#Bundeshaushalt

Steuerschätzung: Das Orakel von Bad Kreuznach und seine Folgen

von , 14.5.09


Die Steuerschätzung liegt vor, und sie bestätigt die schlimmsten Befürchtungen: Allein in diesem Jahr kommen auf den Bund Steuerausfälle im Umfang von rund 50 Mrd. Euro zu. Das bedeutet, dass die Nettoneuverschuldung für den laufenden Haushalt auf bis zu 90 Mrd. Euro anschwillen wird. Zur Erinnerung: Vor nicht allzu langer Zeit machte in Berlin noch das Wort vom „ausgeglichenen Haushalt bis 2011“ die Runde – schön wär’s gewesen! Und es kommt noch dicker. Für die Jahre bis 2013 sagen die im (ansonsten idyllischen) Bad Kreuznach versammelten Experten weitere Ausfälle von in Summe weit über 300 Mrd. Euro voraus. Nach Adam Riese durchstößt die Gesamtverschuldung aller öffentlichen Haushalte von derzeit 1,7 Billionen Euro demnach schon bald die 2 Billionen-Grenze. Nur zum Vergleich: Das deutsche BIP beträgt knapp 2,1 Billionen Euro. Streng nach Maastricht darf die Gesamtschuld 60 Prozent des BIP nicht überschreiten. Aber mit den europäischen Verträgen gehen die meisten EU-Mitgliedstaaten derzeit ungefähr so respektvoll um wie die Expressionisten mit der Malerei des 19. Jahrhunderts.

Die Schuldenbremse – unsere neue Wunderwaffe

Aus der dramatischen Lage resultieren mehrere Fragen. Die erste Frage lautet: Gibt es überhaupt einen Weg, um von diesem Schuldenberg je wieder herunter zu kommen? „Klar“, sagen die Verantwortlichen in Regierung in Parlament, „dafür haben wir doch demnächst die Schuldenbremse. Die ist so genial, dass wir sie direkt ins Grundgesetz hineinquetschen. Dieses wird dadurch zwar nicht ansehnlicher, aber Ästhetik spielt jetzt bitte mal keine Rolle.“ Muss ja auch nicht. Trotzdem sollte man die neue Wunderwaffe, wonach die (konjunkturunabhängige) Nettoneuverschuldung ab 2016 auf 0,35 Prozent des BIP gesenkt werden soll (zum Vergleich: in 2009 mindestens 6 Prozent, vermutlich noch höher), etwas genauer unter die Lupe nehmen. So sind zum einen lauter Ausnahmeregeln vorgesehen, die im Kern darauf hinauslaufen, dass bei der ersten konjunkturellen Störung die Schuldenbremse sofort gelockert werden darf. Hinzu kommt: Sollten Bund und Länder doch einmal gegen die neuen Obergrenzen verstoßen, dann sind keinerlei Sanktionsmechanismen vorgesehen. So stünden unsere Haushälter zwar als Verfassungsbrecher da – aber geahndet werden sie dafür nicht.

Die zweite Frage, die aus der Rekordverschuldung resultiert, lautet: Müssen diejenigen, die noch immer nach Steuersenkungen rufen, nicht spätestens jetzt die Füße stillhalten? Diese Frage ist mit einem klaren Jein zu beantworten. Es stimmt schon: Wenn die öffentlichen Haushalte derart auf dem letzten Loch pfeifen, dann bedarf es schon einer spezifischen Form der Kühnheit, um trotzdem Steuererleichterungen – mit der notwendigen Folge des Einnahmenausfalls – zu fordern. Einem Verdurstenden nähme man ja auch nicht den letzten Schluck Wasser weg. Andererseits zeigt ein Blick auf die Reagan- und Thatcher-Jahre, dass Steuersenkungen over time in aller Regel zu einem Aufschwung und damit zu sprudelnden Steuerquellen führen. Steuersenkungen wären demnach, etwas Geduld vorausgesetzt, gerade nicht der sichere Weg in den Bankrott, sondern das Tor zu neuem Wachstum mit der Folge höherer Rückflüsse an den Staat.

Ab Juli macht Arbeiten Spass

Für Steuersenkungen spräche im Übrigen die dieser Tage veröffentlichte OECD-Statistik, wonach Gering- und Durchschnittsverdiener in kaum einem anderen Land so stark belastet werden wie in Deutschland. So liegt die Steuer- und Abgabenlast des allein stehenden Geringverdieners bei über 47 Prozent, das sind 14 Prozentpunkte über dem OECD-Durchschnitt: Der Mann oder die Frau arbeitet faktisch bis zur Jahresmitte für den Staat. Ein Ehepaar mit zwei Kindern wird mit 24,1 Prozent belastet, gegenüber 14,5 Prozent im OECD-Raum. Mehr Netto vom Brutto würde in beiden Fällen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu mehr Konsum und damit zu mehr Steuereinnahmen führen.

Wie viele Bundesländer brauchen wir?

Es gibt aber noch einen anderen Weg, der neuen Spielraum für zumindest punktuelle, Wachstum stimulierende Steuererleichterungen eröffnen könnte: Ausgaben kürzen! Es fällt schon auf, dass kein Regierungsvertreter von Rang sich derzeit über die Möglichkeit der Kürzung von Staatsausgaben vernehmen lässt. Dabei sollte, was jedem Unternehmer in der Krise recht ist (nämlich die Kostenschere anzusetzen), dem Staat im Wortsinne billig sein. Zugegeben, im Wahlkampf ist das viel verlangt: Wer seine Wiederwahl nicht aufs Spiel setzen will, der hält sich mit Sparvorschlägen besser zurück – so das Kalkül. Aber vielleicht machen unsere Politiker da gerade die Rechnung ohne den Wirt? Der einfache Bürger, der jetzt den Gürtel enger schnallt, darf das mit Fug auch vom Staat verlangen. Und dann sind wir rasch bei Fragen wie „Wie viele Bundesländer können wir uns noch leisten?“ oder „Sind sämtliche Dienstreisen unserer Politiker zwingend erforderlich?“. Dieser Wahlkampf, so viel steht fest, kann ziemlich heiter werden. So hat die Steuerschätzung doch noch ihr Gutes.

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