Gabriel und Trittin dürfen nun hoffen, dass am 30. Juni mehr Konservative und Liberale für Gauck stimmen als Rot-Grüne für Wulff.

Wie bitte? Rot-grün für Wulff? Warum sollten Sozialdemokraten oder Grüne ausgerechnet für Wulff stimmen?

Na, zum Beispiel deshalb, weil sich die linken Flügel von SPD und Grünen mit der Wahl Joachim Gaucks einen Präsidenten einhandeln würden, der rot-rot-grüne Annäherungen nicht gerade erleichtern würde. Weil ein Bundespräsident Gauck (was die Abwägung zwischen den Grundwerten Freiheit und Gleichheit angeht) für Rote und Grüne mindestens so unbequem wäre wie für Schwarze und Gelbe. Weil Joachim Gauck geistig-moralisch fordernder anstrengender wäre als Wulff. Weil mit Gauck und Merkel schon zwei pastoral geprägte ostdeutsche Protestanten an der Spitze des Staates stehen würden – was nicht jeder katholische Bayer oder Rheinländer gutheißen würde (zumal auch die letzten drei Bundespräsidenten – Herzog, Rau und Köhler – evangelisch waren).

Es gibt also Gründe, warum Gauck von denen, die ihn offiziell nominierten, nicht alle Stimmen bekommen könnte. Und für Wulff gilt paradoxerweise das Gleiche.

Eingefleischte Konservative, die in Angela Merkel seit langem den Michail Gorbatschow der CDU erkennen, könnten Wulff ihre Stimme verweigern und Gauck unterstützen – aus Protest gegen Merkel. Viele Granden des schwarz-gelben Lagers könnten einen lebenserfahrenen, von der Geschichte gegerbten, rigoros alten Werten verpflichteten Bundespräsidenten einem smarten, toleranten, der Moderne zugewandten Junge-Unions-Aufsteiger vorziehen.

Das macht die Sache spannend.

Was aber, wenn die cleveren Strategen von SPD und Grünen, FDP und CDU/CSU die Machtpolitikerin Merkel wieder mal unterschätzen? Wenn sie leichtsinnigerweise annehmen, dass die Kanzlerin solche Überlegungen nicht schon mitbedacht hat? Wenn sie am Ende Opfer ihrer eigenen Cleverness werden?

Vielleicht schickt die Kanzlerin den Wulff ja nur deshalb ins Rennen, um ihn gegen Gauck verlieren zu sehen. Dann hätte sie den letzten noch verbliebenen innerparteilichen Konkurrenten kalt gestellt und den staatstragenden Teil der Opposition gleichzeitig eingebunden. Denn Angela Merkel dürfte nach dem Ende der großen Koalition sehr schnell erkannt haben, dass die schwierige und mittlerweile auch sehr teure Aufgabe, den ‚europäischen Reichseinigungsprozess’ gegen den heftigen Widerstand nationalkonservativer Eliten voranzubringen, mit der Westerwelle-FDP allein nicht gestemmt werden kann.

Gauck, der von sich sagt, ein „liberaler, linker Konservativer“ zu sein, ist deshalb mehr als nur ein Zählkandidat. Er könnte der Vorbote sein für eine ganz ganz große Koalition deutscher Krisenmanager.

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