von Florian Paulus Meyer, 25.5.10
Am 20. April 2010 explodierte die Ölplattform „Deepwater Horizon“. Zwei Tage später sank die Bohrinsel, eine Menge Rohöl strömte ins Meer – mit verheerenden Folgen für Meer und Küste. Die Auswirkungen der Katastrophe waren auch im Netz zu sehen, auf Nachrichtenseiten, Blogs und in den sozialen Netzwerken.
Bereits am 29. April richtete der Ölkonzern BP, der die Bohrinsel geleast hatte, deshalb eine eigene Seite auf Facebook ein – als virtuelle Entsprechung der realen Aufräumarbeiten im Golf von Mexiko. Mehrmals täglich meldeten sich BP-Mitarbeiter über das Facebook-Profil Deepwater Horizon Response mit vermeintlichen Neuigkeiten über die Schließung der Lecks, Fotos von den Rettungskräften, Einsatzplänen oder Karten. Innerhalb eines Monats gaben über 23.000 Facebook-Nutzer an, dass ihnen die virtuelle Krisenreaktion des Konzerns gefalle, viele diskutierten die Pläne des Unternehmens direkt auf dessen Facebook-Seite oder veröffentlichten Links unter den Beiträgen der BP-Mitarbeiter.
Neue Informationen verbreitete der Konzern neben Facebook auch über Twitter unter den Namen BP_America und Oil_Spill_2010 – schneller als jede Pressemitteilung und direkt an die Öffentlichkeit gerichtet. Über 5.000 Follower hat das Profil des Unternehmens auf dem Kurznachrichtendienst – also Nutzer, die den BP-Kanal abonniert haben und Meldungen, Meinungen und Linktipps aus erster Hand beziehen wollen. Für die Art der Berichterstattung musste BP jedoch auch schon Kritik einstecken.
Innerhalb von sieben Tagen baute BP damit eine virtuelle Präsenz auf und erreichte die Menschen dort, wo sie sich im Internet aufhalten – in den sozialen Netzwerken. Die schnelle Reaktion des Ölkonzerns zeigt, wie wichtig die Netze für Unternehmen geworden sind – und wie wenig sie in den Netzwerken eigentlich zu sagen haben. Viele veröffentlichen auf Twitter wie in einem RSS-Feed nur ihre Pressemitteilungen. Andere verwenden ihre Accounts nur für kurzlebige Aktionen – lassen die Profile danach verwaisen.
Mehr als 20 Millionen Deutsche nutzen Social Media wie Facebook, Twitter oder meinVZ. Die Wirtschaft will auf den Trend aufspringen. Doch sie scheitert daran, dass sie weiterhin an zentral gesteuerter Kommunikation festhält.
Eine Social-Media-Krisenkommunikation wie im Falle von BP ist allerdings die Ausnahme. Die Netze eignen sich vor allem für Marketing und PR: Der US-amerikanische Computerhersteller Dell nutzt sein Profil auf Twitter zum Beispiel als Vertriebskanal. Die 1,5 Millionen Follower von DellOutlet lockt er mit Rabatten und Sonderangeboten. Andere Unternehmen setzen auf die Interaktivität der sozialen Netze: Die deutsche Telekom bietet über ein eigenes Profil einen Kundenservice: „Hier hilft das Telekom-Service Team in der festen Überzeugung, dass Service mit 140 Zeichen geht”, heißt die vollmundige Selbstbeschreibung des Kanals Telekom_hilft. Mit ähnlichen Ideen haben schon 1&1 und das Kabelunternehmen Comcast den Weg in die Netzwerke gefunden.
In ihren Auftritten gleichen die Konzerne den Privatnutzern. Auch sie wollen bekannte Kontakte verwalten oder neue finden. Private Nutzer von Facebook oder meinVZ vernetzen sich mit Freunden, diskutieren, laden Fotos hoch oder schreiben, was sie gerade denken. Dadurch entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, manchmal sogar eine gemeinsame Identität. Die Unternehmen wollen Teil dieser virtuellen Identität werden. Die New York Times hat deshalb zum Beispiel eine eigene Beauftragte für Social Media angestellt.
Doch die Diskussion über die neuen Instrumente findet vor allem im Netz selbst statt, auf Blogs und in Foren. Ehrliche Unterhaltungsangebote kommen selten von Seiten der Unternehmen. Es handelt sich eher um gelenkte Informationsangebote wie im Fall von BP oder Verkaufsförderung wie bei Dell.
Die Seite webevangelisten.de sammelt zum Beispiel Studien, die sich mit sozialen Netzwerken beschäftigen. Die Social-Media-Konzepte der Unternehmen kommen dabei nicht immer gut weg. „Deutsche Unternehmen wagen sich nur sehr vorsichtig auf das unbekannte Terrain“, sagt auch der Wirtschafts- und Netzjournalist Holger Schmidt. Nur etwa fünf Prozent der börsennotierten Firmen nutzten die Netzwerke. Doch es werden mehr.
Markus Walter arbeitet als Online-Redakteur bei der Allianz. Vor einem Jahr startete er einen Twitterkanal für den Versicherungskonzern. Heute hat „Allianz_de“ mehr als 1.200 Follower. „Wir twittern heute hauptsächlich aus Reputationsgründen“, gibt Markus Walter zu. Der Versicherungskonzern werde als sehr konservativ wahrgenommen. Mit den Auftritten in sozialen Netzwerken will die Allianz zeigen, dass auch junge Angestellte im Konzern arbeiten, die anders ticken. Für Kunden wird das Unternehmen dadurch eventuell sympathischer. Das funktioniert aber nicht, wenn Markus Walter nur firmenrelevante Nachrichten verschickt. Immer wieder streut er zwischen Hinweisen auf neue Unternehmensstudien oder die Hauptversammlung deshalb auch persönliche Nachrichten ein. Ein Unternehmen, das Mikroblogs einsetzt, zeigt damit, dass es den direkten Kontakt zur Öffentlichkeit sucht, die moderne Kommunikationsmittel versteht und einen menschlichen Anstrich hat.
Doch die Schritte der Unternehmen in den Netzwerken gelängen anscheinend nicht immer, sagt Sandra Sieber, Professorin für Informationssysteme an der IESE Business School in Barcelona. Sieber befragte Unternehmen nach ihren Erfahrungen mit Social Media. Ihr Fazit im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen: „Soziale Medien werden nicht wegen, sondern trotz Management eingesetzt.“ Viele Führungskräfte seien zu alt. Sie erkennen die Vorteile der sozialen Medien nicht, weil sie oft nicht verstehen, wie diese funktionieren. Holger Schmidt argumentiert in die gleiche Richtung: „Die meisten Unternehmen wissen offenbar noch nicht so recht, was sie mit dem neuen Instrument anfangen sollen.“
Viele Firmen probieren sich derzeit noch aus, die sozialen Netzwerke sind für sie nicht viel mehr als eine virtuelle Spielwiese. So lange die Kosten gering sind, werden sie auch dabei bleiben. Dominant bleibt dabei auch die Angst, etwas Falsches zu sagen. Deshalb starten einige Betriebe halbherzige und unfertige Versuche im Netz. Ein Dialog entsteht daraus nur selten. Aber man ist zumindest dabei, wenn über einen geredet wird.
Noch schlimmer als etwas falsch zu machen wäre es nämlich, einen Trend zu verpassen. Aber diese Einstellung fördert eben erst recht keine überzeugenden Social-Media-Konzepte. So bleiben die Schritte in den Netzwerken vor allem eines: ein Versuch das Image aufzupolieren.