von Stefan Heidenreich, 19.11.14
Twitter Monitor – Donnerstag, 20. November 2014
Die #Mittestudie ist dank fortgesetztem Einsatz von @Freddy2805 nicht in der Versenkung verschwunden. Allerdings bleibt’s beim Alleingang, und der erfolgreichste Tweets stimmt eher bedenklich:
27,1% in D stimmen zu »Was Israel m. Palästinensern macht, ist im Prinzip nichts and. als d., was Nazis m. Juden gemacht haben« #MitteStudie
An die insgesamt erste Stelle hat sich wie schon die letzten Wochen das Freitagsritual des #ff oder #followfriday gesetzt, das sich auf durchgehend hohem Niveau von über 60 Tweets/h zu verfestigen scheint. Vom Neuigkeitswert her sind das allerdings bloße Zufallsnachrichten, an der Spitze der meistretweeten Nachrichten ein wenig Eigenreklame von @janboehm. Im ganzen scheint sich der Followfriday im Antifa-Umfeld auszbreiten, denn unter den Themen der Nachbarschaft finden sich #rassimus, #nsu, #nazis und #blockupy.
Die Spitze fällt den Grünen zu, deren Delegiertenkonferenz mit einer Rede von @cem_oezdemir beginnt, der demzufolge auch der am meisten genannte User wird, ohne selbst viel dazu beizutragen. #maut, #schäuble und #veggie sind die Themen in der Nachbarschaft, wobei #Veggie nicht ironisch, sondern durchaus ernst gemeint sein soll:
Sagt #veggie @cem_oezdemir auf der #bdk14 “jedes Schwein muss vor dem Schnitzel auch ein Leben gehabt haben” Du bist eben auch was du isst,
schreibt @WirSindGruen (“wir twittern aus dem grünen Leben”). Den moralisierenden Einschlag kriegen sie schwer raus, und müssen aufpassen, dass nicht wieder was schiefläuft, und #veggie in Anlehnung an letzten Sommer als Codewort für zusehende moralische Verbohrtheit und grün-dogmatische Besserleberei durchbrennt.
Twitter Monitor – Donnerstag, 20. November 2014
#mittestudie und Solo-Aktivismus
@FESonline hat eine Studie zu Rechtsextremismus in Deutschland veröffentlicht.
Neue Studie der FES zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland erschienen! Studie & Zusammenfassung: http://www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/ #MitteStudie
Über die 38 Retweets hinaus hätte das wohl nicht viel Aufmerksamkeit nach sich gezogen, wenn nicht @Freddy2805 am Nachmittag gefühlt die halbe Studie praktisch Satz für Satz, und Zahl für Zahl auf Twitter gepostet hätte. Diese Aktion eines Solo-Aktivisten hat einige bemerkenswerte Effekte gehabt. Diskutiert wurde die Studie im großen und ganzen über den Tag verteilt kaum. Aber es kamen eine Menge von Retweets zusammen, die in der Gesamtheit anzeigen, welchen Aussagen am meisten Wert beigemessen wurde. 61 RT gab’s für
52,4% der Deutschen stimmen zu: »Der Rechtsextremismus wird in den Medien hoch gekocht.« #MitteStudie
Mit 54 RT folgt:
42,1% der Deutschen stimmen zu: »Die meisten Asylbewerber werden in ihrem Heimatland gar nicht verfolgt.« #MitteStudie
Dahinter mit 43 RT:
8,4% der Deutschen stimmen zu: »Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen.« #MitteStudie
In dem Ranking der Tweets ergibt sich so etwas wie eine gemeinsame Lektüre oder Bewertung der Studie. Insgesamt 782mal wurden die Tweets zur #Mittestudie in dem vom Twitter Monitor betrachteten Umfeld weitergeleitet. Allerdings: lang nachgehallt hat die Aktion erst einmal nicht. Nach 3 Stunden war die Aufmerksamkeit wieder versiegt.
Dann kam es kurz vor Mitternacht nochmal zu einem Anstieg. Da hat nämlich der @Schmidtlepp zwei der Tweets von @Freddy2805 retweetet:
31,5% der Deutschen stimmen zu: »Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenem Land.« #MitteStudie
Jetzt können wir schauen, ob morgen, wenn die Medien aufwachen, sich nochmal etwas tut.
Twitter Monitor – Mittwoch, 19. November 2014
#r2g Datentroll und Parteivolk
Politik – und Parteipolitik sowieso – macht immer nur einen Anteil am Politischen aus. Wie gross der ist, lässt sich so leicht nicht sagen. Seit Nutzer in sozialen Medien eigene Themen setzen, zeigen sich die Grenzen des Politikbetriebs deutlich. Um so spannender, die Lage der alten Medien zu beobachten, die es sich im Umfeld der institutionalisierten Politik eingerichtet haben, und mit dem Einbruch des großen Rests oft nicht sonderlich viel anfangen können. Dass Journalismus sich unter diesen Umständen mit Aktivismus trifft, ist eine erwartbare Konsequenz. Doch folgt daraus keineswegs, dass die unabhängigen Nutzer immer Recht hätten.
#r2g ist so ein Fall eines ganz traditionellen Politik-Themas, das kaum einen Nutzer auf die Schirme lockt. Parteivolk bleibt weitgehend unter sich, genauer die Angehörigen der drei Koaltionsparteien, und dazu noch einige Medien. Twitter spiegelt da erst einmal nichts weiter wider als die Mobilisierung der Parteien nach innen, begleitet von Verlautbarungs-Journalismus.
Wenn das Parteivolk einen Ausflug unternimmt, kommen auch ein paar Steinewerfer. Ein überkritischer Revanchist der alten DDR hat den ganzen Tag versucht, als Daten-Troll im Einzelkämpfer-Modus unter dem Hashtag #SED die #r2g zur Gewissensfrage hochzuwiegeln, indem er Namen von Opfern des alten Staates aufzählt. Bis es selbst dem MDR reicht und der Sender sich verbittet, in den Tweets weiter genannt zu werden. Die Zahl seiner Follower stieg von 56 auf 66.
Twitter Monitor – Dienstag, 18. November 2014
Von #Anstalt über #dieAnstalt zur Flüchtlingspolitik
Es gibt manchmal bemerkenswerte Bewegungen von Themen. Da ist erst etwas offiziell gesetzt, dann wird’s leicht verschoben, um am Ende radikalisiert weitergeführt zu werden.
Das ist gestern mit der Anstalt passiert. #Anstalt ist der offizielle Sendungs-Hashtag von @zdf (474). #dieAnstalt schreibt zwar auch das zdf (189), aber insgesamt wird der Ton dort etwas emotionaler, rückt näher an die Zuschauer, etwa bei @norberthense :
Das Berührenste, was ich je – JE!!! – im deutschen Fernsehen zu Gesicht bekam! #dieanstalt
Zu beiden Versionen gibt es eine aktivistische Fortsetzung.
Bei @jbrunotte geht die #Anstalt in #machtdietoreauf über:
@ZDF Verdient! #Anstalt trommelt gegen die Festung Europa und gibt den Flüchtlingen Gesicht und Stimme! #machtdietoreauf.
Dagegen wird aus #dieAnstalt eher #refugeeswelcome, etwas bei @FreakkaerF
Ich glaube ich habe noch nie über “Kabarett” geweint. #dieAnstalt #refugeeswelcome
Nicht, dass da grossartige Unterschiede in den Ansichten vorliegen müssen. Obwohl sich das rhetorisch ein wenig auseinanderdröseln lässt. Klingt jetzt vielleicht spitzfindig.
Wer „#dieAnstalt“ schreibt, distanziert sich etwas vom offiziellen Wortgebrauch der Anstalt ZDF. Das passt wiederum dazu, die Flüchtlinge direkt anzusprechen, und also auch nicht auf deutsch. Wer dagegen bei der offiziellen #Anstalt bleibt, windet sich mit dem nächsten Satz an eine Institution, die das Problem richten soll, spricht also nicht die Flüchtlinge, sondern im Zweifelsfall Politiker an „Macht…auf!“ Hinter den zwei verschiedenen Formen müssen wie gesagt gar nicht verschiedene politische Haltungen stecken, aber sie deuten doch auf eine jeweils andere Position.