#Margot Käßmann

Tinker im Rheinland: „Invasoren“, „Okkupanten“ und sommerlicher Rassismus

von , 20.8.17

Sie heißen Pavee. So nennen sie sich nämlich. Das Wort bedeutet im irisch-gälischen Händler. Von der Lebensart und von den traditionellen Berufen her betrachtet, die sie ausübten, stehen die Pavee den deutschen, schweizerischen und österreichischen Jenischen nahe. Nach wie vor ziehen viele der Pavee vom Frühjahr bis in den Herbst umher, um Arbeit anzubieten und gegebenenfalls etwas zu reparieren. Einige Zehntausend solcher Pavee-Familien soll es noch geben. Sie sind Bürgerinnen und Bürger der EU. Mit Rechten wie du und ich. Sie halten sich also nicht illegal im Rheinland auf, wenn sie Wohnwagen an Wohnwagen zur Sommerzeit über Straßen brausen, um etwa in Kevelaer oder anderswo Wallfahrtsorte und Gottesdienste zu besuchen, Heiraten zu feiern. Sie sind Katholiken, was manchen merkwürdig erscheint, denn sie fügen ein warnendes „sollen sie sein“ ein. Ob diese Leute meinen, Christus sei allein für sie gestorben und nicht für die Pavee, bleibt hierbei offen.

Seit Jahrhunderten ziehen sie umher, pflanzen sich auf öffentliche Plätze, pochen auf seit Jahrhunderten praktizierte Gewohnheiten – um regelmäßig zu hören: Campen abgelehnt. Verboten. Frist bis heute Nachmittag. Dann müsst ihr euch verdrückt haben. Ansonsten wird abgeräumt. Da sie immer und immer wieder abgelehnt und verjagt werden, fragen sie erst gar nicht mehr, ob sie hier oder da campieren dürfen. Verwaltungsrecht kontra Generationengewohnheit. Unsere auf Quadratzentimeter Nutzung „geeichte“ Gegenwart trifft auf die traditionsstarken Platzbesetzer. Immer wieder vorwurfsvoll zu hören: Die fahren ja Luxusautos! Offenkundig können manche sich Menschen mit wechselndem Aufenthalt nur in „Rostlauben“ vorstellen. Pavee, Tinker, Landfahrende ätzen Vorurteile frei. Die Autos sind nicht geklaut, sondern Statussymbol, so wie uns der Kirschlorbeer ums Haus, das kühlende Weinregal, der offene Kamin oder ein Fernseh-Bildschirm für lockere 10 000 Euro beziehungsweise der Armani-Zwirn zum Statussymbol geworden ist. Und wenn die Frauen etwas prollig daher kommen, weil sie bunt schön finden, sollten wir die Nase nicht rümpfen. Für solche Frauen hat Shakespeare die Zeilen geschrieben:

 

„Komm, milde, liebevolle Nacht! Komm, gib

Mir meinen Romeo! Und stirbt er einst,

Nimm ihn, zerteil’ in kleine Sterne ihn:

Er wird des Himmels Antlitz so verschönen,

Dass alle Welt sich in die Nacht verliebt“ –

und nicht für die Catwalk-Bewohnerinnen aus der Glotze.

 

In England werden Pavees abschätzig „Tinker“ genannt, übersetzt Zinnkessel-Flicker, Traveller oder einfach Gypsys für Zigeuner und in Irland Itinerants. Pavees sind im Übrigen nicht krimineller als andere Gruppen. Man macht aber wegen jeder Schlägerei unter denen und wegen jedem Wildpinkler aus deren Reihen mehr Buhei als bei anderen.

Und natürlich kühlten auch in diesem Jahr wieder diverse Medien ihr Mütchen an den Pavee-Tinker-Travellers:

„Die Invasion ist nicht zu übersehen, es steht Wohnwagen an Wohnwagen, genau dort, wo in Düsseldorf die Rheinkirmes stattfindet. Rund 500 irische Wanderarbeiter haben die Rheinwiesen okkupiert, ohne Vorankündigung, einfach so. Sie sollen weg, doch so schnell wie gefordert klappte das nicht.“ Nebenbei bemerkt: Die dortige Rheinkirmes war bereits vierzehn Tage vorbei.

Mehrfach hatte sich der WDR zu Beginn des Monats August mit diesen „Invasoren“ beschäftigt, weil die irischen Wanderarbeiter – und deren Familien – verschiedene NRW-Kommunen besucht hatten. Freunde haben sie im WDR offenbar nicht. „Irische Landfahrer mischen Iserlohn auf“, hieß es in WDR-Nachrichten am 11. August 2017.

Mit den Begrifflichkeiten kam man im WDR eben nicht klar. So behauptete Thorsten Risch am 8. August 2017 im WDR-Fernsehen, die Pavee würden sich selber als Gypsys bezeichnen.

So ging das über die Jahre hinweg. „Irische Traveller sorgen für Wirbel in Bonn“, überschrieb der Bonner General-Anzeiger eine Geschichte am elften August 2013. „Die Tinker fallen im Stadtbild schon optisch stark auf, vor allem die jungen Mädchen. Sie tragen meist sehr knappe, neonfarbene Kleider…“

Vergangenen Jahres war es in Bonn wieder so weit: Polizei – 40 Beamte – räumte wegen der Besucher/innen in bunten Kleidern und in Luxuskarossen einen Landfahrerplatz in der Nähe der Stadt. Anwesend außerdem die Feuerwehr und – man lese und staune – ein Schnellrichter. Begründung: Verdacht auf Haufriedensbruch, Sachbeschädigung und Diebstahl eines Fahrrads. Ein Schnellrichter kümmert sich um ein geklautes Fahrrad. Donnerlüttchen habe ich gedacht, die sind aber auf Zack; das ist ja schon hyperaktiv.

Darstellungen wie die zitierten findet man in der NRZ, im Kölner Express, in der Westfalenpost, in hessischen Zeitungen, gar im Berliner Tagesspiegel. Lediglich im Bonner GA war wieder Tage ein sachlicher Bericht über die Pavee und deren Verhalten, Regeln und Herkunft, verbunden mit einer Warnung vor gängigen Vorurteilen zu finden.

Die Süddeutsche Zeitung machte keinen Bogen um den täglichen Rassismus. Sie berichtete am 29. April 2011: „Nach einem ausgedehnten Besuch der Stadt Köln am Wochenende haben manche Bewohner dort aber eher das Gefühl, es mit einer ‚marodierenden’ ethnischen Minderheit zu tun gehabt zu haben. So nannte ein Polizeisprecher das Verhalten einer Gruppe aus Irland, die zu der auch ‚Tinker’ oder ‚Traveller’ genannten Minderheit gehört.“

Eine marodierende ethnische Minderheit? Im Rheinland? Als sinnverwandt mit marodieren werden die Verben plündern, brandschatzen, ausrauben genannt. Eine plündernde, brandschatzende ethnische Minderheit in Köln? Das macht stutzig. Was hatten die Tinker-Traveller denn angestellt?

Noch mal die Süddeutsche: „Sie prellten die Zeche und prügelten sich, sieben Iren wurden deswegen in Gewahrsam genommen.“

Zechprellerei und anschließendes Prügeln soll ja öfter vorkommen. Und was sonst? Tote, Schwerverletzte? In Flammen gesetzte Häuser, Brandanschläge? Entführungen, Molotowcocktails auf Polizisten, Stahlkugeln aus Zwillen auf die Ordnungshüter? Die SZ zum dritten Mal: „In Bad Brückenau randalierten sie in mehreren Lokalen und bewarfen die anrückende Polizei von einem Dach aus mit Ziegelsteinen. In Minden gab es eine Schlägerei im Saal eines Steakhauses. Die Bediensteten der städtischen Ordnungsämter schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, wenn die ‚Tinker’ wieder anreisen und öffentliche Plätze mit ihren zahlreichen Wohnmobilen besetzen.“

Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Beschäftigte der Ordnungsämter verzweifelt die Arme heben und die Hände ringen. Schreckliches muss da geschehen sein. Daher die SZ zum vierten Mal: „Die Polizei Saarbrücken berichtete erstaunt von ‚leicht bekleideten Damen in neonfarbenen Oberteilen“. Das sei die typische „‚Tinker’-Tracht“, fügte die große Überregionale aus eigener Ansicht hinzu.

Die Saarbrücker Zeitung war ein wenig ausführlicher: „Nach eigener Aussage haben sie sich (die Pavee) in Burbach getroffen, um gemeinsam am Sonntag, 15. August, Mariä-Himmelfahrt, zu feiern. Davon waren allerdings die Inhaber der Geschäfte in der Nähe des Festplatzes nicht begeistert. Diejenigen, die gestern Nachmittag mit der SZ sprachen, zeigten sich größtenteils geradezu empört über das Verhalten der Landfahrer. Ein Unternehmer hatte sogar bereits an Oberbürgermeisterin Charlotte Britz, SPD, geschrieben und ‚um umgehende Herstellung von Ordnung, Sicherheit und Hygiene’ auf dem Festplatz gebeten. Mehrere andere Unternehmer – die ausdrücklich nicht mit Namen genannt werden wollen – berichteten gestern von ‚starker Belästigung durch Dreck, Lärm und Fäkalien’. Und die Polizei bestätigte, dass diese Beschwerden berechtigt seien. Außerdem erzählten zahlreiche Burbacher, sie hätten viele ‚auffällig leicht bekleidete junge Frauen und Mädchen mit neonfarbenen Oberteilen und kurzen Röcken’ gesehen, die in kleinen Gruppen durch die Straßen gestreift seien. Einige Beobachter äußerten die Befürchtung, dass ‚diese Frauen und Mädchen’ der Prostitution nachgehen könnten.“

Sozial ablehnend, überheblich und kulturell gönnerhaft – so begegnet ein Teil der etablierten Medien den Wanderarbeitern. Zwei Beispiele: Dem „Wanderhandwerk und dem Hausierhandel geht die Gruppe schon seit Jahrhunderten nach. In dieser Zeit haben die Tinker sogar eine eigene Sprache – „Shelta” – entwickelt“, berichtete Focus.

Nicht zu glauben: Die haben eine Sprache entwickelt. Na so was. Eine andere Quelle wusste: „Die Tinker sind eine Nomadengruppe mit irischen Wurzeln, die dafür bekannt sind, sich auf öffentlichen Plätzen niederzulassen.“

Zusammengefasst und ein wenig zugespitzt lässt sich sagen: Invasoren und Okkupanten, Marodeure plus neonfarben gekleidete Töchter, Schwestern, Ehefrauen; Müll und Allotria und n’paar abgebrochene Außenspiegel. Ich schätze nach jedem Bundesliga Spiel mit Risikofans ist mehr zu beklagen.

Okay, okay, Pavee sind manchmal schwierig und anstrengend und können wütend machen. Aber nichts begründet dieses „von oben herab“ auf Pavee blicken. Nichts rechtfertigt die durch manche Berichte schimmernde Verachtung. Was lässt sich noch über dieses Leute sagen, die manche in Schnappatmung versetzen und einige zu fürchten scheinen wie die Römer den Hannibal vor den Toren der ewigen Stadt?

Der Schriftsteller Paul Harding hat 2009 ein zu Herzen gehendes Buch über den Tod eines Uhrmachers namens George Washington Crosby geschrieben. Er erhielt für das Buch den Pulitzerpreis. Das Buch trägt den Titel „Tinkers“ – sowohl im amerikanischen als auch im deutschen. Tinker, das sind diejenigen, die etwas reparieren und flicken können. Crosbys Vater war ein „Tinker, Kesselflicker, Kupferschmied. Hauptsächlich aber Besen- und Bürstenhöker.“ Der Höker war einer, der seine Ware in der Hucke auf dem Rücken trug, um aus der Hucke zu verkaufen.

Kinder kennen das Wort Tinker übrigens durch Walt Disneys Tinker Bell-Filme; Filme über eine lebenslustig- aufbrausende Fee, die sich für Maschinen interessiert und die Dinge reparieren kann.

Angehörige unserer gebildeten Stände erinnern sich vielleicht an Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung mit dem betrunkenen Pavee Sly, der aus Jux zum Schlossherren gemacht wird.

Krimifans ist der Tinker aus dem Titel des John le Carre-Romans „Tinker Tailor Soldier Spy geläufig. Der Titel ist Teil eines Abzählreimes (in der landläufigen Version: „Tinker, Tailor, Soldier, Sailor, Rich Man, Poor Man, Beggar Man, Chief“).

Vielleicht ändert sich ja doch etwas, wenn künftig nicht nur im GA sachlich berichtet wird. Merkwürdig bleibt bis heute freilich, dass sich kein prominenter Zeitgenosse gegen die Diskriminierung der Pavee gewehrt hat – auch die stets Berufenen wie der „Herr FREITAG“-Augstein, der „arme Leute“-Schneider oder Frau Bischöfin Käßmann nicht.

Kevelaers Bürgermeister Dominik Pichler ist da aus anderem Holz: Er gesteht ein, dass sich die Iren mitunter nicht so verhalten, wie man es sich von Gästen wünscht. Dadurch fühlten sich einige Bürger in Kevelaer belästigt. So gebe es zum Beispiel Klagen wegen Lärmbelästigungen. „Das haben Sie aber an Karneval oder beim Silvesterfeuerwerk auch“, sagt der Bürgermeister. „Ich erwarte von meinen Bürgern schon ein Mindestmaß an Toleranz.“

 

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