#EU

Wegdefinieren, was ist: Wie die EU den Diebstahl von Liedern, Filmen und Texten fördert

von , 24.2.09


Die Firmen Google und Wikio S.A. sind Suchmaschinen, die uns Zugang zu Informationen verschaffen. Die Firmen RapidShare und ThePirateBay sind Tauschbörsen, die uns Zugang zu Informationen verschaffen. Doch weder Suchmaschinen noch Tauschbörsen verstehen sich als Medien, die uns Informationen präsentieren. Und genau das ist das Problem.

Wikio z.B. ist nur „ein Dienst der Informationsgesellschaft im Sinne der europäischen Richtlinie 2000/31/EC über den elektronischen Geschäftsverkehr.“ Diese Richtlinie war ursprünglich dazu gedacht, einen Beitrag zum einwandfreien Funktionieren des Binnenmarktes zu leisten, indem sie „den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten“ sicherstellt.

Was aber sind “Dienste der Informationsgesellschaft”?

Auch das wurde von den fleißigen EU-Beamten akribisch festgelegt. „Dienste im Sinn von Art. 1, Nr. 2 der Richtlinie 98/34/EG in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG sind Dienstleistungen, die gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbracht werden.“

Entscheidend an dieser (posttechnischen) Definition ist, dass sich die Dienstleistung auf die reine Durchleitung bezieht. Das heißt, den Durchleitern ist es völlig egal, welche Inhalte sie durchleiten. Der Telekom ist es ja auch egal, ob ein Anrufer seine Großmutter beleidigt oder etwas Nettes zu ihr sagt.

In den EU-Richtlinien heißt es weiter: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Fall eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der darin besteht, von einem Nutzer eingegebene Informationen in einem Kommunikationsnetz zu übermitteln oder Zugang zu einem Kommunikationsnetz zu vermitteln, der Diensteanbieter nicht für die übermittelten Informationen verantwortlich ist, sofern er a) die Übermittlung nicht veranlasst, b) den Adressaten der übermittelten Informationen nicht auswählt und c) die übermittelten Informationen nicht auswählt oder verändert.“ Und das tut er ja nicht.

Die gleiche Unverantwortlichkeit gilt für die Speicherung der Daten und für ihre rechtliche Kontrolle. „Die Mitgliedstaaten“, heißt es in der EU-Richtlinie, „stellen sicher, dass im Fall eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht, der Diensteanbieter nicht für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen verantwortlich ist, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind: a) Der Anbieter hat keine tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information, und, in Bezug auf Schadenersatzansprüche, ist er sich auch keiner Tatsachen oder Umstände bewusst, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird, oder b) der Anbieter wird, sobald er diese Kenntnis oder dieses Bewusstsein erlangt, unverzüglich tätig, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren… Die Mitgliedstaaten erlegen Anbietern von Diensten im Sinne der Artikel 12, 13 und 14 keine allgemeine Verpflichtung auf, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.“

Das heißt, wenn ein Diensteanbieter nicht extra aufgefordert wird, eine Straftat zu vereiteln, darf er sie zulassen. All die Leute, die urheberrechtlich geschützte Inhalte (Musik, Fotos, Filme, Texte) illegal auf Plattformen hochladen, damit sie von anderen Leuten wieder herunter geladen werden können, bleiben unbehelligt, weil der Diensteanbieter sich dumm stellen darf: Wir wissen doch gar nicht, was in den verschlüsselten Päckchen drin ist, sagen die Diensteanbieter mit Unschuldsmiene, wir gehen davon aus, dass es sich nur um private Fotoalben handelt. Dass in Wirklichkeit Spielfilme und Musikstücke in den Päckchen sind, für die der Uploader keine Rechte besitzt, können wir doch nicht ahnen! Mit dieser „Ich bin ein bisschen doof-Haltung“ ziehen sich die Internet-Plattformen seit Jahren aus der Affäre.

So behaupten die Angeklagten im schwedischen Pirate-Bay-Prozess, sie verletzten das Urheberrecht nicht, weil sie die urheberrechtlich geschützten Werke nicht direkt zur Verfügung stellen. Die Website „The Pirate Bay“ zeige den Nutzern nur einen technischen Weg zu den Inhalten, tue also nichts anderes als Google.

Obwohl die schwedischen Piraten das Urheberrecht durch die Bereitstellung der Technik für den Raubkopien-Tausch massiv verletzen (also Beihilfe leisten), waschen sie ihre Hände in Unschuld. Sie schieben die Verantwortung auf die Nutzer, die sich die Inhalte aus der blütenweißreinen Piratenbucht beschaffen.

Ähnlich sieht es beim Filehoster RapidShare aus. Diese (wie die Piratenbucht) zu den beliebtesten Webseiten der Welt gehörende „Tauschbörse“ lässt per negativer Feststellungsklage gerichtlich klären, ob sie verpflichtet ist, alles zu kontrollieren, was die Anbieter auf die Server hochladen. Mit dieser cleveren Klage gegen die eigene Tätigkeit („Wir sagen Nein zum ‘Kontrollnet’“), sichert sich das Unternehmen Zeit, die gängige Praxis bis zur letztinstanzlichen Entscheidung fortsetzen zu können.

Die Richter wissen nämlich nicht so recht, was sie (national) tun sollen. Zwar stellte das Oberlandesgericht Köln im September 2007 fest, dass RapidShare urheberrechtlich geschützte Werke vom Server entfernen muss, sobald das Unternehmen von konkreten Rechtsverletzungen Kenntnis erlangt (siehe EU-Richtlinie); allerdings wurde auch bestätigt, dass der Filehoster keine umfassende Kontrollpflicht hat, da dies „den zumutbaren Aufwand“ übersteigt. RapidShare muss deshalb weiterhin nur auf Anfrage tätig werden.

Zwar verpflichtete das Düsseldorfer Landgericht Rapidshare im Januar 2008, die abgelegten Inhalte zu kontrollieren und “auch solche Maßnahmen zu ergreifen, welche die Gefahr beinhalten, dass ihr Geschäftsmodell deutlich unattraktiver wird oder sogar vollständig eingestellt werden muss”, aber RapidShare konterte mit dem „Argument“, dass eine lückenlose Kontrolle verschlüsselter Datenpäckchen technisch nicht durchführbar sei.

Im Oktober 2008 hieß es, RapidShare werde die hochgeladenen Dateien künftig doch zur Gänze auf urheberrechtlich geschützte Inhalte kontrollieren. Man wolle den vom Oberlandesgericht Hamburg aufgestellten Forderungen nachkommen und die so genannte Störerhaftung akzeptieren („Wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes beiträgt, der kann grundsätzlich als Störer für eine Schutzrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden“). Wie die Düsseldorfer, so hielten auch die Hamburger Richter nicht nur Stichproben, sondern eine einschränkungslose Prüfungspflicht für erforderlich. Darunter falle auch das Entpacken und Analysieren von hochgeladenen Dateien; der Upload passwortgeschützter Dateien sei unter Umständen vollständig zu unterbinden.

Doch RapidShare dementierte die Nachricht: Man sei ein Diensteanbieter, kein Massenmedium. Also nicht verantwortlich. Und so betreibt RapidShare sein Geschäftsmodell unbehelligt weiter… wie die coolen Jungs von PirateBay (die guten Gewissens behaupten, sie hätten mit der ganzen Sache nichts zu tun).

Da die EU ihre (veralteten) Regelungen nach dem Muster des Telefonierens getroffen hat (und nicht nach dem Muster der neuen Massenindividualmedien), kann der urheberrechtsfeindliche Zustand noch lange dauern. Obwohl alle wissen, dass Suchmaschinen über die reine Durchleitung hinausgewachsen sind und nicht mehr nur aus Programmen zur Recherche von Dokumenten bestehen, werden sie weiter wie neutrale Pipelines (wie unschuldige Diensteanbieter) behandelt. Auch die Tauschbörsen nehmen die bequeme Unschulds-Definition gern für sich in Anspruch. Dabei sind sie – wie Suchmaschinen – längst zu Großveranstaltern aufgestiegen, die Bewegtbilder „ausstrahlen“, Texte „herausgeben“, Musik „spielen“ und Werbung „verteilen“.

Suchmaschinen leiten nicht durch, sie veröffentlichen.

Wegen dieser Qualitätsveränderung hat das deutsche Telemediengesetz im März 2007 das alte Teledienstegesetz abgelöst – allerdings ohne die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Reformiert wurde die formale Zuständigkeit von Bund und Ländern, das alte EU-„Dienste“-Recht blieb inhaltlich weitgehend erhalten.

Fazit: Auf europäischer Ebene muss neu definiert werden, wer und was ein Diensteanbieter ist, und wer als (Medien-)Programm-Veranstalter gilt. Suchmaschinen und Tauschbörsen müssen künftig wie Medien behandelt werden. Ihre Pflichten hinsichtlich des Urheberschutzes und der Verantwortung für die Inhalte sind neu festzulegen. Die jetzige Verwischung der Abgrenzung zwischen „Diensten“ und „Medien“ führt zu immer größerer Verwirrung bei allen Beteiligten (und zu einem Rattenschwanz an widersprüchlichen und wirkungslosen lokalen Gerichtsentscheiden).

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