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Von Schranken und Geschäftsmodellen – Verlage und Wissenschaftler kommen nicht zusammen

von , 9.9.13

Im dritten und letzten Block des Urheberkongresses 2013 ging es um Wissenschaft und Bildung. Auf der einen Seite fürchten Verlage um ihre Geschäftsmodelle in der digitalen Welt, auf der anderen sind Lehrer und Wissenschaftler in ihrer Arbeit durch das geltende Recht eingeschränkt. Beide sind unzufrieden mit der Situation.
 

Urheberrechtskongress 2013, Foto: @einkanter

Urheberrechtskongress 2013, Foto: @einkanter

 
Im dritten Block des Urheberkongresses, der letzten Freitag in Berlin stattgefunden hat, stand die „Werknutzung in Schule, Hochschule und Wissenschaft“ zur Debatte. In einem Impulsreferat reflektierte Professor Bernd Schorb von der Universität Leipzig die Praxis des Lernens mit digitalen Medien in Schulen und Hochschulen. Urheberrechtliche Fragen seien durch die alltägliche Mediennutzungspraxis dabei zunehmend von Interesse, doch mitunter abstrakt, so seine Einschätzung. Das Urheberrecht werde aber für Schüler verständlicher, wenn „aus Urhebern Menschen werden“.

Nachdem Karl Riesenhuber, Professor an der Ruhr-Universität Bochum, einführend die Situation von Urhebern in Schulen, Universitäten und in der Wissenschaft erläutert hatte, thematisierten die nachfolgenden Podiumsdiskussionen hauptsächlich die herrschenden Ausnahmeregelungen des Urheberrechts, die in den Zusatzparagrafen 52a bis 53b festgeschrieben sind. Als sogenannte Schrankenregelungen erlauben sie, dass Lehrmedien und urheberrechtlich geschützte Werke in bestimmten Rahmen genutzt werden können, ohne dass weitere Lizenzen nötig sind, also etwa Dokumente in gewissen Grenzen zu kopieren und zu versenden.

Hierbei kritisierte der Diplom-Pädagoge Jöran Muuß-Merholz, dass die für Lehrer so wichtige Zusammenstellung eigener Lehrmaterialien aus vorhandenen Medien mit digitalen Medien eher schwieriger geworden sei, obwohl es technisch eigentlich einfacher ist. „Remix und Mashup sind Kernaufgabe eines Lehrers, früher tat er dies mit Schere und Klebestift. Doch aufgrund der Urheberrechtsregelungen wird ihm dies mit digitalen Materialien erschwert, und das verunsichert viele.“ Generell sei er aber optimistisch, dass sich die Situation, auch durch das wachsende Angebot an OER-Materialien, für die Lehrer sukzessiv verbessere, so Muuß-Merholz.

Demgegenüber betonte Ulrich Pokern vom Klett-Verlag, dass Schulmedienverlage „auf Strecke“ bauten. Schulbücher sind ein Leitmedium für ein ganzes Schuljahr. Die Verlage würden dafür großen Aufwand betreiben, bis hin zur Zertifizierung in den Bundesländern. Den Vorwurf, die Schulmedienverlage würden hinsichtlich digitaler Lehrmedien hinterherhinken, wies er mit Hinweis auf ein breites Angebot zurück. Gleichwohl könne es eben auch Probleme bei der Bereitstellung geben: „Wir kaufen ja auch Lizenzen von anderen Anbietern ein, etwa von der BBC und vielen anderen Quellen. Dafür haben wir aber nicht immer alle Rechte und können daher nicht alles digital zur Verfügung stellen“, so Pokern.

Nahezu unversöhnlich erscheinende Auseinandersetzungen entspannen sich zwischen der Repräsentantin der Bibliotheken, Gabriele Beger von der Universitätsbibliothek Hamburg, Ulf Rödde von der Lehrergewerkschaft GEW und dem Vertreter der VG Wort, Robert Staats. Laut Beger zahlen die Bibliotheken pro Jahr rund 25 Millionen Euro als Abgaben an die VG Wort und 400 Millionen Euro aus Erwerbungsmitteln an die Verlage, Agenturen und Autoren. Doch weil bei elektronischen Medien die bezahlten Lizenzen in der Regel nur ein Jahr gelten, würden diese jährlichen Lizenzzahlungen bereits ein Drittel der Erwerbungsmittel ausmachen.

„Der Ruf nach höheren Budgets für die Bibliotheken ist daher nicht gerechtfertigt. Auf diese Weise würde der Staat ja den wirtschaftlichen Interessen der Verlage entsprechen, und das kann doch nicht sein“, so Beger, die sogleich die erwähnten 25 Millionen Euro für die VG Wort zur Disposition stellte und anbot, über diese Summe – „ich erhöhe gerne auf 30 Millionen“ – komplett neu nachzudenken, was ihre Verteilung anbeträfe, um sie sinnvoller einzusetzen.

Für VG Wort-Manager Robert Staats war dies keine Überlegung wert. Es gehe darum, zu überlegen, um was für Nutzungen in den Bildungseinrichtungen es sich handele und wie relevant sie für die Rechteinhaber und Verlage seien. „Ich bin kein Freund einer Schrankenregelung als Generalklausel, der sogenannten Wissenschaftsschranke. Wir haben jetzt bereits Ausnahmen, die muss man gewiss erläutern, aber sie funktionieren“, so Staats. Er wies auf Informationsbroschüren für Lehrer und Hochschullehrer hin, gab aber zu, dass man noch mehr aufklären müsse. „Das müssen wir ausbauen“, meinte er.

Die Broschüre sei bekannt und auch ganz gut, erwiderte GEW-Vertreter Ulf Rödde, doch sie löse nicht die Probleme der Lehrer vor Ort: „Im Zuge der Inklusion müssen wir für die Kinder individuelle Lernkonzepte entwickeln. Dafür müssen Lehrer zum bereits erwähnten Remixer werden und brauchen mehr Möglichkeiten zur Nutzung des Materials.“ Wenn große Industrieunternehmen mit eigenen freien Lehrmaterialien an die Schulen drängen und dabei durchaus ihre Ideologien transportierten, könne das eine Demokratie nicht wollen. Hierfür müsse durch liberalisierte Zugänge eine Lösung geschaffen werden.

Unmittelbar darauf entwickelte sich eine Kontroverse an den Fragen, ob es im Bildungsbereich und in der Wissenschaft zum einen mehr offene Werke (Open Access) geben soll, und ob zum anderen eine generelle Wissenschaftsschranke mit einfachen, klaren und leicht verständlichen Regelungen den Wissenschaftsverlagen die wirtschaftliche Grundlage erschweren oder gar entziehen würde.

Rainer Kuhlen von der Universität Konstanz plädierte für eine Spielart des Open Access, nach der Publikationen, die von Wissenschaftlern und Bildungseinrichtungen erstellt werden, offen zugänglich wären, Verlage dafür aber Lizenzen erwerben und diese dann kommerziell nutzen können sollten. Demgegenüber vertrat Guido Herrmann vom Thieme Verlag die Ansicht, der bessere Weg sei, die Erstveröffentlichung eines Werkes als Open Access nur nach Erhebung einer Autoren-Gebühr – also von den Autoren an die Verlage – zur Verfügung zu stellen, während das Zweitveröffentlichungsrecht dann der kommerziellen Nutzung dienen solle.

„Wir haben dieses Zweitverwertungsrecht, aber es ist schlecht“, entgegnete Rainer Kuhlen. „Erstens, weil es erst nach einem Jahr greift und zweitens, weil es mehr auf die Verlage zugeschnitten ist, nicht auf die Urheber. Denn privilegiert, es zu nutzen, sind nur die institutionelle Forschung und die Drittmittelforschung.“ Seiner Ansicht nach werde sich auf mittel- und langfristige Sicht Open Access als durchgängiges Publikationsmodell im Wissenschaftsbereich durchsetzen.

Auch die abschließenden Podiums- und Publikumsrunden offenbarten gegensätzliche Positionen und Haltungen. Insbesondere, wie Till Kreutzer von iRights zwischendurch bemerkte, wurde auf dem Urheberkongress am Ende nur noch über Verlage diskutiert, nicht mehr über die Urheber. Nach einem Schlagabtausch zu den Inhalten, Optionen und Wirkungen des Ausnahmereglungs-Paragrafen 52a stellte Jöran Muuß-Merholz fest: „Wenn sich hier auf dem Urheberkongress die Urheberrechtsexperten über diese spezifischen Urheberrechtsregelungen streiten und sie unterschiedlich erklären – wie soll sie dann bitte ein Lehrer in der Schule verstehen?“

Till Kreutzer monierte, wie auch weitere Teilnehmer, dass er als Lehrkraft in der Lehrerausbildung bestimmte urheberrechtliche Ausnahme-Sachverhalte nicht mehr erklären könne, und noch öfter auf Fragen der Studierenden keine Antworten geben könnte. Auch deshalb müssten Vereinfachungen und pauschale Schranken her.

Dem stellte ein Vertreter des Verbandes der Bildungsmedienverlage die Ansicht gegenüber, dass Lehrer sehr wohl den Auftrag hätten, über aktuelle Urheberrechtsfragen informiert zu sein und aufklären zu können, so wie beispielsweise auch zu Gefahrenstoffen. Ihm pflichtete Bildungsforscher Riesenhuber in seinem Abschuss-Statement bei: „Lehrer müssen sich damit auseinandersetzen und ihre Verantwortung kennen, wahrnehmen und weitergeben.“

In versöhnlicher Geste betonten Philipp Otto von iRights.Lab und Gerhard Pfennig von der Initiative Urheberrecht, sie hätten viele ausgestreckte Hände gesehen und sich über faire Diskussionen gefreut. „Dieser Urheberkongress war die erste große Urheberrechtsveranstaltung, die von Urhebern ausgegangen ist“, so Pfennig. Und: „Die Urheber müssen noch viel stärker an den Diskussionen ums Urheberrecht teilnehmen als bisher.“

 
Dieser Beitrag erschien zuerst auf iRights.info, dort stehen auch weitere Berichte vom Kongress. Henry Steinhau bloggt auf Henry Steinhau · Journalismus & Medienwissen

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