#ARD

Überfälliges Umdenken

von , 10.10.14

„Transparenz schafft Vertrauen“ – so lautete das Motto der Hamburger Volksinitiative, die von 2011 an für die Einführung eines weitreichenden Transparenzgesetzes in der Hansestadt geworben hatte. Ein erfolgreicher Slogan, so möchte man meinen. Schließlich trat im Oktober 2012 das Hamburgische Transparenzgesetz in Kraft und verpflichtet seither Verwaltung und Behörden des Stadtstaates zu umfassender Bürgerinformation. Bei seiner Einführung wurde das Gesetz als das fortschrittlichste Regelwerk in diesem Bereich bezeichnet und von anderen Ländern als Vorbild bei der Einführung eigener Transparenzregelungen genannt.

Die Auseinandersetzungen um das Hamburgische Transparenzgesetz haben aber auch gezeigt, dass der Ruf nach Transparenz immer gerade dort laut wird, wo es an Vertrauen mangelt und wo durch Transparenz Wissen über Vorgänge, Hintergründe und Entscheidungen geschaffen werden soll. Vertrauen ist auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein nicht unerhebliches Gut und die Basis für seine gesellschaftliche Legitimation. Durch seinen gesetzlichen Auftrag ist er verpflichtet, allen Bürgern eine ausgewogene Berichterstattung zu liefern, frei von wirtschaftlichen oder politischen Interessen. Und die Bürger müssen darauf vertrauen können, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk diese Verpflichtung erfüllt. Laut einer Anfang 2014 durchgeführten Repräsentativbefragung durch TNS-Infratest vertrauen die Bürger den Inhalten der ARD. Für sie ist das Erste das unverzichtbarste und qualitativ anspruchsvollste Fernsehprogramm in Deutschland. Insbesondere Nachrichten und politische Magazine des Ersten werden als die besten in Deutschland bewertet.

Der Mangel an Informationen über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks führt hingegen zu Unsicherheit und womöglich gar zu Verlust von Vertrauen bei vielen Bürgerinnen und Bürgern. Insbesondere seit Einführung der Haushaltsabgabe Anfang 2013 wird die Offenlegung der Mittelverwendung verstärkt gefordert. Es gibt auch nur wenige überzeugende Gründe für eine Zurückhaltung dieser Informationen, allenfalls die Wahrung der Rechte von Dritten. Die Finanzierung durch den neuen Rundfunkbeitrag stellt insoweit ein großes Privileg und zugleich eine große Verpflichtung dar.

Die Gremien der ARD, die die Interessen der Gesellschaft im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vertreten, begrüßen und unterstützen daher ausdrücklich die Bestrebungen der ARD, mehr Unternehmensdaten und Informationen zur Mittelverwendung für die Öffentlichkeit bereitzustellen. Auf den Internetseiten der ARD können nun zum Beispiel der ARD-Finanzbericht und der angemeldete Finanzbedarf bis 2016 abgerufen werden. Außerdem bereitet die ARD Daten zur Verwendung des Rundfunkbeitrags wie etwa die durchschnittlichen Kosten für einen „Tatort“ in verständlicher Form für die Nutzer auf.

Gremienarbeit muss sichtbarer werden

Die Veröffentlichungen zeigen, dass ein Umdenken innerhalb der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stattfindet. Ein Umdenken hinsichtlich der Darstellung gegenüber der Öffentlichkeit und auch gegenüber den Gremien. Ein Umdenken, das ich – im Sinne der gesellschaftlichen Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – für überfällig erachte. Die nun eingeleiteten Maßnahmen bewerten wir als einen Einstieg in eine künftig noch breiter angelegte Informationsstrategie der Sender.

Auch die Gremien selbst trifft eine besondere Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit. Wir agieren in den Rundfunk- und Verwaltungsräten als Sachwalter der Allgemeinheit, frei von Weisungen sowohl der Anstalten als auch unserer entsendenden Organisationen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat daher in seiner Entscheidung vom 25. März 2014 zum ZDF-Staatsvertrag den Gremien einige Verpflichtungen im Hinblick auf Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit auferlegt. Gremienarbeit muss sichtbarer werden, um Vertrauen zu sichern oder, wo nötig, neu zu gewinnen.

Die Gremien sehen sich hinsichtlich ihrer Rolle und Funktion einer Vielzahl von teils konfligierenden Anforderungen gegenübergestellt. Die Gremienmitglieder werden von gesellschaftlichen Institutionen und Verbänden entsandt. Sie sind aber ausdrücklich nicht deren Repräsentanten, sondern die Gremienmitglieder sind Vertreter der Allgemeinheit. Zur Erfüllung ihrer Aufgabe fordern sie von den Anstalten Transparenz und Information. Gleichzeitig wird von ihnen selbst eine Offenlegung ihrer Beratungen gefordert. Hierbei muss wiederum eine Rückkopplung mit den Häusern erfolgen, denn obgleich öffentlich finanziert, müssen die Rundfunkanstalten in gewissen Fragen unternehmerisch am Markt agieren und stehen im Wettbewerb. Die Gremien sind somit Bindeglied und Vermittler zwischen der Gesellschaft und den Rundfunkanstalten.

Kein einfaches Unterfangen: Transparenz in Finanzfragen

Aus diesem Grund hatte die Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD (GVK) bereits vor der Verkündung des BVerfG-Urteils zum ZDF die Initiative ergriffen und sich auf Mindeststandards zur Transparenz der Gremienarbeit verständigt. Diese werden nun sukzessive in den Gremien der Landesrundfunkanstalten umgesetzt. Dazu gehören neben der Veröffentlichung von Angaben zur Gremienzusammensetzung und Gremienstruktur auch Informationen zu den Sitzungsterminen und -inhalten. So haben zum Beispiel die Gremien des NDR eine Änderung der NDR-Satzung beschlossen, der zufolge nun die Termine, Tagesordnungen und wesentliche Beratungsergebnisse der NDR-Gremien online gestellt werden (vgl. Pressemitteilungen: „NDR-Rundfunkrat und -Verwaltungsrat machen ihre Arbeit transparenter“ sowie „NDR-Rundfunkrat stellt Tagesordnungen und in Kürze auch Sitzungsergebnisse ins Netz“). Der Rundfunkrat des WDR informiert mit einem Newsletter über seine Beratungen. Die Internetauftritte der Gremien wurden aktualisiert und inhaltlich angereichert. Eine Mehrzahl der Rundfunkräte der ARD-Landesrundfunkanstalten tagen bereits grundsätzlich öffentlich – jedoch nehmen in der Regel nur wenige Zuhörer diese Möglichkeit wahr.

Transparenz in Finanzfragen ist insbesondere für die Gemeinschaftsprogramme und -einrichtungen in einer föderalen Struktur wie bei der ARD kein einfaches Unterfangen. Zum einen machen unterschiedliche Finanzstrukturen der einzelnen Landesrundfunkanstalten die Zahlenwerke nur eingeschränkt vergleichbar. Zum anderen sind die Aufgaben und Kompetenzen der Gremien in den Landesrundfunkgesetzen bzw. Staatsverträgen zum Teil unterschiedlich geregelt.

Der Ansatz der GVK besteht folglich darin, durch enge Kooperation zwischen den verantwortlichen Gremien und durch die gemeinsame Verständigung auf verbindliche Verfahrensabläufe, Strukturen zu schaffen, die auch hier eine konstante und effektive Kontrolle ermöglichen. So hat sich die GVK für die Koordinierung des häufig unter Gremienvorbehalt stehenden gemeinschaftlichen Erwerbs hochkarätiger Sportrechte mit den Intendantinnen und Intendanten der ARD auf ein Informations- und Beratungsverfahren verständigt, das sich nach den ersten Jahren der praktischen Umsetzung als tauglich erwiesen hat. Im Rahmen regelmäßiger programmstrategischer Debatten diskutieren wir zudem gemeinsam über zukünftige programmliche Schwerpunkte und ihre Eignung zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags. So sollen bereits vor konkreten Vertragsabschlüssen die grundsätzlichen Programmlinien ausgelotet werden. Aktuelles Beispiel ist hier die Übertragung von Profi-Boxkämpfen im Ersten. Weitere Beratungsschwerpunkte sind die Entwicklungen im Vorabendprogramm, die Neuausrichtung der ARD-Filmgesellschaft Degeto und Strategien zur Ansprache jüngerer Publikumsgruppen.

Vereinheitlichung der Grundlagen der Gremienarbeit

Trotz dieser Erfolge erachten wir es der Transparenz dienlich, eine Vereinheitlichung der gesetzlichen Grundlagen der Gremienarbeit beispielsweise durch Festlegung von Rahmenbedingungen und Mindeststandards herbeizuführen. Denn Transparenz bedeutet auch Schaffung klarer Strukturen und Erteilung eindeutiger Aufgaben und Kompetenzen. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bieten nach Ansicht der GVK Gelegenheit zu einer Vereinheitlichung der Grundlagen der Gremienarbeit. Neben allgemeinen Vorgaben zur Gremienzusammensetzung wie Inkompatibilitätsregeln, Karenzzeiten und Staatsquoten könnten auch wesentliche Transparenzanforderungen in nationalen Regelungen wie dem ARD-Staatsvertrag festgelegt werden. Wir sind überzeugt davon, dass eine Vereinheitlichung der Kompetenzen zu einer Stärkung des öffentlich-rechtlichen Kontrollsystems insgesamt führen würde.

Neben der Transparenz in Finanzfragen sollte die ARD auch an der Ermittlung und Darstellung ihrer besonderen Qualitäten in der Öffentlichkeit arbeiten – insbesondere ihres gesellschaftlichen Werts, des „Public Value“. Hier sind andere öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten weiter, wie ein Blick über die Ländergrenzen hinweg zeigt. Die Berichte der BBC (Großbritannien) und des ORF (Österreich) zu ihren besonderen und einzigartigen Leistungen für die Gesellschaft durch das Programm sind dem Bericht der ARD bisher an Klarheit voraus. Der ORF lässt durch ein eigens eingerichtetes Kompetenzzentrum seinen Public Value ermitteln und Vorschläge für dessen Optimierung erarbeiten.

Auch hier sind die Gremien gefragt. Unser Auftrag ist es außerdem, zu überprüfen, inwieweit die ARD ihren gesetzlichen Auftrag erfüllt. Dabei müssen wir uns verstärkt mit der Beurteilung von programmlicher Qualität und der Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse auseinandersetzen. Die ARD ist laut Rundfunkstaatsvertrag (§ 11e Abs. 2) verpflichtet, alle zwei Jahre einen Bericht über die Erfüllung des Auftrags und die Qualität und Quantität ihrer Angebote vorzulegen und einen Ausblick auf die Schwerpunkte der geplanten Angebote zu geben. Diese Ausführungen („Bericht und Leitlinien“) werden in diesem Jahr erstmals in einer neuen Struktur verfasst. Die GVK hatte auf eine Anpassung im Sinne der gesetzlichen Verpflichtung hingewirkt, da das bisherige Dokument und auch das damit verbundene Beratungsverfahren nur bedingt geeignet waren, die Leistungen der ARD angemessen darzustellen. Statt einer umfassenden und dadurch kaum fassbaren Leistungsschau soll nun anhand definierter Ziele und Kriterien die Qualität der ARD und ihrer Angebote auf den Prüfstand gestellt werden.

Fazit und Ausblick

Natürlich gibt es auch in den ARD-Gremien Zweifel am Sinn und Erfolg mancher Vorschläge in Richtung transparenzfördernder Maßnahmen. So wird befürchtet, dass öffentliche Sitzungen die inhaltliche Diskussion im Plenum bremsen und die eigentlichen Beratungen dann nur noch in den Ausschüssen stattfinden. Das Plenum sei dann nur noch für „Fensterreden“ gut. Die Erfahrungen im Umgang mit öffentlichen Sitzungen der Rundfunkräte geben jedoch kaum Anlass für solche Befürchtungen. Die Sitzungen des Publikumsrats des ORF werden sogar per Livestream übertragen.

Trotz dieser Kritiken und Sorgen bin ich überzeugt, dass ein Mehr an Transparenz den Gremien und ihrer Arbeit eher nutzt als schadet. Die Gremien werden mit der Transparenz wachsen und sie bald als selbstverständliches Element ihrer Arbeit betrachten. Und sie werden schließlich auch von einer stärkeren Einbindung von Publikum und Gesellschaft profitieren. Hier sollte meiner Meinung nach mehr Austausch stattfinden, zum Beispiel über soziale Medien oder auch durch „Fragestunden“, wie sie etwa der WDR-Rundfunkrat nach öffentlichen Sitzungen anbietet. In Sachen Transparenz gibt es bei den Rundfunkanstalten und ihren Gremien eine grundlegende Einstellungsänderung: Ausreichende Information und Transparenz werden immer weniger als Holschuld der Bürgerinnen und Bürger, sondern zunehmend als eigene Bringschuld verstanden.

 


ARD, ZDF und das Deutschlandradio stehen heute, in Folge verschiedener Entwicklungen wie dem Wandel von Mediennutzungs-, Distributions- und Produktionsstrukturen, aber auch aufgrund der Debatte um das neue Finanzierungsmodell für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter einem besonderen Legitimations- und Rechtfertigungsdruck. Dabei rücken Forderungen nach transparenteren Finanz- und Gremienstrukturen der Sendeanstalten zunehmend in den Vordergrund. Erste Informationsinitiativen von ARD und ZDF sowie die Veröffentlichung von Produzentenberichten seitens einzelner Anstalten (NDR, WDR, MDR) zeugen von einer neuen Bereitschaft öffentlich-rechtlicher Medienunternehmen, einen Beitrag für faire und transparente Wettbewerbsverhältnisse auf dem Programmmarkt zu leisten und einen öffentlichen Diskurs über ihre Kostenbilanzen und Programmstrategien zu ermöglichen. Welcher Reformen bedarf es, um den Forderungen nach mehr Transparenz – etwa in puncto Beitragsverwendung, Vergabepolitik und Unternehmensbeteiligungen – zu begegnen? Und welche Implikationen ergeben sich aus dem ZDF-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März dieses Jahres und der darin enthaltenen Forderung nach einem „Mindestmaß an Transparenz über die Arbeit der Aufsichtsgremien“? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt einer vom Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) und von carta.info in Zusammenarbeit mit der „Medienkorrespondenz“ und dem Dresdner Institut für Medien, Bildung und Beratung (DIMBB) organisierten Artikelserie, kuratiert von Leonard Novy und Orkan Torun.

 

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.