von Wolfgang Michal, 16.5.10
Am vergangenen Samstag veröffentlichte das FAZ-Feuilleton ein ganzseitiges Porträt* des „Netzwerkpapstes“ Peter Kruse. Der Bremer Unternehmensberater und Psychologe war im April einer der Hauptredner auf der Berliner Internet-Konferenz re:publica gewesen. Vielen „digital natives“ und „digital immigrants“ ist er durch seine angenehm unaufgeregte, ja positiv gestimmte Analyse des Internets bekannt geworden. Er ist, könnte man sagen, der Gegenspielerpapst zu Frank Schirrmacher.
Wie würde ein solcher Mann im FAZ-Feuilleton wohl behandelt werden? Ich meine, er hätte es wissen müssen.
Schon die Überschrift – „Der Vollweise“ – geht über die sonst übliche feingeistige FAZ-Ironie hinaus. Denn wer die ganze Geschichte gelesen hat, wird schnell begreifen, dass das Wortspiel mit der Vorsilbe „Voll“ eine völlig andere Assoziation hervorrufen soll.
Mit derart perfider Herabsetzungs-Technik arbeitet das ganze Stück. Oft werden anonym bleibende „Kommentatoren“ oder „Blogger“ oder namenlose „Twitterer“ zitiert. Aus der Unaufgeräumtheit des Bremer Firmensitzes wird auf das unordentliche Wesen des Porträtierten geschlossen. Absatz für Absatz wird Peter Kruse „entlarvt“ als oberflächliches, unseriöses Plappermaul, das seinen Lebensunterhalt mit den immer gleichen billigen „Versatzstücken“ verdient. Das FAZ-„Porträt“ liest sich wie ein Vernichtungsversuch. Und dieser Versuch hat eine Vorgeschichte.
Im November letzten Jahres hatte sich Peter Kruse in der Süddeutschen Zeitung die Freiheit genommen, Frank Schirrmachers Buch „Payback“ (insbesondere dessen kulturkonservative, alarmistische Grundhaltung gegenüber dem Internet) zu kritisieren. „Herr Schirrmacher“, sagte Kruse im SZ-Interview, „begeht in seinem Buch einen erstaunlichen Denkfehler durch die Einseitigkeit der von ihm gewählten Perspektive: Er betrachtet die digitale Welt ausschließlich aus dem Blickwinkel einer Person, die das Geschehen als distanzierter und bewertender Beobachter erlebt. Wer sich nicht selbst in den Netzwerken bewegt und sie als eine schwer zu ertragende Kakophonie empfindet, der fühlt sich logischerweise schnell überfordert und vielleicht sogar aggressiv belästigt. Mit seinem Buch outet sich Herr Schirrmacher als fremdelnder Netzwerk-Besucher, als Zaungast, der einer wilden Party gleichermaßen neugierig wie irritiert aus der Ferne zuschaut.“
Dieser fremdelnde Zaungast war Frank Schirrmacher dann auch auf der Berliner re:publica – während drinnen Peter Kruse „wie ein Popstar“ gefeiert wurde. Das kränkt. Das kann man verstehen.
Aber muss man einen anders Denkenden (und vielleicht zu Unrecht Gefeierten) gleich dermaßen in die Pfanne hauen und herabwürdigen? Der Eindruck, den das FAZ-Porträt von Peter Kruse vermittelt, ist eindeutig: Hier arbeitet ein windiger Scharlatan, der sich zum Internet-Experten aufbläst, aber in Wirklichkeit kaum gefragt ist und von echten Experten sowieso nicht ernst genommen wird. Die einzigen, die einen solchen Blender nicht durchschauen, weil sie seinem messias-, guru- und darwinhaften Moses-Charme erliegen, sind die strunzdoofen Blogger von der re:publica. Zitat: „Aber der Guru zaubert seinen Zuhörern einen unbestimmten Glanz in die Augen und verleitet sie zu einer Erleuchtungsrhetorik, die bei einer doch eigentlich intellektuell ausgerichteten Diskussion seltsam anmutet. So wird Kruse zum Religionsstifter, nach dem man süchtig wird.“
Nichts gegen harte Kritik im Feuilleton. Aber hier ist die Grenze zur Demütigung überschritten. Hier wird eine (einstmals) große Zeitung für eine kleinkarierte und lächerliche Abrechnung benutzt.
Und damit schalten wir um zu unserem Kollegen Wolfgang Blau.
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*Online ist das „Porträt“ sinnigerweise nur für FAZ-Abonnenten frei zugänglich. Alle anderen müssen 2 Euro zahlen.
Update 19.5.: Jetzt auch online frei zugänglich.