#Corona-Krise

Servicewüste Corona-App

Der Irrglaube: Würde die App ausreichend Daten erheben und teilen, wäre der Lockdown passé. Das ist überzogene Technikgläubigkeit. Ein Maximum an Daten bringt nicht automatisch ein Maximum an Erfolg.

von , 29.10.20

Technikgläubigkeit und hohe Kosten: Vieles läuft falsch bei der Corona-Warn-App. Übertriebener Datenschutz gehört nicht dazu. Trotzdem schreien viele danach, ihn zu lockern, anstatt die App endlich so zu verbessern, dass sie allen etwas bringt.

Die Corona-Warn-App bringt nicht den erwünschten Erfolg. Restaurants, Theater und Cafés müssen schließen, Familienfeiern ausfallen, Kontakte ruhen. Sie dämmt die Ausbreitung der Pandemie nicht ausreichend ein, wie es die Bundesregierung versprochen hatte. Die Rufe sind laut, dass der strenge Datenschutz schuld an der Misere sei. Der Irrglaube: Würde die App ausreichend Daten erheben und teilen, wäre der Lockdown passé. Das ist überzogene Technikgläubigkeit. Ein Maximum an Daten bringt nicht automatisch ein Maximum an Erfolg. Im Gegenteil: Die App kann nur funktionieren, wenn möglichst viele Menschen mitmachen und ihr vertrauen. Datenschutz ist dafür essentiell, das hat die Kritik an einer möglichen »Schnüffel-App« von Anfang an gezeigt. Wer jetzt also nach mehr Daten ruft, gibt sich nicht einmal die Mühe, genauer hinzusehen und das Maximum an dem rauszuholen, was Deutschland für den Schutz aller investiert.

Über 60 Millionen Euro investiert die Bundesregierung in die App, Entwicklung, Infrastruktur, Betreuung und Marketing. Das Robert-Koch-Institut (RKI) ist dabei, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sowie der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft durften ihre Meinung sagen und Ansprüche formulieren, zumindest zu Beginn. Und als die App vorgestellt wurde, gab es breite Zustimmung sowie ausreichend Appelle, sie bitte zu installieren, inklusive Videos, Webseite, Plakate – allem, was eine Kampagne braucht. Nur hat die App Mängel, die auch Kommunikation und der Ruf nach mehr Daten nicht beheben: Sie ist eine Servicewüste für Nutzerinnen und Nutzer.

Verschenktes Potenzial

Ja, da sind noch technische Mängel. Sie läuft nicht auf allen Geräten und nicht alle Labore sind angeschlossen. Sie funktioniert bis auf wenige Ausnahmen nicht länderübergreifend. Wer eine Grenze überquert, muss die Risikoermittlung in Deutschland deaktivieren, damit die Ermittlung der lokalen App klappt. Die Corona-Warn-App wird dann inaktiv und informiert nicht einmal mehr, wenn es eine Risikobegegnung in Deutschland gab. Das ist ärgerlich und verfehlt das Ziel. Die Ermittlung kann zudem so ungenau sein, dass der Hinweis, es bestehe ein »mittleres Risiko«, weil man eventuell eine mit COVID-19 infizierte Person gekreuzt haben könnte, keine Erkenntnis bringt, nur Verunsicherung. Das sind technische Mängel, die angegangen werden müssen. Was aber besonders ärgerlich ist, sind die verschenkten Chancen, die sich leicht beheben ließen: Sie informiert nicht genug.

Wie viele Corona-Fälle gibt es aktuell? Wie viele neue kamen in den letzten 24 Stunden dazu? Wo sind die Zahlen besonders hoch? Wie sieht es in meiner Region oder Stadt aus? Die Zahlen liegen vor. Sie werden jeden Tag ermittelt und kommuniziert, nur nicht in der App. Webseiten wie der Hotspot- oder Postleitzahlen-Check zeigen, wie man die Daten des RKI einfach nutzen und Services bereitstellen kann. Warum fehlt das? Warum melden die Bundesländer nicht aktuelle Restriktionen oder die Bundesregierung alle Risikogebiete, so dass Nutzerinnen und Nutzer über auf einen Blick wissen, was wo gilt? 

Das Informationswirrwarr rund um COVID-19 könnte so übersichtlicher werden. Die App hätte konkreten Zusatznutzen, der Nutzerinnen und Nutzer motiviert, sie zu installieren und auch tatsächlich einzusetzen. Statt also auf den Datenschutz zu schimpfen, der dafür gesorgt hat, dass es breite Zustimmung aus Politik und Gesellschaft gab und dass es bis heute über 20 Millionen Downloads gibt, sollte die Anwendung endlich attraktiver werden, damit sie gerne und regelmäßig genutzt wird. Das kostet nicht viel – und es rüttelt weder an unseren Grundwerten noch an unserem Vertrauen.

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