von Christian Henner-Fehr, 17.10.14
Es gibt Tage, da weiß ich nicht, ob ich mich freuen oder ärgern soll. Dienstag war so ein Tag. Ein Tag, der klären sollte, wer für die Stadt Bregenz einen digitalen Erlebnisraum entwickeln darf. Die Entscheidung sollte im Rahmen eines Wettbewerbs fallen, zu dem drei Anbieter eingeladen waren. Gemeinsam mit einer Kollegin und drei Kollegen habe ich im Sommer an einem Konzept gearbeitet und es zusammen mit zwei Personen aus unserem Team vor wenigen Tagen präsentiert. Spannend und lehrreich war für mich, dass die Jurysitzung öffentlich ablaufen sollte, denn wann erfährt man schon, wie so eine Jury zu einer Entscheidung kommt?
Leider hat die Jury aber nicht wirklich eine Entscheidung getroffen, denn alle drei Konzepte wurden auf den ersten Platz gesetzt. Für mich stellt sich die Frage, ob das der Sinn und Zweck dieses Modus ist, sechs Experten zu versammeln und dann zu keinem Ergebnis zu kommen. So ist die Entscheidung aufgeschoben, aber wir sind weiterhin zuversichtlich, dass unser Konzept in Bregenz umgesetzt werden kann.
Sehr aufschluss- und lehrreich war die Sitzung der Jury, die vor einer interessierten Öffentlichkeit und den drei Anbietern stattfand. Für mich war es aber auch eine Herausforderung, einem Gespräch zu folgen, ohne eingreifen zu dürfen. Zumal es in der Diskussion der Jury einen Punkt gab, der mich ehrlich gesagt ziemlich geärgert und schockiert hat. Uns wurde vorgeworfen, dass unser Konzept zu abstrakt sei und keine auf Bregenz bezogenen Inhalte aufweise. Also etwa nicht die virtuelle Schnitzeljagd passend zur nächsten Opernpremiere auf der Seebühne, wie in einem anderen Konzept vorgeschlagen (ich möchte damit ausdrücklich nicht die Idee kritisieren!)
Social Media funktioniert nicht auf der Basis flotter Werbesprüche
Von einem „Skelett ohne Fleisch“ und einer „Superapp“ war da die Rede, von einem Konzept, dass auch für Coca Cola geeignet sei (nebenbei gesagt, danke für die Blumen!) und keinen Content enthalte, der zur Stadt passe. Natürlich enthielt unser Konzept keinen Content, das wollten wir aber auch nie, denn an dem Projekt sind die vier größten Kultureinrichtungen der Stadt beteiligt. Sie haben Content ohne Ende. Und nun soll ich ihnen Inhalte für den digitalen Raum liefern?
Für mich liegt da ein Missverständnis vor: Social Media funktioniert nicht auf der Basis möglichst flotter Werbesprüche und an den Haaren herbeigezogener Kampagnen, sondern nur dann, wenn die Inhalte eine hohe Qualität haben. Ich behaupte, niemand hat so viel hochwertigen Content wie Kunst und Kultur. Wo etwa ein Maschinenbauer wirklich viel Energie aufwenden muss, um den passenden Content zu finden, liegt er im Kunst- und Kulturbereich in Vitrinen oder ist auf der Bühne zu sehen. Würde ich nun mit irgendwelchen Aktionen kommen, käme das einer Entwertung von Kunst und Kultur gleich. Nicht die Inhalte der Häuser würden im Vordergrund stehen, sondern meine. Ist das nicht genau das, was Kunst und Kultur stets abgelehnt haben? Statt die Inhalte für sich sprechen zu lassen, sollen sie auf die „kreative Idee“ einer Agentur bauen? Nein, ich möchte mit meinen Konzepten und Vorschlägen lediglich Wege aufzeigen, wie man mit Hilfe eigener Inhalte bestimmte Ziele erreichen kann. Es handelt sich also um eine Art (Meta)-Struktur, die ich über das, was schon da ist, drüberlege. Das klingt sehr technisch, das ist auch erst einmal sehr technisch. Möchte ich die digitale Welt mit Leben erfüllen, brauche ich Inhalte. Inhalte, die Kunst und Kultur im Überfluss haben und damit ganz sicher nicht von mir kommen werden.
Praktische Tipps stehen höher im Kurs als die Entwicklung einer Strategie
Ich möchte nicht zu sehr auf der Jurysitzung herumreiten, darum geht es mir nicht. Im Nachdenken über diese Situation bin ich darauf gekommen, dass ich schon des Öfteren in solchen Situationen gewesen bin, ohne mir dessen wirklich bewusst zu sein. Ich werde immer wieder von Kulturbetrieben eingeladen, zusammen mit ihnen ihre Social Media-Aktivitäten aufzubauen oder zu optimieren. Meist werden ganz praktische Tipps gewünscht, wie funktioniert Hootsuite, wie erstellt man ohne großen Aufwand einen Blogbeitrag oder wie erhält ein Facebookposting möglichst viel Aufmerksamkeit.
Die Frage nach den Zielen, den Zielgruppen oder dem Weg, um es zu erreichen, wird gerne übersprungen oder doch zumindest kurz gehalten. Das hat mir übrigens in Bregenz gut gefallen, dort gab es eine ganz klare Vorgabe, nämlich die Steigerung der Nächtigungszahlen um drei bis 5 Prozent pro Jahr. Allerdings hat das die Jury dann eher nicht interessiert, es ist halt doch netter, sich über den Kulturbegriff auszutauschen, als sich mit schnöden Zahlen zu beschäftigen. Und wer sich nicht für den Kulturbegriff interessierte, verlangte nach was Neuem, nach Innovation.
Jeffrey Philipps hat darauf die richtige Antwort: „Innovation is not a Strategy“. Darin beschreibt er recht schön, wo Innovation ihren Platz hat, wenn es ein Ziel und die dazugehörigen Strategien gibt:
Grow profitability 15% over three years. Enter a new market and win 10% market share in three years. These are strategies. Innovation is a tool that helps you achieve your strategies when the every day tools can’t or won’t succeed.
Dieser Absatz ließe sich ja schon fast auf Kulturbetriebe beziehen, wenn sie solchen Zielen nicht so ablehnend gegenüberstehen würden. Und wenn wir statt der Profitabilität von Nächtigungszahlen sprechen, haben wir schon beinahe ein Modell für die Stadt Bregenz. Und dann könnte man sich darüber unterhalten, mit Hilfe welcher innovativen Tools sich dieses Ziel und die damit verbundene Öffnung in Richtung neuer Märkte (oder Zielgruppen) erreichen ließe. Und erst dann beginnt der kreative Akt, die Entwicklung von Ideen, aus denen heraus dann Spiele entstehen, virtuelle Touren oder was auch immer. So wie die Jury in Bregenz möchte man oft das Pferd von hinten aufzäumen und mit den kreativen Ideen beginnen. „Ist doch alles so schön bunt hier“, heißt es in einem der Lieder von Nina Hagen. Nicht dass ich die schöne bunte Welt ablehne, nein, aber als Selbstzweck ist (mir) das zu wenig, zumindest für Kultureinrichtungen, die nicht in Geld schwimmen.
Aber ich bilde mir ein, nun besser zu verstehen, wo der – oder besser ein – Knackpunkt für erfolgreiches Social Media-Marketing zu finden ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass Social Media nicht auf der Führungsebene angesiedelt ist und die Social Media-Verantwortlichen gar nicht auf der strategischen Ebene mitreden bzw. mitentscheiden dürfen? Das heißt, ich muss die Dringlichkeit strategischer Überlegungen besser kommunizieren und versuchen, die Führungsetagen dafür zu gewinnen. Ich würde gerne beim stARTcamp Wien nächste Woche diskutieren, ob das wirklich der Punkt ist und wenn ja, wie sich dieses Problem lösen lässt.
Es ist ein Ansatz, der natürlich auch für einzelne Kultureinrichtungen geeignet ist. Aber ich denke, bestimmte Aufgaben auf eine übergeordnete Ebene zu heben, ist keine dumme Idee. Deshalb gefällt mir der Ansatz in Bregenz auch so gut. Dort ist es das Stadtmarketing, das kommuniziert und auch für die Umsetzung des digitalen Erlebnisraumes verantwortlich ist. Bleibt noch die Frage, auf der Grundlage welchen Konzeptes?
Update:
Ich möchte noch einmal betonen, dass ich die Ausschreibung des Stadtmarketing Bregenz für eine gute Idee halte und daran nichts auszusetzen habe. Ich kritisiere nicht den Ausschreiber, sondern die Jury bzw. deren Argumente. Nachdem die Jury ihre Kritik öffentlich geäußert hat, nehme ich mir das Recht heraus, darauf öffentlich zu reagieren. Vor, während und nach der Sitzung hatte ich dazu keine Gelegenheit.
Eigentlich geht es mir um ein generelles Problem, das den gesamten Kunst- und Kulturbereich betrifft und mit dieser Ausschreibung nichts zu tun hat. Sollte das nicht klar genug herauskommen, tut mir das leid und ich möchte noch einmal betonen, dass es mir vor allem darum geht, dieses Problem zu lösen.
Dieser Text erschien in einer leicht anderen Fassung zuerst auf kulturmanagement.wordpress.com.