##em2012

Vom Gebührenzahler zum Stakeholder

von , 6.6.14

Nach jahrzehntelangem Ausbau und einem zunehmend auf Konkurrenz angelegten Säulenmodell trifft das Duale Rundfunksystem auf die Herausforderungen der Digitalisierung – und steuert dabei zielstrebig auf eine ganze Reihe von Modernisierungskonflikten zu.

In den Fokus geraten ist in diesem Prozess die Umstellung der Rundfunkfinanzierung von einer „Gebühr“ auf einen geräteunabhängigen „Beitrag“. Nachdem sich der Rauch des öffentlichen Streits um „Demokratieabgabe“ (Jörg Schönenborn) oder „Zwangssteuer“ (Handelsblatt) ein wenig gelegt hat, ist zu fragen, inwiefern die Art der Öffentlichkeitsfinanzierung die komplexen Vorgaben der deutschen Rundfunkverfassung verwirklicht.

Eine zentrale Anforderung ist dabei der Erhalt einer Markt- und Staatsferne als Leitbild der Medienversorgung nach dem Public-Service-Modell. Die Prinzipien der Grundversorgung mit sachlicher Berichterstattung, der „Belehrung, Bildung und Unterhaltung“ des Publikums, sowie das „Entwicklungsgebot“ zur technologischen Sicherstellung von Sendefähigkeit und Angebotsvielfalt unterstützen dabei die Neuordnung. Diese an das Konstruktionsprinzip der British Broadcasting Corporation (BBC) angelehnten Eckpfeiler sind in den verschiedenen Rundfunkurteilen des Bundesverfassungsgerichts festgeschrieben.

Allerdings ist nach der Umstellung der Rundfunkgebühr als Abgabe für eine quasi-behördliche Leistung zu prüfen, inwiefern sich nun die Rolle der Beitragszahler als „Stakeholder“ verändert. Eine Schlussfolgerung könnte die stärkere Einbeziehung der Zuschauer als kritische Medienbürger in Kontroll-, Aufsichts- und Entwicklungsprozesse sein. Bislang übernehmen die Rundfunkräte der ARD-Landessender und der ZDF-Fernsehrat diese Repräsentationsaufgabe – aufgrund der immer komplexer werdenden Arbeits- und Organisationsprozesse können sie diesen Auftrag nur eingeschränkt einlösen.

Wenig spricht dabei gegen eine Orientierung an internationalen Modellen zur Publikumsbeteiligung: Selbst im liberalen Mediensystem der USA übernehmen Ombudspersonen die Aufgabe der Zuschauervertretung und verlängern das Feedback in Richtung der Medienunternehmen. In Großbritannien sind nach den letzten BBC-Reformen Audience Councils eingerichtet worden, die als regional organisierte Zuschauerräte das zentrale Aufsichtsorgan, den BBC Trust, unterstützen.

Dass etwas Bewegung auch in die deutsche Rundfunklandschaft kommt, zeigen die Reformdiskussionen, die der neue WDR-Intendant Tom Buhrow angestoßen hat.

Im November 2013 sorgte die Neubesetzung des Postens der Hörfunkdirektorin mit Valerie Weber für Unruhe im Sender. Nicht weniger als 150 Redakteure hatten damals ihren Unmut über die Nominierung der Geschäftsführerin des Privatradiosenders Antenne Bayern geäußert; sie fürchteten eine „Dudelfunkisierung“ der Hörfunkwellen. Für viele Mitarbeiter schien ein Seitenwechsel aus den Reihen des Privatfunks undenkbar, ein massiver Kulturbruch – dabei spiegelt Webers Karriereverlauf lediglich die über Jahrzehnte gewachsene „Wettbewerbserlaubnis“ der öffentlich-rechtlichen Sender.

Zu beobachten war die Grenzüberquerung bislang zwar schon häufiger, neu ist lediglich, dass sich der Wechsel im Managementbereich vollzogen hat: In Gestalt etwa von Günther Jauch, Katrin Müller-Hohenstein, Johannes B. Kerner oder Thomas Gottschalk haben sich zahlreiche „Talking Heads“ als erfolgreiche Grenzgänger zwischen den Kulturen etabliert.

Buhrow verteidigte die Personalie bei einer Mitarbeiterversammlung, der Rundfunkrat bestätigte schließlich den Vorschlag des Intendanten. Erst kurz vor Ende des Verfahrens wurden die Belange der Beitragszahler berücksichtigt – und dies nur indirekt über das komplizierte Repräsentationsmodell des Rundfunkrats, dessen 48 Mitglieder die relevanten gesellschaftlichen „Kräfte und Gruppen“ Nordrhein-Westfalens vertreten.

Ein direkter Rückkanal ist hier nicht vorgesehen, stattdessen bildete eine hochgradig polarisierte Debatte in Print- und Online-Medien die bisweilen schrille Begleitmusik zum personellen Umbau im Sender-Management.

So war vor allem das politische Geschick des neuen Intendanten im Umgang mit der eigenen Belegschaft gefragt, doch Buhrow hat auch gegenüber dem Publikum im Sendegebiet vertrauensbildende Maßnahmen ergriffen. Im Rahmen des live im TV übertragenen „WDR-Check“ hatte sich der Intendant im Oktober in einer Art Town Hall Meeting den Zuschauerfragen zu Programm, Perspektiven und Problemen seiner Sendeanstalt gestellt.

Die Aufzeichnung fand in jenem Studio statt, das in einem ganz ähnlichen Setting auch für die „Wahlarena“-Auftritte von Angela Merkel und Peer Steinbrück genutzt worden war. Der Umgang des Senderchefs mit den Zuschauervertretern ähnelte dann auch nicht zufällig dem „Kümmererstil“, der prägend für den 2013er-Bundestagswahlkampf gewesen ist. Tom Buhrow inszenierte sich als volksnaher, aufgeschlossener, zuhörender Medienmanager – inwiefern die Anregungen und Hinweise der Studiogäste tatsächlich auf die Arbeit im Sender zurückwirken, muss die Zukunft erst noch zeigen.

Deutlich erkennbar fügt sich ein solches Format jedoch gut in die veränderte Beziehungswelt zwischen Sender und Publikum ein: Mit dem Intendanten „zum Anfassen“ haben die Zuschauer ein neues Gegenüber kennengelernt, das zumindest auf der Vorderbühne für Feedback offen ist. In dieser Kommunikationsbeziehung ähnelt das Format ein wenig den Audience Councils der BBC, denn auch hier geht es ja um eine Rückmeldung der Mediennutzer in Richtung der Programmanbieter.

Als Auftakt in die neue Phase der Rundfunkfinanzierung erscheint das öffentlichkeitswirksame, von anderen Medien auch jenseits des TV-Bildschirms wahrgenommene Publikumsgespräch sehr geeignet. Als Live-Sendung funktionierte der „WDR-Check“ allerdings nur teilweise, denn das eingangs sehr produktive Format verwandelte sich mit zunehmender Sendedauer in einen seichten Unterhaltungs-Mix mit bekannten Vertretern aus dem Portfolio der Anstalt.

Größere Potenziale für die Verarbeitung eines Feedbacks liegen sicher in den nicht auf dem Bildschirm platzierten Gesprächskreisen mit ausgewählten Zuschauergruppen – die Organisation von echten Zuschauerräten könnte hier eine sinnvolle Perspektive für neue Formen der Publikumsbeteiligung darstellen. Als größter Einzelsender des ARD-Universums ist der WDR sicher kein schlechter Ort für derartige Experimente, die komplexe Gremienkultur der ARD kann solche Impulse an eine sich wandelnde Medienlandschaft weitergeben.
 
Dr. Christoph Bieber ist seit August 2013 Mitglied im WDR-Rundfunkrat.

Crosspost von Internet und Politik. Der Text erschien zuerst in Ausgabe Nr. 8 des studentischen Magazins Hammelsprung, das an der NRW School of Governance herausgegeben wird. Das Schwerpunktthema war “Politik und Medien – gefährliche Nähe oder notwendige Distanz?”

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