von Konrad Mitschka, 11.6.15
„What people need, even in Europe’s digital media age, are media in their environment, close to their needs,in short: public service media that they can trust.”
(Isabel Fernández-Alonso, Autonomous University of Barcelona)
Ein Blick auf den Alltag schärft die Perspektive. Detaillierte Information an die Fachärztin eigener Wahl etwa dient der Gesundheit. Einem vergnüglichen Tischgespräch beim Candle-Light-Dinner hingegen mag die eigene Krankengeschichte abträglich sein. 100 Prozent transparente Brillen passen für Autolenker bei Nacht. Bei Tagestouren über sonnenbeschienene Alpengletscher ruinieren sie die Augen der Wanderer. Transparenz per se ist also nicht von Wert. Sie ist stets nur Mittel zum Zweck und muss sich nach diesem ausrichten.
Medien sind im Diskurs um das rechte Maß an Transparenz in zweierlei Hinsicht berührt. Einerseits geht es darum, inwieweit Medien Sachverhalte transparent machen sollen, andererseits steht die Frage, inwieweit Medien selbst transparent sein sollen.
Zu ersterem: Das Herstellen von Transparenz ist wesentliche Aufgabe von Medien. Moderne Demokratien westlicher Prägung können nur funktionieren, wenn Medien unter anderem ihre Informations- und Kontrollfunktion ausüben, indem sie Bürgerinnen und Bürgern zuverlässige Informationen offenbaren. Die Grenzen dieser Transparenz werden aktuell im Zuge unterschiedlicher Debatten um die „Vierte Gewalt“ ausgelotet, man denke etwa an Wikileaks, die polnische Abhöraffäre oder die österreichische Diskussion zum „Amtsgeheimnis“. Jüngst berührte auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem „Google-Urteil“ das Thema: Absolute Transparenz wird insofern abgelehnt, als Nutzer von Suchmaschinen nicht (mehr) alles, was im Netz steht, mit Hilfe der Suchmaschine finden dürfen. Die Freiheit der Information(sweitergabe) und Meinung stößt also immer wieder an schutzwürdige Interessen. Und wessen Interessen schutzwürdig sind, ist veränderlich und Gegenstand des Diskurses. Einigkeit herrscht insofern, als hundertprozentige Transparenz genauso wenig Lösung sein kann wie ihr Gegenteil.
Unmittelbar im Zusammenhang mit dem Bemühen um Transparenz anderer steht ein Aspekt des Diskurses zur Selbstoffenbarung von Medien, anders formuliert: Um die Informationsqualität einzelner Medien beurteilen zu können, braucht es Informationen über diese Medien. Erst Wissen über die Botschafterin (das Medium, die Journalistin) gibt Aufschluss über deren Haltung, Grenzen und damit zusammenhängende Objektivität, Neutralität, Zuverlässigkeit etc.; erst die Quellenangabe ermöglicht Rezipienten die Einordnung der Information. Dieser Aspekt des Transparentseins beginnt beim Wissen über die Eigentümerschaft. Um die Zuverlässigkeit medialer Inhalte einschätzen zu können, wäre es wünschenswert zu wissen, wem die jeweiligen Medien letztlich gehören. Weiß man beispielsweise, dass der österreichische Sender Servus TV dem Multimilliardär und Red-Bull-Teilbesitzer Dietrich Mateschitz gehört, kann man sich eher ein eigenes Bild etwa von Auftritten von Red-Bull-Formel-1-Piloten in Servus TV machen, als stünde einem diese Information nicht zur Verfügung. Zur Zeit gibt es allerdings keine Verpflichtung für kommerzielle Medien, erschöpfend darüber Auskunft zu geben, im Eigentum welcher Personen sie letztlich stehen.
Nachvollziehbar und gesetzlich geregelt sind die Besitzverhältnisse allerdings im Fall öffentlich-rechtlicher Medien. In Österreich ist der ORF eine Stiftung sui generis, die Eigentümerfunktion nimmt ein von demokratisch gewählten Repräsentanten Österreichs beschicktes Gremium wahr. Das beratende Gremium des ORF, der Publikumsrat, sorgt dem Selbstverständnis des ORF als „Medium der Gesellschaft“ folgend auch für eine eigene Art der Transparenz – seine Plenarsitzungen sind öffentlich.
Der Anspruch, Medien sollten transparent sein, geht im Sinne von Nutzern aber über die Auskunft über Eigentümerverhältnisse (wiewohl nicht einmal dort befriedigend erfüllt, s.o.) hinaus. Rezipienten müssen schließlich darauf vertrauen können, dass Medieninhalte nach bestem Wissen und Gewissen erstellt worden und richtig sind. Grundlage dafür sind für alle nachvollziehbare Regulative, die einerseits redaktionelle Freiheit und Unabhängigkeit (von Politik, Wirtschaft) garantieren, andererseits auch Grenzen für journalistisches Verhalten – etwa Nebenbeschäftigungen, Geschenkannahme etc. – thematisieren. Für den ORF finden sich neben allgemein verbrieften Rechten (Stichwort zum Beispiel: Menschrechtskonvention) spezifische Regeln im ORF-Gesetz. Dort heißt es etwa in Paragraph 4 Abs. 6: „Unabhängigkeit ist nicht nur Recht der journalistischen oder programmgestaltenden Mitarbeiter, sondern auch deren Pflicht.“ Das gleiche Gesetz verpflichtet den ORF – konkret: den Generaldirektor mit Zustimmung des Stiftungsrats – zum Ausgestalten von Programmrichtlinien (Paragraphen 21 und 23) sowie zum Erstellen eines Verhaltenskodex für journalistische Tätigkeit im Einvernehmen mit dem Redakteursausschuss (Paragraph 4). In diesen (Selbst-)Regulativen heißt es unter anderem: „Nur erfahrungsgemäß zuverlässige Agenturen sind ohne ausdrückliche Zitierung als Hauptinformationsquellen zulässig“ (ORF-Programmrichtlinien). Oder auch: „Persönliche Vorteile durch journalistische Arbeit dürfen auch dem Umfeld des/der Journalistin nicht erwachsen. So ist etwa für den Fall persönlicher […] oder wirtschaftlicher […] Nähe zu (juristischen) Personen, die Gegenstand von Berichterstattung im jeweiligen Umfeld der berichtenden Person sind, von einer Mitwirkung oder Einflussnahme auf die Berichterstattung abzusehen, sofern die Nähe zu Befangenheit führen könnte“ (ORF-Verhaltenskodex). Über die Einhaltung des Verhaltenskodex wacht ein unabhängiger Ethikrat, der gleichmäßig von Unternehmen und Redakteursvertretung beschickt wird.
Diese Regulative sind ebenso für alle zugänglich im Netz unter zukunft.ORF.at veröffentlicht wie die Empfehlungen der Redakteursvertretung des ORF für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Umgang mit sozialen Medien („Social Media Guidelines“) sowie Maßnahmen, die sich aus den Verpflichtungen des ORF zur Qualitätssicherung ergeben (Paragraph 4e des ORF-Gesetzes) und bewirken sollen, dass der ORF dem Einzelnen und der Gesellschaft nutzt, unter anderem:
- das Qualitätssicherungssystem, seine Kriterien und Verfahren;
- die Beschlüsse der ORF-Gremien zum Qualitätssicherungssystem;
- der Public-Value-Bericht des ORF, der mit vielfältigen Daten dokumentiert, wie der ORF seinen Kernauftrag erfüllt, und Meinungen, Haltung und Selbstverständnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter veröffentlicht; eines der 18 Berichtskriterien lautet übrigens „Transparenz“;
- die Strukturanalyse der ORF-Programme, die hinsichtlich Fernsehen stundengenau und hinsichtlich Radio auf Basis einer Stichprobenwoche minutengenau ausweist, wie viel Zeit welchem Programmgenre gewidmet ist;
- Studien unabhängiger Wissenschaftler zu öffentlich-rechtlichen Zukunftsthemen („Public-Value-Studie“, „Publikumsratsstudie“);
- das externe Gutachten zum Qualitätssicherungssystem, das zusammenfassende Hinweise auf qualitative Erhebungen wie die Publikums- und Expertengespräche sowie den Prozess um die ORF-Qualitätsprofile enthält; Letztere sind Selbstverpflichtungen des ORF zur Qualität einzelner Programmgenres, die von externer Sozialwissenschaft mit den Bedürfnissen und der Sicht des Publikums abgeglichen werden.
Transparenz zu Medieninhalten umfasst freilich mehr – durchaus auch mehr, als hier im Einzelnen zitiert werden könnte; nützliche Transparenz umfasst etwa zweifellos die Kennzeichnung werblicher Inhalte und Kooperationen, ein Regulativ zu kommerzieller Kommunikation in Kindersendungen, die Kennzeichnung nicht jugendfreier und Hinweise auf barrierefreie Programme und dergleichen mehr.
Transparenz, die nutzt, informiert also über Personen, die das jeweilige Medium besitzen, Personen, die die Inhalte erzeugen, sowie über die Art und Weise, wie Inhalte erzeugt und in ihrer Qualität gesichert werden. Auch hier gilt grundlegend: Hundertprozentige Transparenz würde den beabsichtigten Nutzen – Überprüfbarkeit der Vertrauenswürdigkeit von Informationen – ins Gegenteil verkehren, denn zumindest eine wesentliche Ausnahme hinsichtlich der Quellenangaben ist geboten: Erst das Recht aufs Redaktionsgeheimnis ermöglicht journalistische Arbeit; es handelt sich sozusagen um gewollte Intransparenz, die nutzt – und sie wirkt sich auch im Kontext der Transparenz der Finanzgebarung von Medien aus.
Selbstverständlich sind manche Geldflüsse offenzulegen. Wenn zum Beispiel der Sender Puls 4, die Österreichtochter der Pro Sieben Sat 1 Media AG, mitten im österreichischen Nationalratswahlkampf eine Dokumentation über einen Parteigründer sendet, die von diesem (ko)finanziert wurde, wäre eine Offenbarung dieses Geldflusses ebenso relevant wie jegliche Kennzeichnung von Werbung. Umgekehrt müssen auch Betriebsgeheimnisse von Medienunternehmen über das Redaktionsgeheimnis hinaus möglich sein. Man denke nur an die Folgen hundertprozentiger Transparenz etwa dann, wenn Dritte wie Sport- und Kulturrechteanbieter ausrechnen könnten, welche Finanzrahmen für den Rechteerwerb zur Verfügung stehen, wenn Technikfirmen Budgets für Umstiege auf neue Releases bekannt wären, oder auch daran, wie sicher das Redaktionsgeheimnis wäre, wäre öffentlich nachvollziehbar, welche Journalistin wann mit dem Taxi wohin gefahren ist.
Außer Frage steht, dass die Prüfung der wirtschaftlichen Situation von Medien seitens unabhängiger Stellen notwendig ist, um allfälligen Malversationen vorzubeugen. Gleichwohl wäre es problematisch, müssten, wie mancherorts gefordert, Medien ihre Budgets detailgenau und monatlich veröffentlichen – insbesondere wenn dies nur manche Medien betrifft.
Für den ORF gelten in diesem Kontext unter anderem Pflichten wie die Veröffentlichung des Jahres- und Konzernabschlusses und des Corporate-Governance-Kodex. Eine detailgenauere Veröffentlichung von Finanzdaten geschieht seitens des ORF (wie auch anderer Medien) nicht, weder werden öffentlich Kosten einzelnen Programmgenres noch einzelnen Mitarbeitern zugeordnet. Vielmehr ist im Fall des ORF die Überprüfung der Geschäftsgebarung und der Wirtschaftlichkeit institutionell verankert. Nicht nur eine gemäß Paragraph 40 ORF-Gesetz unabhängige Kommission prüft, das Unternehmen wird zusätzlich sowohl von seinen Aufsichtsgremien als auch vom österreichischen Rechnungshof penibel kontrolliert. Das Prüfergebnis der Kommission wird ebenso veröffentlicht wie etwa auch Angaben über die mögliche Weitergabe von Sportrechten sowie der Bericht, der jedes Jahr an die Regulierungsbehörde und über den Bundeskanzler an Nationalrat und Bundesrat geht. Im ORF-Gesetz heißt es dazu in Paragraph 7 unter anderem: „Der Bericht hat auch Darstellungen zu den erzielten Reichweiten, die nach anerkannten wissenschaftlichen Methoden zu erheben sind, zu enthalten und das Ausmaß der aus kommerzieller Kommunikation erzielten Einnahmen auszuweisen. In einem eigenen Teil sind darüber hinaus Art und Umfang der kommerziellen Tätigkeiten des Österreichischen Rundfunks und seiner Tochtergesellschaften darzustellen.“
Zusammengefasst machten bereits diese Prüfungen und Pflichten den ORF zu einem der meistgeprüften und wohl auch transparentesten Unternehmen Österreichs. Die gesetzliche Pflicht zur Transparenz schafft aber weitere Asymmetrien im Vergleich kommerzieller und öffentlich-rechtlicher Medien. Dazu bildhaft ein fiktives Beispiel aus der Autoindustrie: Volkswagen wird gesetzlich dazu gezwungen, Baupläne fürs neue Hybridmodell zuerst einmal Toyota zu senden und dann zu fragen, ob Toyota einverstanden wäre, wenn man zum Bau des Autos schritte. Wenn Toyota fertig nachgedacht hat, entscheidet eine Behörde, ob Volkswagen das Hybridmodell bauen darf oder nicht. Absurd? Im Medienfall Realität, die ausschließlich öffentlich-rechtliche Medien betrifft und je nach Nationalstaat Drei-Stufen-Test oder ähnlich heißt. Die Kosten dafür werden in einer Publikation der österreichischen Behörde RTR allein für Deutschland mit 10 Mio Euro zitiert. Hinzu kommen – so ist zu vermuten – noch Löhne und weitere Fixkosten der betroffenen Ämter bzw. Gremien sowie der Stellung nehmenden Marktteilnehmer. Mitunter führt das, wie dieselbe Publikation feststellte („Öffentlich-rechtliche Angebote auf dem Prüfstand“), dazu, dass allein die Kosten für Marktgutachten über den jährlichen Kosten der zu prüfenden Angebote liegen. Für den ORF gilt im Kontext der österreichischen Variante der behördlichen Prüfung, dass zu Beginn, während der (mitunter langen) Dauer und am Ende der jeweiligen Verfahren Pläne für neue Angebote, Stellungnahmen dazu sowie etwaige behördliche Bescheide und Entschlüsse auf einer Website (zukunft.ORF.at) zu veröffentlichen sind. Ob man hier noch von Transparenz, die den Bürgerinnen und Bürgern nutzt, sprechen kann, oder vielmehr von einer marktverzerrenden Verschiebung gesellschaftlicher Mittel weg von Redaktionen hin zu Bürokratie und Verwaltung sprechen muss?
Fakt bleibt: Transparenz ist, wie eingangs festgestellt, kein Selbstzweck. Im Fall von Medien sollte sie nicht so ausgerichtet sein, dass sie Asymmetrien zwischen Marktteilnehmern bewirkt. Jegliche Maßnahme zur Transparenz sollte vielmehr zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger wirken, zum Nutzen der Gesellschaft, die letztlich sowohl kommerzielle wie auch öffentlich-rechtliche Medien braucht und beide finanziert wie ermöglicht.
ARD, ZDF und das Deutschlandradio stehen heute, in Folge verschiedener Entwicklungen wie dem Wandel von Mediennutzungs-, Distributions- und Produktionsstrukturen, aber auch aufgrund der Debatte um das neue Finanzierungsmodell für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter einem besonderen Legitimations- und Rechtfertigungsdruck. Dabei rücken Forderungen nach transparenteren Finanz- und Gremienstrukturen der Sendeanstalten zunehmend in den Vordergrund. Erste Informationsinitiativen von ARD und ZDF sowie die Veröffentlichung von Produzentenberichten seitens einzelner Anstalten (NDR, WDR, MDR) zeugen von einer neuen Bereitschaft öffentlich-rechtlicher Medienunternehmen, einen Beitrag für faire und transparente Wettbewerbsverhältnisse auf dem Programmmarkt zu leisten und einen öffentlichen Diskurs über ihre Kostenbilanzen und Programmstrategien zu ermöglichen. Welcher Reformen bedarf es, um den Forderungen nach mehr Transparenz – etwa in puncto Beitragsverwendung, Vergabepolitik und Unternehmensbeteiligungen – zu begegnen? Und welche Implikationen ergeben sich aus dem ZDF-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März dieses Jahres und der darin enthaltenen Forderung nach einem „Mindestmaß an Transparenz über die Arbeit der Aufsichtsgremien“? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt einer vom Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) und von carta.info in Zusammenarbeit mit der „Medienkorrespondenz“ und dem Dresdner Institut für Medien, Bildung und Beratung (DIMBB) organisierten Artikelserie, kuratiert von Leonard Novy und Orkan Torun.
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