#Bundestagswahl

Wahlkampf 2009: kein Wettbewerb der Ideen, sondern Wortgeplänkel, keine Sprachkunst, sondern Sprüche

von , 19.8.09

Wir haben die Kraft, mit mehr netto vom brutto und dem sofortigen Abzug aus Afghanistan ein gentechnikfreies Deutschland ohne Atomkraftwerke zu schaffen. Und deshalb wähle ich SPD. Ungefähr so lässt sich die Essenz der Parteienwerbung, mit der wir in diesen Tagen behelligt werden, zusammenfassen. Es ist schon hanebüchen: Da durchläuft unser Land die schwerste Wirtschaftkrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber den Strategen in den Parteizentralen fällt nichts Gehaltvolleres ein als altbekannte, vollkommen sinnentleerte Phrasen.

Wahlen sind nach unserem Verständnis die Festspiele der Demokratie. Sie sind das vielleicht wichtigste Mittel, um dem parlamentarischen System in regelmäßigen Abständen neue Legitimation zu verleihen. Zugleich dienen sie dazu, uns Bürger in die Pflicht zu nehmen: Wir stehen in der Pflicht, uns mit politischen Angeboten auseinanderzusetzen, um nach Abwägung der Argumente eine Wahl zu treffen – eine Wahl, mit der wir Macht auf Zeit delegieren. Soviel zur Theorie. Realiter, in der drückenden Hitze des Sommers 2009, erleben wir keinen Bühnenzauber, sondern Banales; keinen Wettbewerb der Ideen, sondern Wortgeplänkel; keine Sprachkunst, sondern Sprüche. Liebe Politiker, wir sind gerne bereit, die Politik ernst zu nehmen und unserer Pflichten nachzukommen. Aber könntet Ihr uns, Eure Wählerinnen und Wähler, bitte auch einmal ernst nehmen?

Der Exportweltmeister – haarscharf am Abgrund
Zugestanden: In der Mediendemokratie ist es auch Aufgabe der Politik, komplexe Zusammenhänge in klare, verständliche Botschaften zu pressen. Soviel Kommunikation muss sein. Aber Kommunikation ersetzt Konzepte nicht. Zumal in einer Zeit, wo erkennbar wird, dass eine Gesellschaft, die sich fast ausschließlich vom Export ernährt, bei größeren weltwirtschaftlichen Turbulenzen rasch am Abgrund steht. Der Economist hat es kürzlich auf den Punkt gebracht: Kein Land weltweit leidet unter der Krise so stark wie Deutschland. Wenn wir jetzt nicht den Umstieg auf eine innovative, hochtechnologiebasierte Dienstleistungswirtschaft vollziehen, dann finden wir uns schon bald im Industriemuseum wieder. In dem jeder seine Rentengarantie – aber kaum noch jemand Arbeit hat.

Zumindest Frank-Walter Steinmeier hat erkannt, dass das so nicht weitergehen kann. Sondern dass wir eine neue Idee von diesem Land, eine Vision für dieses Land benötigen. Deshalb hat er, der Architekt der „Agenda 2010“, seinen „Deutschlandplan“ ausgearbeitet. Von diesem mag man im Detail nun halten, was man will. So teile ich die Auffassung nicht, dass mit der Bürgerversicherung oder einer Börsenumsatzsteuer die nächste Weltkrise verhindert werden kann. Aber dass der Kanzlerkandidat der SPD sich wenigstens die Mühe macht (und damit auch uns selber zwingt), über den Tag hinaus zu denken – das darf durchaus gewürdigt werden.

Ob Opel oder Werften: Alles muss raus
Die bürgerlichen Parteien hat Steinmeier mit seinem Plan (dessen Nähe zum „Green New Deal“ unverkennbar ist) ganz augenscheinlich auf dem linken Fuss erwischt: Während die Liberalen von ihrem Credo nicht abrücken, mit Steuersenkungen werde alles besser, kassieren Merkels Jünger ein „industriepolitisches Konzept“ (PDF) aus dem Hause Guttenberg am Tag nach seinem Erscheinen auf geradezu kaltblütige Weise („spiegelt nicht den Willen der Union wider“). Für Grundsatzdebatten bleibt ohnehin wenig Zeit, wo man doch gerade damit beschäftigt ist, gleich mehrere deutsche Unternehmen an russische Magnaten zu verkaufen. Derzeit stehen Opel, die Wadan-Werften und Quimonda auf der „Alles-muss-raus“-Liste.

Wir wollen Ideen, Konzepte und Zukunftsentwürfe
So bleibt das seltsame Gefühl, dass die Parteien am liebsten gar keinen, oder allenfalls einen „chirurgischen“ Wahlkampf führen wollen – möglichst schnell, möglichst kurz und unter Vermeidung von Kollateralschäden. Der Wähler wird in Watte gepackt und soll einfach nur sein Kreuz an der richtigen Stelle machen. In den seligen Zeiten des immerwährenden Wachstums mag diese Taktik noch aufgegangen sein. Heute aber, liebe Politikerinnen und Politiker, lassen wir Euch diesen Nicht-Wahlkampf, dieses Nicht-Aufrufen von Themen einfach nicht mehr durchgehen.

Heute wollen wir Ideen, Konzepte und Zukunftsentwürfe sehen. Wir hätten gerne eine Antwort auf die Frage, wie es denn nun weitergeht nach einem Jahr mit sechs Prozent BIP-Rückgang. Wie Deutschland sich künftig positioniert gegenüber China, Indien oder Brasilien – denn diese wachsen schon wieder. Und was geschehen muss, damit aus 4 Millionen Arbeitslosen nicht plötzlich sechs werden. Die „Kraft“ in diesem Land haben ganz offenkundig nicht die Parteien, sondern die Menschen, die hier leben. Wenn ihnen nicht bald mehr Substanz geboten wird, dann kann der 27. September noch heiter werden.

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