#Alexander Görlach

Entscheider deuten ohne uns die Welt: The European, das neue Onlinemagazin

von , 30.9.09

Klicken Sie gerne lange auf Webseiten herum? Dann sind Sie bei The European genau richtig: Denn häufig genug braucht es drei oder vier Klicks mit der Maus, bis man von der Startseite aus bei einem Text landet. Nirgendwo sonst gibt es so viele verwirrende Zwischenebenen und Verzweigungen: Ein Labyrinth von einem Portal im Internet.

Mögen Sie die Debatten von gestern? Auch dann liegen Sie bei The European richtig, denn der zum Start präsentierte Themenmix ist nicht wirklich aktuell. Immerhin nimmt man Bezug auf den Ausgang der Bundestagswahl, daneben wird mitgeteilt, dass jetzt Baumhäuser im Trend liegen und nicht immer direkt im Baum sitzen (müssen).

Finden Sie es richtig, wenn im Internet die Leser nicht mitdiskutieren können? Genau das ist jedenfalls bei vielen, wenn nicht gar allen Texten von The European der Fall. Es gibt keine Kommentarfunktion. Nur ausgewählte Autoren dürfen im Rahmen eines Themas mit einem als “Kommentar” bezeichneten Beitrag Stellung beziehen, Sie als Leser jedoch nicht.

Es gibt also viel zu kritisieren an diesem neuen Medium, das mit einer hohen Meinung von sich selbst antritt: “Wir geben den Stimmen das Wort, die wirklich von Bedeutung sind”, lautet etwa das Motto. “Entscheider und Multiplikatoren” will man ansprechen, jedoch ohne ein “intellektualisiertes Lehrprogramm” zu sein. Chefredakteur Alexander Görlach will gar “an eine alte kontinentale Tradition des Diskutierens” anknüpfen und “diese Tradition neu ins Netz übersetzen”. So viel Wortstapelei haben wir lange nicht mehr gesehen.

Chefredakteur Görlach und sein Venture-Kapitalgeber Lukas Gadowski kennen sich erst seit Januar diesen Jahres. Aber Gadowski war offenbar schnell vom neuen Konzept begeistert: “Die Entscheider kommentieren das Geschehen in Texten die eine knappe DIN-A4-Seite lang sind, und ‚deuten‘ uns so die Welt. Keine klassischen Ressorts, stattdessen die Power des Netzes – Yeah!”

Doch The European spring viel kürzer und ist viel banaler. Dem ersten Eindruck nach kommt die Website wie ein rechter Freitag mit Cicero-Eitelkeit daher. Ähnlich wie bei der Freitag wird hier Sendungsbewußtsein mit einigem Stolz mit sich herumgetragen, nur diesmal auf katholisch-neowertkonservativ gedreht. Vom Magazin Cicero hat man die Vorliebe für die ganz “großen Köpfe” übernommen, die Einheit von Prominenz, Repräsentation und Deutungshoheit. Insgesamt verströmt The European damit den Esprit einer Jura-Abschlussparty.

Das neue Medium setzt ausschließlich auf Meinung (nicht Analyse) und will explizit kein Nachrichtenmedium sein. Unter den regelmäßigen Autoren finden sich wenige freudige Überraschungen – von brandeins-Autor Thomas Ramge einmal abgesehen.

Finanzieren soll sich das Angebot über Werbung und ein Subscriber-Modell, dessen Mehrwerte weniger im Internet liegen werden, als vielmehr in Form von exklusiven Veranstaltungen. Ein solches Modell kann funktionieren. Das Medium im Internet ist dann aber nicht der Mittelpunkt, sondern nur eine Art Bindemittel und Werbeplattform für den Club selbst. Im Kern stehen die Events, die sich besonders gut rentieren, wenn die No-Show-Rate der Mitglieder relativ hoch ist (ähnlich wie bei einem Fitness-Studio, dessen Kundenstamm größer ist als die Kapazität, was aber bei den üblichen No-Show-Quoten nicht auffällt und explizit Teil der Kalkulation ist).

Beurteilt man also The European allein auf der Basis der im Internet gezeigten Inhalte, könnte ein Urteil zu kurz greifen. Denn das Geschäftsmodell sieht mehr vor, als ein paar Debattentexte, flankiert von Werbeanzeigen. Dennoch hätte man sich mehr Mühe mit dem Internetauftritt geben dürfen: Ohne Kommentarfunktion fehlt das Salz in der Suppe. Zudem fehlen den ersten Texten Links auf externe Quellen, obwohl man eigentlich “erklären und Positionen darstellen” will. Der offene Diskurs im Netz ist damit aber offenbar nicht gemeint. Schließlich ist die Usability schwach und die Orientierung wird gerade durch die fehlenden Ressorts zusätzlich erschwert. Da wartet noch eine Menge Arbeit auf das Team.

Insgesamt zeigt sich also deutlich, dass dieses Projekt allen Formulierungskünsten und Voraberklärungen zum Trotz, gerade nicht innovativ ist, sondern durch und durch konservativ: Sich von Experten die Welt erklären lassen und dabei die Errungenschaften des Social Web zu übergehen, ist kein modernes Projekt. The European dreht die Uhr wieder zurück und schafft eine Art digitalen Andachtsraum, in dem Diskussionen nach Art der “alten kontinentalen Tradition” mehr hierarchisch als demokratisch ablaufen und wo für die neuen Ansätze des 21. Jahrhunderts offenbar kein Platz ist.

Das vorläufige Fazit zu The European formuliert Ramge in seiner Kolumne selbst: “Am Ende des Tages zählt nur am Ende des Tages. Bingo.”

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