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Warum wir von der Türkei nicht zu viel erwarten sollten

von , 21.6.13

Letzten Montag hatte ich zweifach Glück: Ich durfte das Parlamentarische Sommerfest der Hamburgischen Bürgerschaft besuchen, und dort hatte ich die Gelegenheit, mit zwei türkischstämmigen Politikern über die aktuelle Situation in der Türkei zu sprechen.

Was neben allen tagesaktuellen Aspekten wie gefakten Bildern und Twitter-Accounts sowie verschiedenen Perspektiven und Anhängern nicht zu vergessen ist:
 

Jede Revolution ist eine Welle mit Höhen und Tiefen

Die Bewegung ringt den Aufständischen viel Kraft ab. Der Aufwand des Widerstands ist auf Dauer nicht auf gleichem Niveau durchzuhalten. Es wird Rückschläge geben. Eventuell dauern die Phasen zwischen Erfolgen der Umwälzung und der Stillstand dazwischen Monate oder gar Jahre. Das bedeutet:

 

Es wird Zeit brauchen, bis die Umwälzung ihr Ziel erreicht

Der Geist ist zwar aus der Flasche und dorthin geht er nicht wieder zurück. Doch die Veränderung eines politischen Systems, zudem eines, das auch die Medien und Umfragewerte kontrolliert, lässt sich nicht mit einigen Demonstrationen oder innerhalb einiger Wochen erreichen. Zumal:

 

Die Bewegung wird in Lager zerfallen

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der gemeinsame Gegner die oppositionellen Lager mit ihren im Detail unterschiedlichen Interessen nicht dauerhaft einen wird. Wie in anderen umwälzenden Bewegungen auch, werden die Parteien sich wieder voneinander abgrenzen, sobald sie Gestaltungsspielraum erlangen.

Was das für das “Ziel” der Revolution bedeutet – und: was ist überhaupt das Ziel? – werden wir erst im Laufe der Zeit sehen.

Wir wissen aus der jüngsten Geschichte Ägyptens wie aus der Entwicklung der “Netzgemeinde”, die letztendlich auch für Demokratisierungsprozesse eintritt, dass eine große Veränderung diese drei Elemente zwangsläufig mit sich bringt. Und dass sie daher Zeit braucht.

In der Türkei gibt es jetzt einen Anfang – das ist großartig. Dieser Anfang verdient unsere volle Unterstützung und Anerkennung.

Geben wir dem Land die Zeit, die es braucht, um sich zu finden, und stehen wir ihm auch dann bei, wenn es sich im Laufe eines langen Prozesses einmal ausruhen möchte.
 
Crosspost von Zentralprojektion

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