#Großprojekte

#S21: Von München lernen heißt aussteigen lernen

von , 9.10.10

Das Großprojekt Stuttgart 21 war ursprünglich nur ein kleiner Mosaikstein in einem gesamteuropäischen Mega-Projekt: Die baden-württembergische Landeshauptstadt sollte in die „Magistrale für Europa“ integriert werden, in die neue Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsverbindung Paris-Budapest.

Diese Magistrale zählt zu den Top TEN an Verkehrsprojekten, mit denen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine neue EU-Großraumpolitik in Angriff genommen wurde. Die geplanten Schnell-Verbindungen – z.B. zwischen Berlin und Palermo oder zwischen Genua und Rotterdam – sollen den europäische Binnenmarkt stärken und den innereuropäischen Zusammenhalt fördern.

Die zentrale Ost-West-Achse in diesen Planungen ist die Strecke Paris-Budapest. Durchschnitten wird sie von zwei langen Nord-Süd-Achsen, die im Osten durch München und im Westen durch Stuttgart (bzw. Karlsruhe) in den Süden führen. Von München geht es durch den Brenner-Basistunnel nach Rom und Palermo, von Stuttgart durch den Gotthart-Basistunnel nach Mailand und Genua.

Im Zuge dieser Großraum-Planung sollten die beiden Kopfbahnhöfe in München und Stuttgart in tief liegende Durchgangsbahnhöfe umgewandelt werden. So kam es Mitte der 1990er Jahre zu den Projekten „München21“ und „Stuttgart21“. In Stuttgart sollten 100 Hektar Bauland in bester Innenstadtlage gewonnen werden, in München sogar 120. Die Planungen liefen ohne Zwischenfälle (obwohl es gegen die Projekte große Bedenken gab, in München mehr, in Stuttgart weniger).

Als dann Ende des vorigen Jahrtausends dem Bund das Geld für die Mega-Projekte ausging, entschloss sich die Deutsche Bahn, München21 zugunsten von Stuttgart21 aufzugeben. Warum der Bahn Stuttgart wichtiger war, erschließt sich nicht ganz, aber vielleicht war der Wirtschafts-Klüngel in Baden-Württemberg einfach cleverer. Oder man erwartete von den Stuttgartern mehr Duldungsstarre. Oder man ahnte, dass sich ein Oberbürgermeister Christian Ude in München weniger hinters Licht führen lassen würde als ein Oberbürgermeister Wolfgang Schuster in Stuttgart.

Das Interessante an diesen beiden Bau-Projekten ist, dass der geplante Hochgeschwindigkeitsstrecken-Knotenpunkt München offenbar problemlos ohne einen Durchgangsbahnhof auskommt, während dies in Stuttgart angeblich nicht geht. In Stuttgart beharren die Bahn und die verantwortlichen Politiker darauf, den Kopfbahnhof abzureißen, statt ihn – wie in München – zu modernisieren und in die Magistrale für Europa zu integrieren.

Die baden-württembergische CDU hat nun knapp sechs Monate Zeit, sich mit dem Münchner Modell anzufreunden. Es wird ihr wohl nichts anderes übrig bleiben. Denn die Entkoppelung von Bahnhofsprojekt und Hochgeschwindigkeitsstrecke ist vernünftig. Kopfbahnhöfe laden die Menschen zum Bleiben ein, Durchgangsbahnhöfe verführen zum Durchfahren.

Vielleicht sollte Baden-Württembergs Ministerpräsident bei seinem nächsten Besuch im Kanzleramt mal ausnahmsweise mit der Bahn anreisen und ein paar Stunden lang den Durchgangsbahnhof Berlin studieren.

.

Zum gleichen Thema bei Carta: Felix Neumann und Michael Spreng

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.