von Petra Thorbrietz, 5.5.09
Die gute Nachricht: Den Schweinen geht es schon wieder besser. Nachdem in der kanadischen Provinz Alberta ein Landwirt nach seiner Rückkehr aus Mexiko seine Schweineherde angesteckt hatte, befinden sich alle Beteiligten, Mensch wie Tiere, auf dem Weg der Besserung. Eine nette Anekdote von der Virusfront. Wie überhaupt momentan allenorts wieder abgewunken wird – soooo schlimm scheints ja nun auch wieder nicht zu sein, auch wenn die Weltgesundheitsbehörde die Warnstufe 5 ausgerufen hat – der letzte Schritt vor einer Pandemie.
Doch die öffentliche Wahrnehmung hat mit der Realität kaum etwas zu tun. Im Gegenteil: Sie schafft sich ihre eigene. Denn dass das Influenza-A-Virus in den seltensten Fällen tödlich ist, verschiebt das Problem möglicherweise nur weiter nach hinten. Wenn der Wirt nicht stirbt, hat auch das Virus mehr Chancen, sein Erbgut quer durch die Welt zu verbreiten. Schlimmstenfalls tauscht es dabei Teile seiner DNA mit böseren Verwandten und kehrt als Supervirus zurück. Vielleicht schon im Herbst.
Das alles wurde in den letzten Tagen rauf und runter in den Medien beschrieben und versendet. Erstaunlich, dass Anleitungen zum Händewaschen und keimfreier Begrüßung immer noch Interesse finden. Der SPIEGEL widmete dem Virus immerhin eine umfangreiche Titelgeschichte ohne den sonst hausüblichen Zynismus (siehe auch) und FAZ.net wirft Fragen auf, die sonst keiner stellt (Noch ein Tipp der Autoren: das Online-Pandemie-Spiel). Das Fernsehen tut sich schwerer mit Differenzieren: Frank Plasberg machte in „Hart, aber fair“ ungewollte Werbung für das Grippemittel „Tamiflu“: Auch Bärbel Höhn (die Grünen) „tut es“ (sie hortet das Medikament für Notfälle), und Rangar Yogheswar, der wissenschaftliche Vordenker der ARD, durfte erklären, dass er von seinen vier Kindern zwei verlieren würde, wenn er das Arzneimittel nicht zu Hause hätte – so ähnlich zumindest kam es rüber. Dass Tamiflu nicht vorbeugend eingenommen werden kann, sondern punktgenau mit Ausbruch der Krankheit geschluckt werden muss und überdies, massenhaft eingenommen, schnell das Virus unempfindlich macht, trat angesichts von soviel gesundheitsbesorgter Prominenz eher in den Hintergrund. Weniger Tage später setzte die ARD kurzfristig „Das Imperium der Viren” aufs Programm – eine so perfekte Mischung aus inszenierter Spielhandlung, Reportagen und Expertenstatements, dass die (diesmal von der Vogelgrippe Infizierten) quasi vor den Augen der Zuschauer ihr Leben aushauchten. Ein Pesthauch wehte durch den Äther…
Kann man mit modernen Massenmedien Menschen informieren ohne sie zu alarmieren? Der Grad zwischen Panikmache und Prognostik ist ein ganz schmaler, und die Güterabwägung neben der Genetik das zweitwichtigste Thema der Virologie. Zwang oder Aufklärung? Was macht man, wenn Reisende aus Mexiko trotz aller Warnungen eine Massenveranstaltung der Industrie- und Handelskammer besuchen, bevor sie mit der Grippe in die Uniklinik Regensburg eingeliefert werden? Wäre es nicht einfacher, die Ankömmlinge eines Airbusses aus Mexico City drei Tage lang in Quarantäne zu setzen, anstatt hinterher nach dem Schneeball-System 1400 Kontakte der IHK-Veranstaltung zu verfolgen? Sollte man die kanadischen Schweine nicht keulen? „Aufsuchende Epidemiologie“ heißt der Fachbegriff, wenn die Wissenschaft Krankheitserreger außerhalb des Labors verfolgt. Nur durch Hinterherlaufen können die Forscher feststellen, wie virulent die Virusgefahr letztlich überhaupt ist.
Denn das ist die Überraschung dieses neuen Grippevirus: Dass er zwar in abenteuerlicher Geschwindigkeit die Welt erobert hat, so dass die WHO jederzeit die letzte und sechste Stufe ihres Warnplans ausrufen kann – aber dass die „Pandemie“ in diesem Fall nicht bedeuten muss, dass so viele Millionen Menschen sterben wie bei der berüchtigten Spanischen Grippe 1918 bis 1920. So etwas hat die Welt noch nicht erlebt – zumindest nicht bewusst wahrgenommen.
Zwar können wir heute quasi in Echtzeit die Weiterverbreitung des H1N1-Virus verfolgen (ganz vorne TWITTER ), aber wir können daraus noch lange nicht schließen, was es bedeutet. Für Deutschland stellt sich konkret die Frage: Brauchen wir mehr Impfstoff gegen die alte Grippe (mit jährlich mehreren tausend Toten) oder gegen die neue? Deutschland wird sich vermutlich zwei Produktionslinien leisten – doch in vielen ärmeren Ländern der Welt wird die Grippe-Impfung als Russisches Roulette gespielt werden.
Die Unwägbarkeit der Virusgefahren stellt auch die WHO vor ganz neue Probleme, was ihr Warnsystem angeht. Nicht mehr das Virus selbst rückt ins Zentrum der Überlegungen, sondern die Umstände, die es ermöglichen und potenzieren: Auch wenn die Agrarlobby sofort erfolgreich den Namen „Schwein“ aus dem Namen getilgt hat und das Virus jetzt offiziell „Influenza-A H1N1“ genannt wird (angeblich, um Araber und Juden nicht mit unreinen Krankheiten zu beleidigen), steht fest, dass dieses Virus zumindest schon Schweine von innen gesehen hat. Schweine sind wegen ihrer physiologischen Ähnlichkeiten zum Menschen (im Austausch mit diesen wie auch Vögeln) eine zentrale Brutstätte (Virologen sprechen von “Mischgefäßen”) für Grippeviren. Die Massentierhaltung ist dabei nicht nur deshalb problematisch, weil die genetisch sehr ähnlichen Tiere sich in der Enge der großen Ställe schneller anstecken. Die Monokultur in der Nutztierzucht und –produktion führt zu weltweiter Arbeitsteilung und riesigen Abfallbergen – wie wir spätestens seit BSE wissen. Von Geflügelkot als Dünger über Bruteier, Knochenmehl und Tierhäute werden tierische Materialien quer um die ganze Welt verkauft und natürlich auch Lebendvieh. Bis ein Schwein ausgewachsen ist, wechselt es alle paar Wochen den Produzenten – es kann also sehr gut sein, dass das mexikanische Virus aus den benachbarten USA über Tiertransporte eingeschleppt wurde.
Aids kam angeblich aus dem Dschungel, dem wilden, unbeherrschbaren, undurchdringlichen Chaos. Die Schweinegrippe lebt bestens in industrieller Massentierhaltung, in hellen Ställen mit internationalen Hygienestandards, hoher Arbeitsteilung, Welthandelsabkommen, Billigpreisen und allem, was dazugehört. Dagegen hilft kein Mundschutz.