von Daniel Leisegang, 2.4.09
Mehr als 100 Veranstaltungen mit 180 Rednern und 1500 Besuchern – da sollte für jeden etwas dabei sein. Im Vordergrund stehen der rasante Wandel der Medien und die digitale Gesellschaft. Konkret geht es u.a. um Datenschutz, Urheberrechte, Social Media und Open Source.
Die Fragestellungen des diesjährigen Blogger- und Internetkongresses gleichen allerdings den vorangegangenen. Nicht ohne Grund wirken die Diskussionen auf den Bühnen schnell kraftlos. Es finden sich kaum noch Reizthemen, die Argumente sind längst bekannt und ausgetauscht.
Thomas Knüwer kam aus dem “negativen Staunen” kaum wieder heraus. Das Medienwandel-Panel zum Beispiel: “Alte Klischees – wersolldasalleslesennurjournalistenliefernqualitätundüberhaupt – wurden wiedergekäut.” Sein Fazit nach dem ersten Tag: “Die re:publica tollt nicht mehr verrückt und unbeschwert durch die Gegend.” Auch Don Dahlmann fand mehr Ratlosigkeit als Aufbruch vor: “Tatsächlich ist diese gewisse Ratlosigkeit, bei Bloggern wie bei den Vertretern der ‘alten’ Medien, omnipräsent.” Tagesschau.de wollte dagegen immerhin noch die “digitale Avantgarde” auf der Konferenz vorgefunden haben.
Auch in diesem Jahr wird vor allem diskutiert, welchen Stellenwert die neuen Medien haben. Im Zentrum steht das Kompetenzgerangel zwischen voranpreschender Notebook-Elite und defensiven Printpäpsten. Die Kluft zwischen den Schreiberzünften wird seit Jahren gepflegt, zugleich Versöhnung gepredigt. Die Digital Natives definieren sich über Abgrenzung und der Kongress droht zu der wohlbekannten Bauchnabelschau zu verkommen.
Das erstaunt, schließlich sind die Vorzüge der digitalen Medien hinreichend diskutiert. Matthias Schwenk hat zudem darauf hingewiesen, dass die Zeiten für Internet und Social Media gegenwärtig nicht rosig aussehen. Die entscheidenden Fragen auf dem Kongress müssten daher lauten: Was machen wir mit diesen neuen, mächtigen Werkzeugen in unseren Händen? Wozu nutzen wir sie?
Vor allem überrascht, dass die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise im Programm des Kongresses nicht vorkommen. Zwar fördert die Bundeszentrale für politische Bildung die Subkonferenz “Politik 2.0 – die neuen politischen Öffentlichkeiten im Netz”. Jedoch dreht sich die Diskussion auch hier vor allem um Netzneutralität, Obamas Wahlkampagne und die Blogosphäre in anderen Ländern.
Somit scheint es, als erschöpfe sich das Engagement der digitalen Avantgarde in selbstreferentiellen Meta-Diskussionen und medialen Randthemen, während die Uhren weltweit auf fünf vor zwölf stehen. Ist das nun der Shift?
Das wäre bedauerlich. Denn gegenwärtig bietet sich der Blogger-Community eine einmalige Chance. Kapitalismuskrise, Umweltverschmutzung, Krieg und globale Ungerechtigkeit bedrohen die Menschheit weltweit. Überzeugende nachhaltige Lösungsansätze sind jedoch rar.
Derzeit mangelt es allerorten an politischer und ökonomischer Kompetenz. Die Printjournalisten waren auf die derzeitige Wirtschaftskrise nicht vorbereitet. Es fällt ihnen schwer, verständlich zu beschreiben, wie es überhaupt soweit kommen konnte. Niemand vermag zudem darzulegen, wie man die Rezession effektiv bekämpft oder Alternativen im postneoliberalen Zeitalter aussehen könnten. Die Berufsjournalisten der alten Medien müssen – behäbig, wie sie sein können – selbst erst einmal verstehen lernen, was momentan vor sich geht.
Blogger, Micro-Blogger und Social-Media-Experten hingegen könnten die vielbeschworene “Weisheit der Massen” wirksam einsetzen, um Antworten auf die drängenden Herausforderungen zu finden. Auf diese Weise ließe sich eindrucksvoll belegen, dass sie das Potential der vernetzten Kommunikation zielgerichtet und tatsächlich emanzipatorisch zu nutzen verstehen. Damit würden sich auch die Grabenkämpfe mit den klassischen Medien erübrigen. Die Legitimation der neuen Dialogmedien resultiert dann schlicht aus den überzeugenden Ergebnissen der digitalen Deliberation.
That’s shift, baby.