#Bundeshaushalt

Abgaben rauf, Sozialleistungen runter: Die schwarz-gelbe „Agenda 2010“

von , 4.1.10

Zwei politische Großdebatten werden das Jahr 2010 prägen: die Steuerpolitik vor dem Hintergrund der dramatischen öffentlichen Verschuldung – und Afghanistan. Auf beiden Themenfeldern üben sich die Berliner Koalitionäre zunehmend in Wahrheitsverschleierung: Das Haushaltsdefizit, so vernehmen wir, wird sich im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs von selbst abbauen. Deshalb spräche trotz 100 Milliarden Euro Neuverschuldung im neuen Jahr nichts gegen Steuererleichterungen im Umfang von über 20 Milliarden Euro pro Jahr – sagt zumindest die FDP. Und in Afghanistan könne man allmählich damit beginnen, über einen geordneten Rückzug nachzudenken. Eine Truppenverstärkung hingegen sei für Deutschland „keine Option“.

Mehr Ehrlichkeit wagen

Bedeutend ehrlicher wäre es, den Deutschen zu sagen, dass angesichts des rekordhohen Haushaltsdefizits der Staat schon jetzt kaum noch handlungsfähig ist. Ob Autobahnen, Familienzuschüsse oder Schwimmbäder – alles steht unter dem Vorbehalt der nicht mehr gegebenen Finanzierbarkeit. Warum in dieser Lage ausgerechnet Steuersenkungen das Allheilmittel sein sollen, ist nicht nur sämtlichen Wirtschaftssachverständigen, sondern auch der Mehrheit der Menschen im Land schleierhaft.

Ehrlich wäre es auch, den Deutschen zu sagen, dass es schon in Kürze zu Steuer- und Abgabenerhöhungen der verschiedensten Art kommen muss. So stehen die abstrusen Ausnahmeregelungen bei der Mehrwertsteuer zu Recht auf dem Prüfstand: Die vielen Millionen, die dem Staat beim Verkauf von Tierfutter oder Schnittblumen (oder neuerdings bei Übernachtungen im Hotel) entgehen, sind durch nichts zu rechtfertigen. Absehbar ist auch, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung angehoben werden muss, will man die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit vor dem Kollaps bewahren. Auch die Einführung einer PKW-Maut sowie die Abschaffung der Steuerbefreiung von Feiertags- und Nachtzuschlägen sind nur noch eine Frage der Zeit. All dies verschweigt die Politik.

Ehrlich wäre es weiterhin, uns Bürger auf schmerzliche Einschnitte bei den Sozialleistungen vorzubereiten. Einführung einer – ordnungspolitisch durchaus vertretbaren – Gesundheitsprämie, Überprüfung der Rentengarantie, Kürzung familienpolitischer Leistungen – die Tabuisierung solcher und ähnlicher Maßnahmen wird sich allenfalls noch bis in den Frühsommer aufrechterhalten lassen.

Ehrlich wäre es schließlich, uns zu sagen, dass der Krieg in Afghanistan einen signifikanten, möglicherweise sogar erhöhten Einsatz der Bundeswehr unter Inkaufnahme tödlicher Risiken erforderlich macht. Wenn die USA ihre Truppen um bis zu 30 000 Soldatinnen und Soldaten verstärken, mit welchen Argumenten will sich die Bundesregierung der Teilhabe an dieser Aufstockung verweigern?

Der Bürger ist schlauer

Der Grund für die flächendeckende Verschleierung liegt auf der Hand: Anfang Mai 2010 wird in Nordrhein-Westfalen gewählt. Und nichts fürchten Merkel und Westerwelle mit Blick auf ihre hauchdünne Mehrheit im Bundesrat mehr als den Verlust der Macht am Rhein. Deshalb wird den Bürgern fast alles versprochen: Steuersenkungen, höhere Sozialleistungen, selbst wenn erkennbar nichts davon bezahlbar ist.

Aber wie klug ist dieses Manövrieren eigentlich? Es mag Zeiten gegeben haben, in denen die Wähler in guter alter Autoritätsgläubigkeit den Politikern das, was sie verkündeten, auch abgenommen haben. Aber diese Zeiten sind gottlob vorbei. Gegen die kollektive Intelligenz, die das digitale Zeitalter hervorgebracht hat, kommt kein Heilsversprecher mehr an. Der volle Überblick über die verheerende Lage der Staatsfinanzen (wie auch über die Zustände in Afghanistan) ist nur einen Mausklick entfernt. Wahlen werden nicht mehr auf Marktplätzen entschieden, sondern immer mehr im digitalen Debattenraum. Und dort lässt sich niemand etwas vorgaukeln: die Ehrlichkeit des Netzes ist gnadenlos.

Die Karten auf den Tisch legen

Alle Parteien, aber besonders die Bundesregierung, müssen sich dieser Ehrlichkeit stellen – und endlich die Karten auf den Tisch legen. Die Abwahl droht nicht dem, der unbequeme Wahrheiten offen adressiert – sondern dem, der bevorstehende, unvermeidbare Härten aus purer Wahlkampftaktik unter den Teppich kehrt.

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