#Buntenbach

Schuld und Bühne: Kein Tilgungsdrang im Wahlkampfjahr?

von , 2.2.09

Die Berliner Politik befindet sich derzeit in einem fast unlösbaren Spagat: Auf der einen Seite türmt sie, um der Konjunkturkrise Herr zu werden, einen gigantischen neuen Schuldenberg auf. So verdoppelt sich die Nettokreditaufnahme im Bundeshaushalt von 18,5 auf 36,8 Mrd EUR. Hinzu kommen rund 21 Mrd EUR für den Sonderfonds zur Finanzierung einzelner Maßnahmen. Diese neuen Schulden sollen über einen Tilgungsplan verbindlich abgebaut werden. Ob dies gelingt (und ob der Umgang mit dem DDR-Erblastenfonds nun als Vorbild gilt oder nicht…): Tatsache ist, dass das Reißen der „Drei Prozent vom BIP“-Hürde, die der EU-Stabilitätspakt für die Staatsverschuldung vorschreibt, nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint.

Die andere Seite des Spagats besteht darin, dass die Parteien und ihre Protagonisten sich bereits mitten im Wahlkampf befinden. Die Vorhänge sind aufgezogen, die Bühne muss bespielt werden. Anleihen bei Dostojewski („Arme Leute“, „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“) sind dabei weniger gefragt. Für ein strahlend-spendables „As you like it“ ist allerdings auch kein Geld da. Gefragt ist vielmehr der dritte Weg: ein Politikentwurf, der den Menschen eine silberne Linie hinter den Wolken aufzeigt, ohne dass dabei die letzten Konsolidierungsgelübde über Bord geworfen werden. Wie kann das gelingen?

Uns sind in diesen Tagen drei Stücke aufgefallen, die eine Chance darauf haben, im Wahlkampf en suite gespielt zu werden. Erstens, die Ankündigungen der Union, es trotz neuer Schulden mit einer Steuersenkung zu probieren. Offenbar ist der Druck aus den (Mindestlohn-geschädigten) Wirtschaftskreisen der Partei so stark, dass dieses Ventil jetzt geöffnet werden musste. Ausserdem mag man das Thema Steuersenkungen nicht kampflos den Liberalen überlassen. Wie Steuersenkungen finanziert werden sollen, behalten sich alle, die sie fordern, freilich bis zur Coda vor.

Zweitens hat Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) angekündigt, den Leistungsrahmen der Gesetzlichen Pflegeversicherung deutlich auszuweiten. Ziel sei es, von der „Minutenpflege“ wegzukommen und die Betreuung der zahlreicher werdenden Demenzkranken zu verbessern. Pflegekassen und –verbände signalisierten bereits ihre Zustimmung. Krankenkassen, Hausärzte und Caritas heben ebenfalls ihre Daumen. Die Kosten sollen pro Jahr zwischen 200 Mio und 4 Mrd EUR liegen. DGB-Vize Annelie Buntenbach schlug vor, den erforderlichen Mehraufwand durch Umwandlung der Pflegeversicherung in eine „einheitliche Bürgerversicherung“ zu decken. Die Union dürfte toben.

Ein drittes Stück setzt den Staat nicht so sehr als verteilende, sondern als maßregelnde Instanz in Szene: Ob Begrenzung der Managergehälter oder Regulierung der Finanzmärkte; ob Absage an die (große) „Bad Bank“ oder „Frau Schaeffler, Ihren Laden müssen Sie schon alleine aufräumen“ – die Berliner Politik lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wer der Herr im Haus ist. Kein Wähler soll den Eindruck bekommen, es würden noch mehr Steuergelder verschleudert, um die „Spieler“ am Main oder gar die „Hasardeure aus Herzogenaurach“ (FAZ) vor dem Untergang zu retten. Stattdessen wird nun offen über das Instrument der Zwangsenteignung nachgedacht. Dem ordnungspolitisch Irritierten bleibt nichts, als diesbezüglich dem „Handelsblatt“ beizupflichten: „Staatsbesitz“, so beschwichtigt Hans G. Nagl dort am 2. Februar, „sorgt wenigstens dafür, dass der Bürger auch Zugriff auf das Erholungspotenzial hat“.

Die Finanzkrise wirft immer mehr von dem, was einmal gegolten hat, über den Haufen. Es ist eben eine Systemkrise. Zu hoffen bleibt, dass diejenigen, die derzeit Regie führen, haushaltspolitische Restriktionen im Blick behalten, anstatt zu sehr auf den 27. September zu starren. Kein Zweifel, die Nachtragsschuld des Jahres 2009 war in niemandes Spielplan vorgesehen. Bühnenpreise gebühren primär denjenigen, die aufzeigen, wie sie sich tilgen lässt.

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