#Bildung

Wachstum durch Umverteilung

von , 27.5.15

Umverteilung soll gerecht und gut für das Wachstum sein?

Das klingt erst einmal nach einer provokanten These. Schließlich, so könnte man argumentieren, könne individuelle Besteuerung ja auch als Diebstahl von selbst angeeigneten Einkommen oder Vermögen angesehen werden. Umverteilung von oben nach unten wäre in diesem Sinne alles andere als der „Leistungsgerechtigkeit“ zuträglich. Verteilungsgerechtigkeit schaffen zu wollen, sei daher ganz und gar das falsche Ziel, weil sie dazu führe, dass Leistungsträger dabei eingeschränkt werden, die monetären Früchte ihrer eigenen Arbeit für sich selbst einzustreichen. So führe monetäre Umverteilung auch dazu, dass die Motivation zur Leistung leide. Menschen würden sich weniger anstrengen und das würde dann letztlich gesamtwirtschaftlich zu weniger Wachstum führen. Nur dann, wenn die Aussicht auf Wohlstandsgewinn durch eigene Anstrengung vorhanden sei, würde dies die Anreize setzen, Risiken einzugehen und Innovationen zu generieren, die Wohlstand mehren und Arbeitsplätze schaffen.

Es gibt jedoch über reine monetäre Umverteilung hinaus auch eine Verteilung von Chancen. So fördert eine hohe soziale Durchlässigkeit beispielsweise die Motivation sich anzustrengen. Das deutsche Nachkriegswirtschaftswunder ist das beste Beispiel. Die übergroße Mehrheit fing quasi nach dem Krieg bei Null an. Und so gut wie alle wollten etwas schaffen und sahen dazu ihre realen Chancen. Es gab nämlich kaum Marktverzerrungen. Damals war eine soziale Abschottung schlicht kaum möglich, weil die sozioökonomische Ungleichheit sehr gering war. Nur sehr wenige hatten so die Möglichkeit qua Herkunft ihre Lage auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Heute ist dies anders. Kindern kann teure Nachhilfe bezahlt werden, man kann sie auf teure Schulen oder Universitäten schicken, die ihre Chancen auf ein materiell privilegiertes Leben erhöhen. Bekannt sind auch Jobeinstellungen nach sozialer Exklusivität und Vitamin B.

So ist es nicht immer die Leistung, die darüber entscheidet, ob jemand einen bestimmten Job erhält, sondern häufig seine Herkunft. Empirisch bestätigt dies eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Dieser Studie nach sind die Chancengleichheit und die soziale Mobilität in Deutschland gering. Die DIW-Forscher schreiben, dass 40 Prozent der Ungleichheit im individuellen Arbeitseinkommen durch den Familienhintergrund zu erklären sei. Beim Bildungserfolg liege der Erklärungsbeitrag der Herkunft sogar über 50 Prozent. Umweltfaktoren spielen also offensichtlich eine große Rolle. Die Verwirklichungschancen – um einen Begriff in Anlehnung an den Philosophen Amartya Sen zu benutzen – sind heute sehr unterschiedlich und das bedeutet eine unfaire Verteilung von Chancen.

In der jungen Bundesrepublik gab es zwar ein geringeres Bildungsniveau als heute, aber Chancen waren nicht sehr ungleich verteilt. Und die junge Bundesrepublik erlebte eine große wirtschaftliche Dynamik, wohingegen diese Dynamik heute zurückgeht. Könnte es hier etwa einen Zusammenhang zwischen der Verteilungsgerechtigkeit an Chancen und der wirtschaftlichen Prosperität geben? Ist Wachstum stärker, wenn Chancen in der Gesellschaft nicht sozial ungleich verteilt sind beziehungsweise lähmt weniger Chancengleichheit die wirtschaftliche Dynamik?

Zwar ist das sich momentan abzeichnende Erschlaffen des deutschen Wachstums vor allem darauf zurückzuführen, dass Kaufkraft durch den demographischen Wandel zunehmend wegfällt, während zugleich deutsches Kapital verstärkt im Ausland investiert wird (wo vor allem Asien, Brasilien und andere Schwellenländer mit großen Kapitalrenditen locken). Trotzdem lässt sich auch ein Bezug herstellen zur mangelnden Verteilungsgerechtigkeit. Warum?

Beobachtet etwa einer, dass Arbeit sich für ihn kaum lohnt und mehr Leistung kaum honoriert wird und gleichsam die hohen Arbeitseinkommen, vor allem aber die Kapitaleinkommen immer weiter steigen, dann strengt er sich zumeist auch weniger an. Das ist simple Verhaltensökonomie. Wenn man selbst auf der Stelle tritt, und andere davon eilen, und es kaum Zuversicht gibt, dass sich das ändern könnte, dann kann das auch für inneren Stillstand sorgen. Inneres Feuer reicht nicht durchgehend, um sich zu motivieren, sondern es braucht auch äußere Ziele, wie einen besseren Job, mehr Gehalt oder bessere Arbeitszeitbedingungen. Es bedarf also der sozialen Anerkennung des eigenen Geleisteten – und das bedeutet mehr als ein Schulterklopfen.

Wenn soziale Durchlässigkeit massiv sinkt, verlieren viele Menschen den Glauben an eine faire Chance im Leben. Dieser Eindruck kann bei ganzen Familien dazu führen, dass egal was sie tun, sie doch sowieso immer arm bleiben, wodurch sie auch ihre Kinder nicht dazu ermuntern, sich in der Schule anzustrengen. Ein Gefühl der sozialen Ausgeschlossenheit kann dazu führen, dass man diese Exklusion selbst reproduziert, in dem man sich aufgibt und ein mangelndes Selbstbewusstsein entwickelt. Das führt in einen Teufelskreis, indem man sich entweder der Alimentierung durch den Staat hingibt, oder in seiner Arbeit unproduktiv wird, weil man das Gefühl bekommt, dass man nicht selbst, sondern andere maßgeblich von der eigenen Arbeit profitieren.

Was könnte diesen Teufelskreis unterbrechen und dazu führen, dass wieder eine Dynamik entsteht, damit so gut wie alle daran glauben eine faire Chance im Leben zu haben?

Da wäre erstens die Bildung. Mehrausgaben für Bildung könnten zumindest die Startchancengleichheit ändern. Etwa indem dadurch kleinere Klassen und Ganztagsschulen finanziert werden, wo es für Lehrer möglich wird, individuelle Förderung zu leisten, und somit einen Herkunftsausgleich zu ermöglichen. Nach der Bildungsstudie der OECD „Bildung auf einen Blick 2014“ liegen die Bildungsausgaben in Deutschland weiterhin unter OECD Durchschnitt: „Trotz einer Steigerung der Ausgaben in jüngerer Zeit betrugen in Deutschland 2011 die Gesamtausgaben für Bildungseinrichtungen aus öffentlichen und privaten Quellen zusammengenommen nur 5,1% des BIP und lagen damit deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 6,1% des BIP“, schreibt die OECD. Die Höhe des Anteils der Bildungsausgaben am BIP führt zwar nicht direkt zu mehr Bildungsgerechtigkeit, ist aber doch ein Indikator dafür, was eine Gesellschaft sich Verteilungsgerechtigkeit an Chancen zu kosten bereit ist.

Eine zweite Möglichkeit der Förderung der Verteilungschancengerechtigkeit ist eine Arbeitsmarktpolitik der zweiten und dritten Chance, in dem beispielsweise Kinder mit gebrochenen Schulkarrieren die Förderungsmöglichkeiten bekommen, mit denen sie ihre Chance wahrnehmen können, etwas aus sich zu machen.

An dieser Stelle wird nun häufig gefragt: Wer soll das bezahlen?

Und hier kommt man direkt zur monetären Verantwortung derer, die mehr als genug haben. In diesem Sinne können höhere Steuern auf hohe Arbeitseinkommen und insbesondere auf Kapitaleinkommen der Verteilungsgerechtigkeit an Chancen dienen. Das ist eine andere Interpretation der Verteilungsgerechtigkeit.

Das Problem der bisher zumeist vollzogenen Interpretation der Umverteilung ist, dass man soziale Ungleichheit als solche verringern will. Man will hier die Reichen schlicht einfach nur ärmer machen. Das ist eine „Feel Good-Verteilungsgerechtigkeit“, die falschen Zwecken folgt. Eine linke Robin-Hood-Mentalität, die nur auf Rache aus ist, überzeugt keinen Wohlhabenden und schadet zudem der Bereitschaft der Reichen viel Steuern zu zahlen. Aber nicht nur die linken Millionäre zeigen an, dass die Bereitschaft etwas abzugeben auch von denen begrüßt werden kann, die mehr als genug haben. Sondern es gilt zudem: Wer anerkennt, dass nur der Staat einen Herkunftsausgleich vollziehen kann, und wer will, dass es diesen Herkunftsausgleich gibt, der wird gerne Steuern zahlen. Es braucht die Überzeugung dafür, wofür das eigene Geld verwendet werden soll.

Zweck einer progressiven Besteuerung sollte es primär sein, dass durch sie finanzielle Ressourcen an den Staat gehen, mit dem er einen Herkunftsausgleich vollziehen kann. Es geht um eine monetäre Verantwortung derer, die mehr als genug haben, für eine Arbeitsgesellschaft, in der jeder seine faire Chance erhält. Und wenn dies so vollzogen wird, dann glauben auch die, die wenig haben, mehr daran, dass es fair zu geht und strengen sich auch mehr an, etwas aus sich zu machen, weil sie Gründe dafür haben, dass sich ihre Anstrengung auch lohnt. In diesem Sinne führt mehr Verteilungsgerechtigkeit zu mehr Anreiz sich anzustrengen.

Doch eine reine Erhöhung der Startchancengleichheit durch bessere Bildungsförderung für sozial Benachteiligte ist solange nicht viel Wert, wie die soziale Durchlässigkeit im Erwerbsleben gering ist. Kindern vergleichbare Verwirklichungschancen zu geben ist zentral, allerdings dürfen die Erwachsenen nicht aus dem Blick gelassen werden. Denn: Wenn vielen Leistungsträgern kein beruflicher Aufstieg ermöglicht wird, dann bleibt hier eine Gerechtigkeitslücke. Es bleibt auch ein Wachstumshemmnis, weil sich viele Menschen dann auch weniger anstrengen.

Zwar kann nicht jeder „Leistungsträger“ aufsteigen, da es in einem Wettbewerb um die besten Arbeitsplätze auch dazu kommt, dass man in diesem scheitern kann und dies schlicht deswegen, weil es mehr Bewerber für Führungspositionen gibt als Stellen dafür. Allerdings bleibt es ein Problem für die Gesellschaft, wenn es zumeist immer diejenigen sind, die scheitern, die von unten nach oben aufsteigen wollen. Wenn die begehrtesten und bestbezahlten Jobs in einer Arbeitnehmergesellschaft, die Deutschland ist, überwiegend mit jenen besetzt werden, die schon immer bessere Ausgangsbedingungen hatten, dann ist diese damit verbundene arbeitsweltliche Privilegierung aufgrund von Herkunft eine Gefahr für die soziale Balance in der Arbeitnehmergesellschaft.

Wir brauchen daher letztlich nichts weniger als einen kulturellen Wandel. Die Türen müssen für alle in fairer Weise offen gehalten bleiben. Erst wenn der Eindruck wieder zurückkommt, dass der, der sich anstrengt auch etwas schaffen kann, wird sich der Unmut gegen die heutige sozioökonomische Ungleichheit legen. Wahrscheinlich wird es auch neue wirtschaftliche Aufwärtsdynamik entstehen, weil die Leute bereit sind, härter zu arbeiten, da sie mehr daran glauben, dass es sich für sie auch ökonomisch auszahlen kann.

Solange es demnach nicht zu einer Kulturveränderung und einer neuen Gerechtigkeitspolitik kommt, wird sozioökonomische Ungleichheit als ein Problem angesehen werden, weil man damit auch die Manifestation sozialer Immobilität verbindet.

Und in der Tat: Solange in der Regel gilt, dass wer arm geboren wird, auch arm bleibt, solange ist soziale Ungleichheit kritikwürdig, weil sie dann nämlich mit Privilegierung einhergeht. Privilegierung ist nicht zu akzeptieren – ökonomische Ungleichheit als solche schon. Daran geht im Kapitalismus kein Weg vorbei. Und das wird auch akzeptiert. Die Verteilung des Reichtums braucht zwar ein ordentliches Maß, um akzeptiert zu werden. Etliche sozialpsychologische Studien und Ergebnisse der ökonomischen Glücksforschung verweisen seit Jahren darauf, dass Menschen eine Gesellschaft als gerechter empfinden, in der die ökonomischen Unterschiede nicht exorbitant groß sind. Auch das ist simple Verhaltensökonomie. Aber prinzipiell sind die meisten Menschen bereit, eine gemäßigte Ungleichheit als solche anzuerkennen – wenn sie nicht mit starker sozialer Immobilität verbunden ist.

Deswegen war soziale Ungleichheit auch in Deutschland lange kein Thema, weil vom Wirtschaftswunder nicht nur tendenziell alle profitierten, sondern weil den Meisten klar war, dass jemand, der zu viel Reichtum gekommen war, es sich eher selbst erarbeitet hatte. Und zudem bewiesen viele Unternehmer soziale Verantwortung. Sie wussten oft selbst was es heißt, wenig zu haben, und gaben so auch etwas von ihrem Erfolg zurück – soziale Marktwirtschaft war das und das stärkte Deutschland.

Doch heute, wo die Früchte dieser Leistung schon auf die zweite oder dritte Generation übertragen wurden, die sie somit leistungslos erhielten, und sich dieser Vermögensvorsprung auch noch mit einer sozialen Immobilität und Sozialstaatsabbau verbindet, erzeugt dies bei vielen Frust auf das System. So entstand eine wilde Gerechtigkeitsdebatte, in der die intensive Diskussion von Thomas Pikettys Buch „Capital in the Twenty-First Century“ nur ein Anzeichen unter vielen ist.

Ein erster Schritt zur Lösung dieser offensichtlichen Gerechtigkeitsproblematik, könnte sein, nicht einfach nur eine Umverteilung von Reich zu Arm zu fordern. Denn hohe Steuern auf hohe Einkommen und Kapitaleinkünfte ohne Sinn und Zweck wären das falsche Signal. Vielmehr geht es um die monetäre Verantwortung von Wohlhabenden dafür, dass Chancen besser verteilt, eine ausreichende ökonomische Grundversorgung erreicht und nachhaltiges ökonomisches Wachstum erzielt werden kann.

Die Chancenschaffung der Sozialpolitik ist dabei ihr zentraler Kern. Die Sozialpolitik hat zwar etwa auch die Aufgabe der Alimentierung bei Arbeitslosigkeit, um den Arbeitslosen so eine ökonomische Grundversorgung zu garantieren. Aber diese Nachsorge ist nur ein Teil der Sozialpolitik – und nicht ihr zentralster Teil. Viel entscheidender ist eine Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, die niemanden zurücklassen will. Das Leitbild ist hier das eines „vorsorgenden Sozialstaates“. Sozialpolitik ist dabei zentral Qualifizierungs- und Befähigungspolitik. Und dieses Fördern kostet viel Geld, wenn es sozial inklusiv sein soll.

Dafür braucht es monetäre Umverteilung und diese wird sodann auch der Leistungsgerechtigkeit förderlich sein. Diese Umverteilung wird überdies die Schere zwischen Arm und Reich verringern. Und das kann auch zur besseren Akzeptanz von sozioökonomischen Unterschieden beitragen – was im Interesse Wohlhabender sein sollte. Gerade in einer Arbeitsgesellschaft, in der der Großteil der Menschen Arbeitnehmer und nicht Arbeitgeber ist, braucht es eine Kultur der Chance für jeden. Um diese Kultur dann finanzierbar zu machen, braucht es mehr Abgaben derer, die mehr als genug haben.

Etwas von seiner materiellen Habe abzugeben, mag für viele derer, die etwas abgeben sollen, ungerecht erscheinen. Doch Verteilungsgerechtigkeit in seinen Dimensionen der Chancen- und Güterverteilung ist gerechtigkeitsrelevant. Wobei die Chancenverteilung die entscheidende Dimension ist.

 

 


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