#Euro

Wenn der Euro das Jahrzehnt überleben soll, darf sich Griechenland nicht wiederholen

von , 14.5.10

Von Michael C. Burda und Stefan Gerlach

Die Märkte scheinen den Rettungsplan, der Montagnacht vereinbart wurde, positiv aufzunehmen. Doch noch ist es zu früh, um zu sagen, dass er ein voller Erfolg ist. Möglich, dass Historiker ihn als brillante Entscheidung bewerten werden – denkbar ist aber auch, dass sie ihn als ersten Schritt auf einem rutschigen Weg nach unten sehen. Die EZB kauft nun offenbar Staatsanleihen aus dem Euro-Raum, „um die Tiefe und Liquidität in dysfunktionalen Marktsegmenten“ zu sichern. Gleichzeitig sei sie bereit, „die zusätzliche Liquidität zu absorbieren“. Eine Interpretation dieser nicht ganz klaren Aussage ist, dass die EZB die Anleihen der Staaten kauft, die am Stärksten den Stabilitätspakt gebrochen haben, und die der anderen verkauft. Das mag in der akuten Notlage zu rechtfertigen sein, doch bietet es verheerende Anreize für die Fiskalpolitik. Statt nur den neuen Plan zu diskutieren, sollte man vielleicht einen Schritt zurücktreten und fragen, welche Politikmaßnahmen helfen, eine Wiederholung der Krise zu vermeiden.

Wir sehen drei Lehren:

  1. Eine Rezession kann hochverschuldete Staaten an den Rand des Abgrunds treiben, selbst wenn ihre Verschuldung in guten Zeiten unter Kontrolle erscheint. Der Stabilitätspakt hatte gute Absichten, erwies sich aber als ineffektiv. Die Finanzmärkte haben dies mit einem verblüffenden Tempo bewiesen.
  2. Die No-Bail-out-Regel des Maastricht-Vertrags war nicht glaubwürdig. Griechenland nicht zu stützen, hätte zu einem Staatsbankrott geführt, der eine zweite Welle der Instabilität in Europas Bankensystem ausgelöst hätte. Die Pleite von Lehman, die die größte Rezession seit den 1930er-Jahren provozierte, zeigt nur zugut, dass die plötzliche Zahlungsunfähigkeit eines großen Mitspielers sehr großen Schaden bewirkt. Die No-Bail-out-Klausel steht also in direktem Gegensatz zum Ziel finanzieller Stabilität.
  3. Genau weil die Bail-out-Regel wirkungslos ist, brauchen wir einen besseren Mechanismus, um Fiskaldefizite in Europa zu begrenzen. Der alte Stabilitätspakt scheiterte, weil er fälschlicherweise annahm, dass die Regierungen volle Kontrolle über ihre Einnahmen und Ausgaben ausüben können. Ferner ging man davon aus, dass es jedem auffallen würde, wenn kurzfristige, politische Ziele gegenüber der langfristigen Finanzstabilität den Vorzug erhielten.


Gefährlicher Spielraum der Politik

In der Praxis hängt das Budgetdefizit aber weitgehend vom Konjunkturzyklus ab. Tiefe Rezessionen gehen mit Rückgängen der Steuereinnahmen und Erhöhungen der Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung und das Sozialnetz einher. In Anbetracht dieser Unsicherheiten könnte der Staat problemlos politisch motivierte Ausgaben verbergen. Darüber hinaus wird es schwierig, dem Stabilitätspakt Nachdruck zu verschaffen, wenn Politiker – zu Recht – argumentieren, dass Defizite vor allem auf Entwicklungen außerhalb ihrer Kontrolle zurückzuführen sind, insbesondere da der Spielraum für kreatives Buchhalten und zwielichtige Finanzaktionen, welche die gemeldeten Defizite reduzieren, groß ist.

Das zentrale Problem des alten Stabilitätspakts ist, dass er eine willkürliche, und daher unglaubwürdige Linie zieht. Eine Regierung, die für 3,2 Prozent Haushaltsdefizit verantwortlich ist, anders zu behandeln als eine mit 2,8 Prozent, erscheint unsinnig und ist politisch kaum durchzusetzen. Regierungen, die unter der magischen Grenze bleiben, wissen doch ganz genau, dass diese schnell übersprungen werden kann, wenn die Konjunktur schwächelt. Daher war es immer schwierig, politische Unterstützung für die Anwendung der Regeln zu finden.

Die Eckpfeiler eines neuen Pakts

Um effektiver zu werden und das Vertrauen wiederzugewinnen, muss ein neuer Stabilitätspakt mehr Transparenz erzeugen. Das beinhaltet eine Überwachung der nationalen Haushalte durch Experten, die nicht aus der Politik stammen dürfen. Genau das aber haben Deutschland, Frankreich und eine Reihe anderer Staaten abgelehnt, weil sie damit einen Verlust an Souveränität befürchteten. Aber genau darum geht es: Die Möglichkeit, dass eine externe Instanz die Haushaltspolitik unter die Lupe nimmt, ist ein exzellenter Ansporn, das Haus in Ordnung zu halten. Wir stellen uns eine Reihe von Schwellenwerten vor, die schon bei Budgetdefiziten unter drei Prozent Warnsignale auslösen.

Wie eine Kette von Warnleuchten würde jeder Auslöser schärfere Transparenzanforderungen automatisch nach sich ziehen. Zum Beispiel müsste ein Land mit einem Defizit von weniger als einem Prozentpunkt des BIP detaillierte Haushaltsdaten an die EU-Kommission senden. Steigt der Anteil auf zwei Prozent, müsste es Pläne für eine finanzpolitische Konsolidierung unterbreiten. Erreicht das Defizit drei Prozent, würde die EU-Kommission Inspekteure vor Ort entsenden, die Haushaltsdaten in Echtzeit überwachen. So gibt es genügend Warnsignale, noch bevor die fiskalpolitische Überwachung im Stabilitätspakt greift.

Um dieses Regime zu implementieren, müsste man eine unabhängige Kommission von europäischen Experten im Bereich der Fiskalpolitik einsetzen – Rechtsexperten, ehemalige Finanzminister, Zentralbanker und Ökonomen. Diese politisch unabhängige Expertengruppe würde die Rechtfertigungen für Defizite prüfen und Konsolidierungsmaßnahmen öffentlich bewerten. Sie muss klein und handlungsfähig sein, aber auch einen breiten Konsens im europäischen Politikspektrum vertreten. Mitglieder wie Mario Monti, Hans-Werner Sinn, Lucas Papademos, Peer Steinbrück, Charles Wyplosz und Paul de Grauwe würde zu einem guten Start beitragen.

Aber um Defizite zu verringern, muss das System auch Biss haben. Der Vorschlag, Defizite direkt zu besteuern, ist wenig glaubwürdig. Eine Steuer auf die Finanzierung von Schulden über 60 Prozent des BIP wäre sinnvoller. Wie kürzlich von Guido Westerwelle vorgeschlagen, könnte man EU-Transfers oder Agrarsubventionen zurückhalten oder einen Aufschlag auf die Mehrwertsteuer erheben: So würde Druck auf die Politiker ausgeübt, längst bevor eine Krise ausbricht. Sie müssten die Wahrheit sagen und ihr Haus in Ordnung halten.

Im Fall Griechenlands hat der Stabilitätspakt offenkundig massiv versagt. Hätten nationale und EU-Politiker ihre Sorgfaltspflicht im Jahr 2000 richtig ausgeübt, hätten wir die gegenwärtigen Probleme nicht. Wenn der Euro das laufende Jahrzehnt überleben soll, dann darf der Fall Griechenland sich nicht wiederholen.

Crosspost von Ökonomenstimme.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.