#2-Grad-Ziel

Trügerische Hoffnungen – Klimapolitik nach den US-Wahlen

von , 8.11.12

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ging ein großes Aufatmen durch die europäische Klima-Community. Hätte Mitt Romney die Präsidentschaftswahlen gewonnen, wären die internationalen Klimaverhandlungen auf Jahre blockiert gewesen. Mit der Wiederwahl Obamas besteht immerhin die Hoffnung, dass es nach Jahren des faktischen Stillstands möglicherweise doch wieder Fortschritte geben könnte.

Es ist fast ein wenig beängstigend, wie sehr sich selbst renommierte Klimaforscher  nun an eine kurze Sequenz von Obamas Siegesrede zu klammern beginnen:

„We want our children to live in an America that isn’t burdened by debt, that isn’t weakened up by inequality, that isn’t threatened by the destructive power of a warming planet.“

Einmal ganz abgesehen davon, dass hier lediglich von us-amerikanischen Kindern die Rede ist und die Frage, wie man sie vor den Folgen der Klimaerwärmung schützen kann, auf sehr unterschiedliche Weise beantwortet werden kann (Emissionsreduktionen, Anpassung, Geo-Engineering) – die Hoffnungen auf einen „Klimawandel“ in den USA und eine konstruktivere Rolle in den UN-Klimaverhandlungen werden sich wohl als trügerisch erweisen.

Barack Obama dürfte seiner Haltung treu bleiben, dass sich die USA im UN-Rahmen erst dann zu Emissionsminderungen verpflichten, wenn deren Umfang zuvor in einem nationalen Klimaschutzgesetz festgelegt worden ist. Ein solches Gesetz scheiterte 2010 schon einmal im Kongress, trotz einer damals noch komfortablen Mehrheit der Demokraten. Ein ernsthafter Neuanlauf ist in den kommenden Jahren nicht zu erwarten. Dazu ist das Klimathema bei den Republikanern, die das Repräsentantenhaus weiterhin kontrollieren, ideologisch zu stark aufgeladen. Daran können auch Extremwetterereignisse wie zuletzt Hurrikan Sandy wenig ändern, zumal deren Wahrnehmung in den USA nicht so eindeutig ausfällt, wie von Klimaschützern meist erhofft. Auch die in den USA zuletzt gesunkenen CO2-Emissionen sind nicht Ausdruck einer ehrgeizigen Klimapolitik, sondern Nebenprodukt des Umstiegs von Kohle auf heimisches Shale Gas.

Die eigentliche Sollbruchstelle der internationalen Klimapolitik liegt allerdings nicht in der Haltung der USA, sondern darin, dass sich die Europäische Union von der Haltung der USA in extremer Weise abhängig macht. Beim letzten Klimagipfel in Durban Ende 2011 ist es den Europäern gelungen, einen Verhandlungsfahrplan durchzusetzen, der zu einem umfassenden und ehrgeizigen Weltklimaabkommen führen soll. Die Einigung auf einen globalen Klimavertrag soll bis Ende 2015 erfolgen, sein Inkrafttreten 2020. Ein solches Abkommen würde erstmals ambitionierte Reduktionsziele für bisherige Klimaschutz-Blockierer wie Indien, China oder die USA einschließen und soll eine Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf zwei Grad Celsius ermöglichen. Die Erfolgsaussichten sind jedoch sehr gering. Die Verhandlungen sind im vergangenen Jahr kaum weiter gekommen, angesichts stetig steigender Emission gerät das 2-Grad-Ziel allmählich außer Reichweite. Der US-Chefverhandler Todd Stern forderte im Sommer bereits, man möge sich von einem konkreten Temperaturziel doch lieber ganz verabschieden.

Selbst, wenn die neue alte US-Regierung 2015 einem globalen Abkommen wider Erwarten zustimmen sollte, obwohl es kein nationales Klimagesetz gibt, so stünde der Welt noch ein quälender Ratifizierungsmarathon bevor, der erfahrungsgemäß weit länger als fünf Jahre dauert. Sollte am Ende im US-Senat keine Zweidrittelmehrheit für das Vertragswerk zustande kommen, wäre alles Warten umsonst gewesen – während die Emissionen weiter ansteigen. Denn das kollektive Warten auf den einen “großen Wurf” wird vielen unwilligen Staaten und Industriezweigen die Möglichkeit bieten, ihren mangelnden Ehrgeiz mit Verweis auf das fehlende globale Abkommen zu legitimieren. Das wäre der sichere Weg in die klimapolitische Sackgasse. Dann bliebe nur noch die Option der technischen Klimamanipulation.

An einer solchen Entwicklung können die klimapolitischen Vorreiterstaaten Europas eigentlich kein Interesse haben, auch weil sie ihren Vorsprung bei der Entwicklung emissionsarmer Technologien nicht entwertet sehen wollen. Es wäre sehr riskant, den eben eingeschlagenen Pfad der Transformation zu emissionsarmen Volkswirtschaften an die fragwürdige Hoffnung auf einen epochalen Durchbruch in den internationalen Klimaverhandlungen zu koppeln. Wenn die EU ein klimapolitisches Negativ-Szenario tatsächlich vermeiden will, wird sie nach neuen Ansätzen suchen müssen.

Erforderlich ist ein neuer klimapolitischer Pragmatismus, für den noch kein ausgearbeitetes Drehbuch existiert. Die Europäer stehen zum einen vor der ganz praktischen Aufgabe, zu zeigen, in welchem Maße eine Dekarbonisierungs-Strategie unter heutigen Bedingungen technologisch und ökonomisch machbar ist, und die neben dem Klimaschutz etwa auch der Energieversorgungssicherheit dienen kann. Zum anderen werden sie international auf eine sehr viel flexiblere Klimapolitik-Architektur setzen müssen. Wo globale Verträge nicht erreichbar sind, sind sektorspezifische Abkommen anzustreben, mit jeweils gerade so vielen Teilnehmern, Anreizen und Sanktionsinstrumenten, wie es sie zur Erzielung konkreter Fortschritte braucht.

Pragmatischen Ansätzen in der Klimapolitik wird häufig entgegengehalten, dass sie dem Ausmaß künftiger Klimawandelfolgen nicht gerecht würden, dass sie zu wenig visionär seien, dass sie die herausragende Rolle der UN nicht würdigten. Alle diese Argumente zielen letztlich auf das Primat einer «optimalen» Problemlösung. Nach zwei Dekaden weitgehend erfolgloser Klimaverhandlungen wäre es an der Zeit, über alternative Wege nachzudenken. Bei der Begrenzung des Klimawandels ist nicht die konzeptionelle Eleganz des Politikansatzes entscheidend. Im Mittelpunkt müssen messbare Fortschritte bei der Reduktion von Treibhausgasemissionen stehen.

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