von Tobias Nehren, 17.3.12
Neuen Glanz soll er ihr verleihen, der Demokratie in Deutschland. Aber Glanz fehlt ihr, unserer Demokratie gerade gar nicht. Vielmehr braucht sie die Nähe zu den Menschen, ihrer Sprache und ihren Lebensumständen. Nachdem zwei Bundespräsidenten frühzeitig abgetreten sind und einer von ihnen das Amt „beschädigt“ hat, soll nun Joachim Gauck Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Integrität ins Schloss Bellevue zurückbringen.
Der frisch gekürte Kandidat hat bereits während seiner ersten Kandidatur im Jahr 2010 immer wieder betont, dass Demokratie den unschätzbaren Wert der Freiheit mit sich bringe, der für seine Bürger Pflicht und Verantwortung bedeutet. Diese müssten sich mehr einbringen, um die Demokratie mit Leben zu erfüllen, forderte er.
Offenbar haben die Menschen aber keine Lust mehr auf Parteien und die langwierigen Verhandlungsprozesse, die es braucht, um Ideen, Aktionen oder Themen durchzusetzen.
Menschen engagieren sich für Themen oder echauffieren sich über Missstände, aber nur selten finden sie den Weg in die Parteienpolitik, um an der Beseitigung dieser Missstände zu arbeiten. Eigentlich Politisches wird nicht mehr als politisch empfunden. Politik, in Person der handelnden Politiker, verhandelt und kommuniziert häufig in so komplexen Zusammenhängen und so speziellen Begriffswelten, dass der Bürger nur selten begreift, wie und wo ihn Politik im Alltag betrifft. So sind in der persönlichen Wahrnehmung voneinander getrennte Sphären entstanden: Bürger hier – Politiker dort.
Menschen, die gegen Atomkraftwerke und für alternative Energien auf die Straße gehen, Onlinepetitionen unterschreiben und sich vielleicht sogar in einer Bürgerinitiative engagieren, sehen nicht zwingend den Zusammenhang zur Gesetzgebung um den Netzausbau in Deutschland.
Dieses Unverständnis scheint im ersten Moment nicht weiter tragisch, wird aber dann verheerend, wenn politische Institutionen keinen Zulauf mehr bekommen und deshalb kein gutes Personal mehr ausbilden können, welches intelligente politische Ideen in Gesetze gießt und für diese in den politischen Wettstreit tritt. Dann verkümmern politische Institutionen; politisch und intellektuell.
Was hat das nun mit Gauck und dem Internet zu tun?
Der designierte Bundespräsident hat in der Vergangenheit für Beteiligung geworben und manchmal schon beinahe schimpfend die Bürger zur Teilnahme an der Demokratie in ihren etablierten Arenen ermahnt (siehe Debatte um Occupy). Gauck hat immer wieder betont, dass der Bürger zwar durchaus eine „Holschuld“ gegenüber der Politik habe, diese ihrerseits aber auch eine Sprache sprechen müsse, welche die Bürger erreicht.
Nun wäre es an Joachim Gauck, das Überbrücken dieser Lücke im Verständnis zwischen politischem Handeln und politischen Institutionen – die so genannte Beteiligungslücke – zu einem seiner programmatischen Schwerpunkte zu machen. Das Netz bietet zahlreiche Möglichkeiten, dieses Ziel aktiv umzusetzen. Im Bundespräsidialamt dürften die Ressourcen vorhanden sein, um mit Hilfe eines kompetenten Teams Ohren, Augen und Stimmen ins Netz zu entwickeln, um Themen aufzuspüren und um die präsidiale Programmatik zu vermitteln.
Man stelle sich vor, der Präsident hielte eine Rede zum Gedenken an die Opfer rechter Gewalt, welche die historische Tragweite des Themas erläutert, rhetorisch mitreißend und voll intellektueller Anspielungen – und gleichzeitig arbeitet ein Team im Internet, auf Facebook, Twitter und Co. daran, dass die Inhalte der Rede an jene Orte im Netz gelangen, wo sie gehört werden sollen. Das Netz ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und der Präsident hätte mit Hilfe dieses Netzes die Chance, einen direkten Kanal in ebendiese Mitte aufzubauen.
Meinungen und Äußerungen des Unmuts gibt es im Netz zu jedem noch so abseitigen Thema. Es wäre die Chance eines medial progressiv arbeitenden Bundespräsidenten, seine überparteilichen Botschaften und seine Begeisterung für Politik in die Arenen des Internets zu tragen, in denen der direkte Zusammenhang zwischen Politik und dem persönlichen Ärger oder dem gesellschaftlichen Unmut nicht gesehen wird.
Umgekehrt böte sich für den Präsidenten die Möglichkeit, sich im Internet ein Bild von den dort verhandelten Themen und Meinungen zu machen. Was für ein enormer Gewinn wäre es für einen Bundespräsidenten, am Kommunikations-Strom gesellschaftlicher Befindlichkeiten teilzuhaben, ohne dass die Menschen erst auf den Präsidenten zugehen müssten, denn das tun heute zunehmend weniger
Es könnte so gelingen, das Amt zu einem Amt zu machen, das nah an den Menschen und ihrer Lebenswirklichkeit ist – egal, ob das dann glänzend wäre oder nicht.
Der Autor des Textes ist Konzepter im Parteivorstand der SPD.