#Geschäftsmodell

Warum sind Leser von Zeitungen sechs Mal so wertvoll wie Leser im Netz?

von , 12.11.09

Die meisten Artikel und Anzeigen in Zeitungen mit einer Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren werden selten von mehr als 10.000 Menschen gelesen. In Zeitschriften mit vergleichbarer Auflage dürften die Lese-Quoten sogar noch geringer sein. Anzeigen und Artikel werden überblättert und nur in Ausnahmefällen von einer Mehrheit der Zeitungskäufer zur Kenntnis genommen. Wer Anzeigen in gedruckten Zeitungen schaltet, verfährt also nach dem Gießkannenprinzip: Irgendein Wasserstrahl aus der Gießkanne wird sich schon zum erhofften Ziel verirren. Trotzdem zahlen die Firmen für diese ineffektive Methode der Kundengewinnung Phantasiepreise. Der Grund: Es gab bislang keine andere Möglichkeit, auf schnelle und einfache Weise an ein großes Publikum zu gelangen.

Jetzt gibt es diese Möglichkeit. Seit 10, 15 Jahren saugen sich die Pipelines des Internet mit Inhalten voll, und immer mehr Blogs und Medien versuchen, online zu existieren. Eine Möglichkeit, solche Angebote zu finanzieren, wäre Werbung. Aber die Print-Verlage, die ebenfalls Ableger im Netz betreiben, akzeptieren dort Anzeigenpreise, die einem die Schuhe ausziehen. Das verdirbt die Preise für alle.

Machen wir einen Vergleich: Für eine halbseitige Vierfarbanzeige in einer gedruckten Wochenzeitung mit einer verkauften Auflage von 500.000 Exemplaren zahlen Anzeigenkunden hierzulande 30.000 Euro. Die Anzeige erscheint z.B. im dritten Buch der Zeitung, sie ist eine unter vielen, und fleißige Copytester erforschen, wie und von wem sie wahrgenommen wird. Da die Zeitung vier Mal im Monat herauskommt, wird die Anzeige an zwei Millionen Zeitungskäufer geliefert und laut (sehr schmeichelhafter) Reichweitenerhebung von acht Millionen Lesern „gelesen“. Also zahlt unser Anzeigenkunde exakt 15 Euro, um 1000 Leser dieser Zeitung zu erreichen (das ist der berühmte Tausend-Kontakt-Preis – TKP – der in der Werbung eine entscheidende Rolle spielt). Für vier Anzeigen im Monat zahlt unser Anzeigenkunde (ohne Mengenrabatt) 120.000 Euro.

Im Internet wäre seine Anzeige unter Umständen prominenter platziert, so dass jeder, der die Seite anklickt, tatsächlich mit der Anzeige konfrontiert wird (es sei denn, ein so genannter Adblocker würde sie unterdrücken).

Den acht Millionen Lesern der Zeitung entsprechen acht Millionen Page Impressions im Netz. Da der TKP für solche ‚mittelgroßen’ Onlineangebote (das sind Seiten, die zwischen einer und 100 Millionen PIs pro Monat erzielen) bei 2,50 Euro liegt, kostet eine vergleichbare Internetanzeige 8.000 TKP x 2,5 Euro = 20.000 Euro. Das ist ein Sechstel des Printpreises (wobei anzumerken ist, dass der TKP bei Webseiten, die weniger als eine Million PIs erzielen, sogar auf 50 Cent und darunter sinken kann. Solche Seiten kommen dann auf Werbeumsätze von 150 oder 200 Euro im Monat!).

Wie kann es zu einem derart gewaltigen Preisunterschied bei Anzeigen kommen? Sind die Leser der gedruckten Zeitung tatsächlich 6 Mal so wertvoll wie die Nutzer des Online-Angebots? Sind sie 6 Mal so kaufkräftig und konsumfreudig? Ist der extreme Unterschied im Anzeigenpreis also gerechtfertigt? Oder gibt es andere Gründe, warum die unverschämt niedrigen Online-Preise einfach so akzeptiert werden?

Möglicherweise finden die großen Verlage diese Dumpingpreise – trotz des öffentlichen Gejammers – ja ganz gut. Vielleicht schätzen sie die „lousy pennies“, weil mit solchen Kleckerbeträgen eine vielfältige und unabhängige Medien-Konkurrenz gar nicht entstehen kann. Die Dumpingpreise im Internet sind die sichere Gewähr, dass die millionenschweren Werbeetats auch weiter in die teuren Printprodukte fließen. Würden Anzeigenkunden plötzlich in Scharen ins Netz abwandern, könnten die Change-Manager in den Pressehäusern den Medien-Wandel nicht mehr steuern.

Möglicherweise wissen viele Unternehmen nicht einmal, wie günstig und zielgenau sie ihre Kunden im Netz erreichen können. Sie wissen es nicht, weil die Werbeagenturen – die zwischen den großen Werbe-Etats der Unternehmen und den Verlagen vermitteln – dieses Wissen nur ungern an die große Glocke hängen. Sie würden sich ja selbst schaden. Denn in lauter kleine Netz-Häppchen zerlegte Werbebudgets würden nicht den Gewinn, sondern nur die Arbeit vermehren – und die eleganten Mad Men in ständig klamme, hemdsärmelige TKP-Online-Vermarkter verwandeln.

Das weitgehende Monopol der Printverlage und der Werbeagenturen bei der Verteilung des Werbe-Kuchens kann aber nur aufrechterhalten werden, so lange das Internet keine begehrte Adresse ist. Das heißt: so lange die meist älteren, kulturkonservativen Firmenvorstände so netzfremd bleiben wie heute. Und wie kann man ihre Netzfremdheit am besten konservieren? Indem die gedruckten Leitmedien das Internet weiter als minderwertig und Hort des Bösen beschreiben: Es liegt ja im ureigenen Interesse.

Würden die Werbekunden aber begreifen, dass 30.000 Euro für eine halbe Printseite zu viel, und 2,50 Euro für tausend Klicks zu wenig sind, gäbe es schon morgen ein funktionierendes Geschäftsmodell im Netz.

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