Arbeiten 2.0: Die Ambivalenz der digitalen Arbeitsteilung

von , 19.10.08

Vernetzung und Virtualisierung der Arbeit führen zu einem Dilemma: mehr Autonomie und mehr Effizienz wird auch erkauft durch mehr Komplexität und erhöhte Notwendigkeit  zum Selbstmanagement. Mit einer Arbeit 2.0 droht ein Polarisierung der Arbeitswelt: flache Hierarchien und selbstbestimmtes Arbeiten auf der einen Seite – mehr Kontrolle und kommunikative Überforderung auf der anderen Seite.

10 Thesen von Arnold Picot über die Herausforderungen der Arbeit 2.0:

These 1: Es entstehen zunehmend modulare Einheiten!

Unternehmensinterne Arbeitsteilung wird reduziert werden weil Arbeiten wieder stärker zusammengefasst werden können. Es werden vermehrt relativ autonome, kleine und prozessorientierte Einheiten entstehen.

These 2: Die inner- und zwischenbetriebliche Arbeitsteilung verändert sich!

Innerhalb des Unternehmens nimmt die Arbeitsteilung ab. Zwischen Unternehmen hingegen nimmt die Arbeitsteilung zu, weil die Auslagerung spezieller Aufgaben durch die neuen technischen Möglichkeiten begünstigt wird. Dieser Trend wird zunehmen.

These 3: Zeitlich befristete, projektbezogene Organisations- und Arbeitsstrukturen nehmen zu!

Typisch für die vernetzten Strukturen der Zukunft sind so genannte virtuelle Unternehmen, die sich für die Lösung einer meist zeitlich begrenzten Aufgabe aus autonomen Akteuren zusammenfinden, um sich nach erfolgter Durchführung wieder aufzulösen. Sie sind in der Lage, besonders flexibel auf Kundenanforderungen zu reagieren.

These 4: Es entstehen problem-, aufgaben- und rollenorientierte Arbeits- und Kommunikationsstrukturen!

Koordinationsaufwand und Kommunikationserfordernisse nehmen durch die Vernetzung zu. Arbeits- und Kommunikationsprozesse orientieren sich dabei immer mehr  an den jeweiligen Aufgaben. Die Akteure müssen neuere Kommunikationstechniken nicht nur beherrschen, sondern sie auch aufgabenorientiert einsetzen.

These 5: Neben den klassischen kommen immer mehr vernetzte Kommunikationsmodelle zum Einsatz!

Neben der One-to-One-Kommunikation und der One-to-Many-Kommunikation entstehen verstärkt vernetzte Kommunikationsstrukturen, die je nach Bedarf auch eine Some-to-Some und Many-to-Many-Kommunikation erlauben.

These 6: In der Folge veränderter Kommunikationsstrukturen bilden sich zunehmend virtuelle Arbeitsplätze heraus!

Die verstärkte Entwicklung virtueller Arbeitsplätze wird möglich, für die Kommunikation und Kooperation nur noch vermittelt durch Informations- und Kommunikationstechnik und unabhängig vom Standort der Zusammenarbeitenden stattfindet. Die gemeinsame Bearbeitung von elektronischen Dokumenten wird alltäglich werden. Es stellt sich jedoch die Frage: Was bedeutet dies für die Gestaltung und Entwicklung zukünftiger Arbeitsprozesse? Zwei Szenarien sind denkbar: Selbstgesteuerte und fremdgesteuerte Arbeit.

These 7: Selbststeuernde Arbeitsstrukturen setzen sich durch!

Vernetzte und weniger formal-hierarchische Strukturen können in Verbindung mit virtuellen Arbeitsplätzen die Handlungsspielräume vergrößern und neuartige Freiheiten für die Gestaltung der Arbeit eröffnen. Damit wird das Szenario eines Aufgabenträgers denkbar, der am Arbeitsplatz, im Unternehmen, unterwegs und zuhause seinen Computer als zentrales Informations- und Kommunikationssystem in Verbindung mit verschiedenen mobil aufrufbaren Funktionen nutzt und unterschiedliche Rollen und Aufgaben in verschiedenen Projekten und Tätigkeitsfeldern mit verschiedenen Partnern ausübt.

Solche Arbeitsmodelle sind bereits heute durchaus realistisch. Es gibt immer mehr standortunabhängig arbeitende Beschäftigte. Unter anderem mit der Folge, dass die Grenze zwischen Arbeits- und Privatzeit verschwimmt. Dies erfordert von den betroffenen Mitarbeitern neue Fähigkeiten des Selbstmanagements. Dies verlangt auch den Aufbau persönlicher und methodischer Kompetenzen, lässt sich aber auch durch entsprechende Software unterstützen. Neben den gängigen Tools für Projekt- Zeit- und Selbstmanagement zählt hierzu auch die Möglichkeit, die eigene Erreichbarkeit selbst zu steuern.

Solche dezentralen Handlungsspielräume erfordern allerdings auch veränderte Führungskonzepte. Formalisierte Koordinierungsmechanismen und hierarchische Sanktions- und Kontrollmechanismen stoßen hier an ihre Grenzen. Erfolgsversprechender erscheinen informelle, nicht hierarchische Steuerungs- und Abstimmungsprozesse. Dazu zählen beispielsweise ergebnisorientierte Anreizsysteme, die Verankerung gemeinsamer unternehmensübergreifender Kultur – und Wertesysteme und vor allem Vertrauen.

These 8: Parallel zur Selbststeuerung entstehen vermehrt fremdgesteuerte Arbeitstrukturen!

Ebenfalls denkbar ist aber auch ein ganz anderes Szenario. Die technologischen und organisatorischen Entwicklungen lassen auch neuartige Möglichkeiten für die Überwachung und Steuerung von Beschäftigten entstehen – auch über die Distanz. Gleichzeitig sind die neuen Techniken in der Lage, die Erreichbarkeit ihrer Benutzer zu steuern. In der Folge wäre jeder zumindest prinzipiell jederzeit erreichbar. Mitarbeiter, die von der Fremdsteuerung betroffen sind, hängen an der „elektronischen Leine”.

Dieses zweite Szenario dürfte vor allem dort Wirklichkeit werden, wo standardisierte Arbeitsprozesse und -tätigkeiten ausgeübt werden. Allerdings dürften hier nicht nur die dafür klassisch prädestinierten Tätigkeiten von solchen Prozessen betroffen sein. Mittlerweile häufen sich Berichte, dass sich auch immer mehr Informations- und Wissensarbeiter durch ihre mobilen Kommunikationsgeräte verpflichtet fühlen ständig erreichbar zu sein.

These 9: Die Entwicklungen können zu einer Art Kommunikationsdilemma führen!

Bei allen zu erwartenden Vorteilen lassen sich für Arbeit 2.0 auch Probleme erkennen. So erscheint es denkbar, dass die technisch möglichen Effizienz- und Effektivitätspotenziale durch die Folgen der damit verbundenen ständigen Erreichbarkeit und ununterbrochenen Kommunikationsbereitschaft relativiert oder gar überkompensiert werden. Und damit kann eine Art Kommunikationsdilemma entstehen: Auf der einen Seite erhöht die ständige Kommunikationsbereitschaft und Erreichbarkeit Effizienz und Effektivität der Abläufe und der Zusammenarbeit, auf der anderen Seite entwickelt sie sich zunehmend zu einem echten Zeitfresser. Dieses Kommunikationsdilemma kann sich zu einer Effizienz- und Effektivitätsfalle entwickeln, weil im Ergebnis keine der parallel durchgeführten Tätigkeiten qualitativ zufrieden stellend zu Ende geführt wird. Die Umstellungskosten übersteigen die Flexibilitätsvorteile.

These 10: Es besteht die Gefahr einer Zweiteilung der Arbeits- und Kommunikationswelt!

Wir müssen also davon ausgehen, dass eine Zweiteilung der Arbeits- und Kommunikationswelt droht. Zum einen erlauben die technischen Möglichkeiten das weitgehend autonome Agieren in vernetzten, virtuellen Arbeitsstrukturen. Zum anderen entsteht eine neuartige Dimension der Überwachung. Diese Gegensätzlichkeit könnte viele Fach- und Führungskräfte in ein Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Vertrauen bringen.

Die vorliegende Beitrag ist eine gekürzte Fassung eines Textes, den Arnold Picot und Rahild Neuburger in der August-Ausgabe der Zeitschrift “Computer und Arbeit” veröffentlicht haben.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.