von Hans F. Bellstedt, 4.6.10
Vielleicht sind es nur Gerüchte. Aber wenn schon die Hälfte dessen, was derzeit über die Ticker geht (z.B. „Ökonomen warnen Merkel vor Hauruck-Sparkurs“, Spiegel Online), zutrifft, dann plant die Koalition in Berlin kein Sparpaket, sondern eine Steuerorgie.
Es werden angeblich erwogen: eine Ausweitung der LKW-Maut auf vierspurige Bundesstraßen; PKW-Maut für alle ab 2012; Steuer auf Flugtickets; Brennelementesteuer für Betreiber von Atomkraftwerken; Beseitigung der reduzierten Mehrwertsteuersätze; Anhebung des Arbeitgeberbeitrages zur gesetzlichen Krankenversicherung; Anhebung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung über das beschlossene Ausmaß hinaus sowie – latest news – eine Anhebung des Solidaritätszuschlages von 5,5 auf 8 Prozent. Ach so, die Anhebung des Spitzensteuersatzes nicht zu vergessen, und natürlich die Vermögenssteuer. Wie bitte? Richtig, die Finanztransaktionssteuer und die Bankenabgabe kämen auch noch hinzu.
Wo bleibt der Subventionsabbau?
Es ist unfassbar. Mit der Schuldenbremse wollte sich die Bundesregierung ein Instrument zur Selbstdisziplinierung gegeben haben, nach dem Motto: „Selbst wenn wir nicht wollten, wir müssen energisch sparen. Denn das steht jetzt sogar im Grundgesetz“. Statt aber endlich damit zu beginnen, an die Ausgaben heran zu gehen, drehen die Parteien wie besessen an der Einnahmenschraube. Und würgen damit genau jenes Stück Wachstum ab, das unser Land dringend braucht, um aus der Krise heraus zu kommen. Schwarz-Gelb verspielt seinen letzten Kredit.
Klar, gespart werden soll auch, namentlich an der Bundeswehr, am Elterngeld und – kein Scherz – am Berliner Stadtschloss. Aber an die wirklich heißen Eisen traut sich, den Blick fest auf die Landtagswahlen in 2011 gerichtet, mal wieder keiner heran: Wo bleibt der beherzte Subventionsabbau? Wer stellt sich hin und räumt ein, dass die ermäßigte Hotelsteuer ein Fehler war? Wer baut den (über 140 Milliarden Euro schweren) Etat für Arbeit und Soziales so intelligent um, dass bei absoluter Kürzung der Gesamtmittel trotzdem nicht weniger Geld bei den wirklich Bedürftigen ankommt? Und wer entschärft die Zeitbombe der Pensionsverpflichtungen im Öffentlichen Dienst? Och nö. Dann lieber die Steuern rauf.
Aber warum eigentlich? Wir ächzen doch nicht deshalb unter 1,7 Billionen Euro Schulden, weil wir Griechenland vor dem Bankrott bewahren mussten. Sondern weil seit Jahrzehnten in unserem Gemeinwesen die Anreizsysteme falsch gesetzt werden. Jetzt ist der Moment, Arbeitsmarktprogramme zu überprüfen, Gratifikationen für Nichtbedürftige auf Beitragsfinanzierung umzustellen und Verwaltungsineffizienzen abzubauen. Jetzt – und nicht übermorgen.
Mehr Mut statt “Muddling-through”
Das Vertrauen der Bürger in die Gestaltungsfähigkeit der Politik ist auf einem Tiefpunkt angelangt. Wenn vier von zehn Wählern, wie in NRW geschehen, nicht zur Wahl gehen, dann ist das ein Armutszeugnis – für die Politik. Anstatt aber endlich aufzuwachen und sich zu fragen: „Durch welche Signale können wir die Menschen wieder ins Boot holen?“, soll denen, die den Pflug ziehen, offenbar noch tiefer in die Tasche gegriffen werden. Dass das die politische Mitte immer weiter schwächt, während die Extremen sich ins Fäustchen lachen – das kapiert offenbar immer noch keiner.
Mutiges, intelligentes Sparen, vorbehaltlose Überprüfung von Staatsaufgaben nebst Abschaffung nicht nachvollziehbarer Steuerprivilegien (z.B. für Hotels) – das wäre ein großer Wurf im Sinne des „Primats der Politik“. Steuererhöhungen hingegen sind ein Ausweis von Einfallslosigkeit, Besitzstandshandeln und Muddling through. Liebe Koalitionäre, ihr habt – auf Zeit – die Macht. Jetzt beweist doch endlich mal Mut.