#Crowdfunding

Sechs übellaunige Bemerkungen zu den Krautreportern

von , 15.6.14

Es wirkt übellaunig, schon am Folgetag des Fundings Beobachtungen aufzuschreiben, die den Siegestaumel stören könnten, zumal ich ja Einige persönlich kenne und schätze, zum Beispiel Christoph Koch und Hans Hütt (und sympathisch sehen sie auch aus). Ich wünsche ihnen nur das Beste.

Aber: Wer Reportagen macht, der muss dabei nicht nett sein. So ist es auch bei Beobachtungen und Analysen – sie sind nicht immer nett.

 

1. Die Ökonomisierung sozialer Beziehungen schreitet voran

Wer sogenannte virale Information in Verkehr bringt, hofft darauf, dass andere die Botschaft kostenlos verbreiten, indem sie selbst Zeit und Aufmerksamkeit aufwenden und diese in Netzwerkverbindungen ersten, zweiten und dritten Grades provozieren. Das ist die Stärke sozialer Netze, welche die bestehenden sozialen Strukturen abbilden, die zumeist nicht aus ökonomischen Gründen gewachsen sind. Wer auf Facebook verknüpft ist, ist tatsächlich aus sozialen, kulturellen, politischen und Arbeitskontexten miteinander verbunden.

Crowdfunding, in diesem exzessiven und professionellen Maß wie bei Krautreporter betrieben, monetarisiert soziale Beziehungen zugunsten derjenigen, die ökonomische Ziele verfolgen. (Die Kaskade, beginnend bei SpOn, über andere Medien, bis zur Dosierung von Supportern und einem spannenden Endspurt mit Sponsoren, war erkennbar dosiert.)

Wer die Texte von Frank Schirrmacher gelesen hat, dem werden die Ohren klingeln. Die Durchökonomisierung sozialer Strukturen und das Handeln mit Kalkül, die Existenz von Systemen, die ein bestimmtes Handlungsmuster unterstellen und damit prägen, das war eines seiner Lieblingsthemen (z. B. niedergelegt im Buch „Ego“ und endlos vielen Interviews wie hier im taz-Interview).

Man muss ihm dabei nicht folgen, und auch ich tue das nicht. Für mich sind soziale Beziehungen genau dadurch strukturiert, ja: konstituiert, dass Kenntnis (Daten über andere!) und Verpflichtungen (auf sozialer Ebene) entstehen, gerichtet auf Ziele – Handlungen, Güter, Geld.

Ist den Krautreportern aber klar, was sie mit viralen Kampagnen strukturell tun, so sollten sie künftig sorgsam mit dem Vorwurf der „Ökonomisierung“ in ihren Reportagen umgehen.

 

2. Die Übernutzung der Informations-Allmende muss geregelt und geächtet sein

Wir haben für die physische Welt soziale Regeln entwickelt, die uns vor überraschenden Transaktionsversuchen schützen: Tupperparties sind verpönt, Haustürwerbung ist reguliert, Zeugen Jehovas leben gefährlich, und wer Freunden Provisionsansprüche nicht aufdeckt, verhält sich unfreundlich. Telefonanrufe zu Werbezwecken sind weitgehend verboten, laute metallene Klingeltöne über anstehende Kirchenveranstaltungen sind normiert – im  Grunde ist jede Übernutzung von technischen Kommunikationsmitteln sozial geächtet.

Wie kann es da in Social Media sozial in Ordnung sein, Informationswege zu verstopfen und fremde Aufmerksamkeit zu kapern?

Informationswege sind unsere Informationsallmende. Zugegeben: Mit meiner Logik hätte die französische Revolution nicht stattfinden können, und es ist nicht weit bis zum distinguierten Vorwurf “digitaler Bettelei”.

Trotzdem sollten informationsökologische Kosten eigener Handlungen der Allgemeinheit nur in Grenzen aufgelastet werden, ganz wie im Umweltschutz. Die Regel „Mehr Geld durch mehr Getöse“ halte ich jedenfalls für asozial. (Und ich weiß, dass ich im Glashaus sitze.)

 

3. Der Preis für Werbefreiheit ist Werbung, der Preis für Unabhängigkeit ist Abhängigkeit

Wie auch immer man sich zu Crowdfunding via Social Media stellt: Es handelt sich um nichts anderes als um Werbung, sozial verpackt (im Marketing-Sprech: Word of Mouth, s. Mavens etc.).

Sie speist sich in das digitale Nervensystem ein und verlagert eigentlich, eben weil sie das Endprodukt werbefrei halten will („distortion-free“ und unabhängig), die Probleme nur auf einen früheren Zeitpunkt: Werbung findet nun eben in der Fundingphase statt – mit dem gleichen Werbedruck, um genauso viele Pfunde an Aufmerksamkeit zu erreichen.

Und Abhängigkeit vom Lesermarkt entsteht mit einem anderen Problem, das Schirrmacher ganz klar beschreibt und vor dem er immer gewarnt hat (und diese Meinung teile ich). Zitat:
 

„Das wird am meisten geklickt und bringt mir am meisten Geld und befriedigt das egoistische Interesse des Einzelnen am ehesten, nämlich das nach Skandalisierung und so weiter.“

 
Ein erfolgreiches Angebot, das nicht den Weg Richtung Boulevard gehen will, darf sich nicht auf Bekundungen von „Haltung“ verlassen. Es muss strukturelle, organisatorische, prozessuale Antworten finden, denn die Leserfinanzierung allein ist sicher nicht die Antwort.

(Und wenn, so wäre es eine „Positionierung“ im betriebswirtschaftlichen Sinn mit erklärtem Anspruch und Zielgruppe. Genau diese Positionierung liefern die Krautreporter mit dem Vorschlag, „Geschichten zu erzählen“, eben nicht. Schlimmer noch: Wenn irgendein Format „Geschichten erzählen“ will, dann ist es die Werbung.)

Der Preis für Unabhängigkeit ist Abhängigkeit.

 

4. “Das Netz” schützt nicht vor Camouflage ökonomischer Interessen

Krautreporter haben immer wieder mit „wir“ geworben. Was berechtigt dazu, von „wir“ zu sprechen? Vermutlich gemeint ist die Interessengleichheit von Gründern und Lesern, ein Ergebnis zu erreichen, zum Beispiel guten Journalismus mit Reportagen, neudeutsch Win-Win.

Man stelle sich Gleichartiges in anderen Branchen vor: Ein Cloud-Dienst würde mit „wir“ werben, „wir gründen einen Cloud-Service – zahle jetzt den Betrag für ein Jahr“. „Kaufe jetzt schon 12 Paar Socken und gründe so mit uns den Sockenversand der Zukunft.“ „Lass uns einen Telekommunikationsanbieter gründen und zahle jetzt Deine Handyflatrate für ein Jahr im Voraus.“

Man sieht: Das „wir“ ist nur das, was Angebot und Nachfrage verbindet, also der Regelfall in unserer Wirtschaftsordnung. Dieses „wir“, mit dem die Anbieterseite sich mit der Nachfrageseite verschmelzen will – es ist bestenfalls unangemessen anbiedernde Werbung, schlimmstenfalls ein Fraternisierungsversuch zum Zweck der Täuschung.

Ein solches “wir” ist unter Privaten möglich. Meiner Meinung nach handelt es sich aber tatsächlich um gewerbliche Tätigkeit, und sie dient ja auch dem Lebensunterhalt. Für gewerbliche Tätigkeiten sollten andere Kommunikationsregeln gelten, meines Erachtens hält sich auch sonst jeder daran. Weiter als bis zum “Du” geht nicht einmal Ikea.

 

5. Unternehmens-Placebo-Schwangerschaft mit vollem Risiko

Die Formulierung „wir gründen“ hat in vielen Kontexten den Leser mit einbezogen und als Mitgründer angesprochen. Richtig ist aber das Gegenteil: Keiner der Leser hat Stimmrechte in der GmbH, keiner hat Geschäftsanteile, keiner hat Gewinnbezugsrechte. Alle diese Rechte sind bei den Gründern verblieben. Die Leser haben in der Gesellschaft keinerlei Rechtsansprüche.

Das Einzige, was sie erworben haben, sind Lieferansprüche auf etwaige künftige journalistische Produkte.

Die Leser tragen das volle Insolvenzrisiko, und das ist häufig bis zum Ende der Fundingperiode nicht wirklich weit hergeholt, wenn Unternehmen Kapitalbedarf haben. Statt dieses Risiko auszugleichen, gewinnt der Funder aber im Gegenzug nicht einmal Rechte: Die Leser haben unsichere, unbeschriebene und unklare Produktbezugsrechte, wohingegen die Gründer schon mit erfolgreichem Funding eine Marke schaffen, deren Wert ausschließlich ihnen zufällt.

 

6. Crowdfunding muss dringend reguliert werden

Wenn es sich nicht um journalistische Produkte handelte und die Mitwirkenden nicht einigermaßen gut in der Netzszene verwurzelt wären, wenn also von Nonames unklare und nicht näher beschriebene Bezugsrechte für Heizdecken gegen Vorkasse ausgelobt würden, würden bei allen die Alarmglocken klingeln.

Schlimmer noch: Wer keinen förmlichen Businessplan hat, wer keine Mission und Vision hat, und wer noch nicht einmal ein minimales Produkt und noch weniger einen Proof of Concept hat, der kann im Online-Medienbereich maximal mit einer Bewertung von 300.000 Euro für das ganze Unternehmen rechnen.

Das bedeutet: Die Crowdfunder hätten also für den gleichen Preis drei Unternehmen zu 100% kapitalseitig übernehmen können. Statt als Kaufpreis wäre die gleiche Summe ins Stammkapital geflossen, und jeder Funder wäre beteiligt gewesen. Für den Fall späteren Gewinns hätte man sogar den Löwenanteil (sagen wir, zwei Drittel) nicht als Stammkapital, sondern als rückzahlbares Darlehen auslegen können. Für den Fall des Unternehmensverkaufes hätten die edlen Abonnierer ihren Anteil auf den Verkaufserlös des Unternehmens bekommen. Die Leser hätten so weniger Geld einsetzen und mehr unternehmerische Kontrolle haben können.

Im Grunde handelt es sich um ein Produktfunding, das nicht die geringsten Anforderungen an ein Unternehmensfunding erfüllt. Keine testierten Bilanzen, keine geprüften Planzahlen, keinerlei Haftung für Falschangaben, keine eindeutige Aussage zur Vermittlungsprovision der Sparker UG – nicht einmal die Satzung schien zur Einsicht ausgelegt.

Dass es nicht zu einem Aufschrei kam, wo doch sonst das Netz Schandtaten an jeder Ecke wittert, ist ein Zeichen dafür, dass dieser Markt dringend reguliert werden muss. Niemand hat erkannt, dass dies eigentlich ein Fall für Prospekthaftung und Verbraucherschutz ist. Eine als Unternehmensbeteiligung anmoderierte Vorschusszahlung öffnet Tür und Tor für Missbrauch und muss Regularien unterworfen werden, um Verbraucher zu schützen.

Es ist ein Glücksfall, dass es dieses Mal gut gehen wird, weil die Beteiligten sozial verwurzelt (und gut öffentlich beobachtet) sind und anscheinend persönlich den richtigen Kompass haben, wenn es auf hohe See geht.
 
Crosspost von Christoph Kappes

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