#EU

Schäuble, die Euro-Krise, die SZ und der Schuss, der nach hinten los ging

von , 16.1.11

Wolfgang Schäuble bohrt gern dicke Bretter. Er tut dies mit bewundernswerter Leidenschaft. Und er gibt nie auf. Das dickste Brett, das er bohrt, befindet sich allerdings direkt vor seinem Kopf. Denn Wolfgang Schäuble möchte partout kein europäisches Deutschland, er möchte ein deutsches Europa. Das ist sein Problem.

Und so war es (für seine EU-Kollegen) ein wenig peinlich, als der EU-Gipfel Mitte Dezember in heiliger Souveränität die Eckpunkte eines neuen „Krisenmechanismus“ für den Euro beschloss, während das bis in die Einzelheiten ausgearbeitete Konzept für einen Europäischen Währungsfonds bereits in den Schubladen des deutschen Finanzministeriums lag – und von einer begeisterten SZ dort nur noch ‚gefunden’ werden musste. Beim Finanzministertreffen der Euro-Länder in dieser Woche wollte Schäuble sein ehrgeiziges Konzept in den Grundzügen beschließen lassen.

.

Was ist Schäubles Konzept?

Oberflächlich betrachtet ist der Europäische Währungsfonds eine Frucht der aktuellen Finanzkrise, doch die Ursprünge der deutschen Europapolitik reichen viel tiefer – bis zur Wende von 1989. Schäubles Europa-Vorstellungen, insbesondere sein Kerneuropa-Konzept aus dem Jahr 1994, sind zutiefst deutsch und hierarchisch. Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt erkannte schon damals: „Es ist ein Papier, in dem allein Deutschland als dasjenige Land erscheint, das zu allen Fragen einen richtigen Kurs hat und das in jedem Falle eine Führungsmacht ist.“

16 Jahre später präsentierte Schäuble ein sehr ähnliches Papier. Im März 2010 stellte er seine Idee, neben der Europäischen Zentralbank einen „Europäischen Währungsfonds“ (EWF) zu errichten, der Öffentlichkeit vor. So wie das große Vorbild – der Internationale Währungsfonds (IWF) – sollte der EWF Nothilfekredite für Länder bereit stellen, “die eine Gefahr für die Finanzstabilität des gesamten Euro-Raumes darstellen” – was im Gegenzug aber bedeuten würde: Der EWF könnte künftig eigenmächtig die Haushalte und die Reformpolitik der hilfesuchenden Länder beeinflussen.

Schäubles Vorstoß war überdies eine kühne Unabhängigkeitserklärung gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Dessen Politik ist seit seiner Gründung de facto den Interessen der USA verpflichtet, und erst in zweiter Linie den Interessen der übrigen Welt. Ein solches Macht-Instrument möchte Schäuble auch. Allerdings will er seinen Währungsfonds nicht „europäisieren“, sondern – überspitzt gesagt – eher „germanisieren“. Schäuble will einen DWF.

.

Die revolutionäre Rolle der SZ

Hier kommt die Süddeutsche Zeitung ins Spiel. Ende Dezember “leakte” die SZ ein so genanntes „Non-Paper“ aus dem Bundesfinanzministerium (das pflichtschuldig dementiert wurde). Dieses Dokument zeigt sehr deutlich, was mit der Errichtung eines Europäischen Währungsfonds nach deutschem Rezept bezweckt werden soll. Der im Non-Paper beschriebene „Europäische Stabilitäts- und Wachstums-Investmentfonds“ (ESAGIF) möchte Europa in Zukunft stärker an den deutschen Interessen ausrichten.

„Der Fonds soll den Überlegungen zufolge als zweite Institution neben der Europäischen Zentralbank (EZB) eigenständig und politisch weitgehend unabhängig die zweitgrößte Reservewährung der Welt absichern. Er wird Euroländern ‚Hilfen in der Not’ anbieten und sie zugleich dazu zwingen, nach strengen Regeln zu wirtschaften…

Notleidende Euroländer können sich an den Fonds wenden, wenn sie für neue Kredite werthaltige Sicherheiten bereitstellen. Das können Goldreserven oder staatliche Unternehmensanteile sein…“

Vor allem aber soll sich der Euro…

„an deutschen Stabilitätsinteressen orientieren… Das ist eine Gegenleistung dafür, dass Deutschland als größte Volkswirtschaft im Euroraum den Stabilitätsanker bilden soll.“

Auffällig ist, dass sich ausgerechnet die Zeitung, die das „Non-Paper“ Ende Dezember geleakt hat, in besonderer Weise für Schäubles Idee stark macht.

So wird die Dringlichkeit des Europäischen Währungsfonds geradezu herbei geschrieben. Kurz vor dem Euro-Gipfel verbreitet die SZ höchst alarmierende Meldungen über Portugals mögliche Pleite und die „Schieflagen“ in Spanien und Belgien. Der SZ-Wirtschafts-Aufmacher am 11. Januar klingt fast panisch:

„Drama an Europas Finanzmärkten. Zentralbank muss wieder ausputzen. Finanzkosten für Portugal erreichen Schmerzgrenze von sieben Prozent. Euro-Anleihen riskanter als Kredite für Schwellenländer.“

Und Thomas Meyer, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, wedelt dazu eifrig mit dem deutschen Steuerzahler:

„Es kann nicht sein, dass der deutsche Steuerzahler in unbegrenzter Haftung steht für fiskalpolitische Entscheidungen, die andere Länder treffen, ohne die Chance zu haben, diese Entscheidungen zu beeinflussen.“

Im Kommentar der SZ schreibt Brüssel-Korrespondentin Cerstin Gammelin am gleichen Tag: „Das Euro-Krisenkartell hat schwindelerregend an Fahrt aufgenommen…“ Jetzt könne eigentlich nur noch Schäubles genialer EWF-Plan helfen:

„Zugegeben, das Vorhaben klingt revolutionär, setzt es doch voraus, dass sich die Länder gegenseitig in die haushalts- und wirtschaftspolitischen Karten schauen lassen. Eine Alternative zu diesem neuen, intelligenten Regelwerk gibt es aber nicht.“

There is no alternative! Das sagt nicht etwa die Regierungschefin Angela Merkel, sondern die SZ-Korrespondentin in Brüssel. Die eilfertige Unterstützung des Schäuble-Plans gerät aber eine Spur zu penetrant. In Brüssel riecht man den Braten. Es formiert sich Widerstand. Rasch werden Vorschläge zur Ausweitung des existierenden Rettungsschirms ventiliert – um den Druck aus den Märkten zu nehmen und eine Gegenposition zu Schäubles EWF-Plan zu präsentieren. Die SZ-Korrespondentin ist ziemlich sauer.

Am folgenden Tag, dem 12. Januar, watscht sie den finnischen EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn als politische Lusche ab (weil dieser den Schäuble-Plan nicht aktiv genug unterstützt hat). Ihr Kommentar gipfelt in dem Satz:

„Seine eigentliche Aufgabe, revolutionäre Wege aus dem Desaster vorzuschlagen, erfüllt Rehn nicht.“

„Revolutionär“ scheint überhaupt das ‚Codewort’ für den Schäuble-Plan zu sein. Auch die EU-Kommission erkennt die Dimension. Noch am gleichen Tag geht Kommissionspräsident José Manuel Barroso in die Offensive und schlägt persönlich die Ausweitung des bereits existierenden Rettungsschirms vor.

Jetzt ist die SZ richtig verärgert. Ihr „Nachrichten“-Aufmacher am 13. Januar platzt vor Empörung:

„Überraschende Forderung der EU-Kommission: Brüssel will größeren Euro-Rettungsschirm…. Die Ankündigung des Präsidenten stieß in mehreren großen EU-Staaten auf harsche Kritik. Barroso wolle sich in den Vordergrund drängen. Er erreiche mit seinen Äußerungen das Gegenteil dessen, was er angeblich wolle, hieß es.“

Für ein Nachrichten-Ressort ist das ein ziemlich merkwürdiger Vorspann. Denn bei der Tagesschau und anderen großen Medien ist von „harscher Kritik mehrerer großer EU-Staaten“ nicht oder nur sehr verhalten die Rede. Harsche Kritik kommt eher aus dem deutschen Finanzministerium.

Aber das Spiel ist verloren. Am 14. Januar dreht die SZ endlich bei. Weder vom deutschen EWF-Plan noch vom Drama an den Finanzmärkten ist weiter die Rede. Allerdings kann sich das Blatt nicht verkneifen, gegen Barroso noch einmal nachzutreten: Angela Merkel habe den Portugiesen einst in sein Amt gehievt, heißt es enttäuscht, nun zeige der Mann keinerlei Dankbarkeit, pfui. (Doch wieso sollte er auch? Der deutsche EWF-Plan bedeutet nichts anderes als eine partielle Entmachtung der EU-Kommission und des EU-Parlaments).

Fazit: Das seltsame Spiel über Bande hat Wolfgang Schäuble in eine missliche Lage manövriert. Die vollmundige Ankündigung der SZ vom vergangenen Dezember, Schäubles „revolutionärer“ Währungsfonds werde beim Euro-Gipfel nächste Woche die Hauptrolle spielen, hat sich in Luft aufgelöst.

Schäuble wäre aber nicht Schäuble, wenn er jetzt aufgeben würde. Er wird seinen Plan so lange vorlegen, bis die anderen die Genialität dieses Plans ebenfalls erkennen.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.