#Abwrackprämie

Regierungskoalition im „totalen Krieg“ mit Altautos!

von , 29.5.09


Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen für den Industriestandort Deutschland haben sich seit 2005 spürbar verschlechtert. Insbesondere der deutsche Automobilsektor ist von der seit Anfang 2007 geltenden, um drei Prozentpunkte erhöhten Umsatzsteuer erheblich betroffen. Dies verteuert nicht nur die Anschaffung von privaten Neu- und Gebrauchtwagen, sondern ebenso Reparaturen, Fahrzeugaufwertungen und Betriebsmittel wie Benzin und Diesel. Der Besitz und Betrieb eines privaten Kraftfahrzeugs ist dadurch erheblich unattraktiver geworden. Mit der aktionistischen Biokraftstoffpolitik der Bundesregierung wurden Verbraucher zusätzlich verunsichert. Das Teilsegment “Lastkraftwagen” ist in Deutschland nicht zu letzt durch die Erhöhung der Maut negativ betroffen. Der Absatz von Bussen ist ohnehin in erheblichem Umfang durch die öffentliche Beschaffungsnachfrage geprägt, die scheinbar ausbaufähig ist. Die Politik der Großen Koalition hat somit, wenn nicht bei der Entstehung, so doch bei der Ausprägung der gegenwärtigen Branchenkrise erheblich beigetragen.

Statt dringend benötigter, nachhaltiger Strukturreformen zur Lösung von Entwicklungsbremsen, setzt die Bundesregierung einseitig auf kurzfristigen Aktionismus. Mit der diesbezüglich eingeführten und am 28. Mai des Jahres ausgeweiteten Abwrackprämie werden die Ursachen der gegenwärtigen Krise nicht angegangen. Durch die Abwrackprämie wird vielmehr ein staatlicher Anreiz zur Vernichtung volkswirtschaftlichen Vermögens gesetzt. Die hierfür bereitgestellten Mittel sind von bislang 1,5 Milliarden Euro auf nun 5,7 Milliarden Euro einschließlich Zinsausgaben aufgestockt worden. Bis zu zwei Millionen funktionstüchtige Automobile lassen sich durch diese staatliche Maßnahme vernichten. Bislang sind etwa 1,4 Millionen Anträge gestellt worden.

Ökonomisch unsinnig und ökologisch fragwürdig setzt die Große Koalition ihre inkonsistente und durch Aktionismus gekennzeichnete Wirtschaftspolitik fort. Denn gegen die Abwrackprämie lassen sich zahlreiche Argumente vorbringen:

  • Sie begründet erhebliche Wettbewerbsverzerrungen innerhalb des Automobilsektors und zwischen verschiedenen Wirtschaftssektoren. Die bislang verfügbaren Antragsstatistiken verdeutlichen erhebliche Marktanteilsverschiebungen zu Gunsten wertschöpfungsflacher Kleinwagenhersteller und zu Lasten wertschöpfungstiefer Premiumhersteller. Auch zwischen verschiedenen Sektoren kommt es zu spürbaren Verzerrungen. Die Anschaffung hochwertiger, langlebiger Konsumgüter wird oftmals zurückgestellt, um staatlich subventionierte Automobilanschaffungen vorzuziehen. Durch diese Substitutionseffekte wird die Wirtschaftskrise für andere Wirtschaftssektoren noch verschärft. Die Bundesregierung spielt somit verschiedene Berufsgruppen gegeneinander aus.
  • Sie verursacht erhebliche Vorzieheffekte, wodurch perspektivisch Nachfrageausfälle im Binnenmarkt nach der Bundestagswahl erwartbar sind. Die dann notwendigen Anpassungsmaßnahmen bei Herstellern, Händlern und Werkstätten werden die Unternehmen langfristig belasten. Von einer “Brückenfunktion” der Abwrackprämie kann schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil wichtige Exportländer bereits eigene konjunkturelle Programme zum Abverkauf von Automobilen aufgelegt haben. So beispielsweise: England (seit April 2.000 Pfund Abwrackprämie für ein über 10 Jahre altes Auto), Frankreich (seit Ende 2008 1.000 Euro Abwrackprämie), Japan (1.900 Euro Abwrackprämie für ein über 13 Jahre altes Auto), Indien (Senkung der Mehrwertsteuer), Russland (staatliche Kredite für den Fahrzeugkauf bis 8.000 Euro).
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Die Kosten der Abwrackprämie tragen nicht nur die Steuerzahler.

Der dringend notwendige Strukturwandel wird gebremst und dadurch die nachhaltige Sicherung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze verhindert. Vor allem für freie, mittelständische KfZ-Werkstätten sind massive Auftragsrückgänge in den kommenden Jahren prognostiziert.

  • Sie verursacht erhebliche Mitnahmeeffekte, welche die Wirkung des Instruments einschränken und den Haushalt mit bis zu 2,6 Milliarden Euro netto belasten. Dies geht aus Berechnungen des renommierten Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) hervor, wonach bei etwa 75 Prozent aller abwrackprämiengestützten Fahrzeugkäufen derartige Steuergeldverschwendungen eintreten. Konjunkturwirksame Multiplikator- und Acceleratoreffekte würden sich durch nachhaltige Investitionen in Infrastrukturen sowie eine Stärkung des Wissenschaftsstandorts ergeben.
  • Sie schädigt den Sekundärmarkt für Fahrzeuge mit Betriebszeiten zwischen zwei und acht Jahren. Die Binnennachfrage nach Gebrauchtwagen wird durch die Abwrackprämie künstlich gesenkt, was in Teilbereichen zu sinkenden Verkehrswerten führt. Dieser Verfall der Restwerte kann kurzfristig die Finanz- und Ertragslage von Leasing-Gesellschaften erheblich eintrüben und mittelfristig zu insgesamt höheren Leasingraten bei Neuwagen führen.

Letztlich geht mit diesem Verkehrswertverfall ein Vermögensschaden für den überwiegenden Teil von Fahrzeughaltern einher. Die Kosten der Abwrackprämie tragen nicht nur die Steuerzahler.

  • Sie weist auch weiterhin ein erhebliches Missbrauchspotential zur Erschleichung dieser staatlichen Subventionen auf. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Antragsteller einen Neuwagen erwirbt, ihn zulässt und die Abwrackprämie beantragt, ihn anschließend dem Händler wieder veräußert und letztlich als Gebrauchtwagen erneut kauft.
  • Sie birgt Gefahren für Geringverdiener, denn sie kann zu unverhältnismäßigen Erwerbungen verführen. Die staatlichen Subventionen können die Verbrauchersouveränität dadurch eintrüben, dass rationale Abwägungen unterminiert werden. Die gegebenenfalls über Ratenzahlungen erfolgte Anschaffung zieht erhebliche Folgekosten beim Betrieb von Fahrzeugen nach sich. Die Gefahr steigender Privatinsolvenzen kann nicht ausgeschlossen werden.
  • Sie steht den umweltpolitischen Zielsetzungen der Bundesrepublik entgegen. Der technische Fortschritt im Automobilsektor hat sich in den letzten Jahren tendenziell weniger in reduziertem Treibstoffverbrauch niedergeschlagen, als vielmehr in besserer Ausstattung und entsprechend höherem Gewicht. Zudem wird die Umwelt auch durch die Produktion der neu verkauften Fahrzeuge belastet. Für die Umwelt kommt daher nichts dabei heraus.
  • Sie steht der entwicklungspolitisch gebotenen Intensivierung des internationalen Handels zwischen Industrie- und Schwellenländern entgegen. Nach Berechnungen des renommierten Wirtschaftsforschungsinstituts CESifo wurden 2006 mehr als 500.000 funktionstüchtige Gebrauchtwagen nach Afrika, Osteuropa und Zentralasien ausgeführt und dadurch rund sechs Milliarden Euro Handelserlöse erwirtschaftet. Mit der Abwrackprämie sollen nun 5,7 Milliarden Euro dafür ausgeben, einen Teil dieser Exporterlöse zu vernichten und die Automobile stattdessen zu verschrotten.

Nicht nur Importeure und Logistiker sind durch diesen staatlich verursachten Angebotsrückgang negativ betroffen. Der Zugang zu sicheren und leistungsfähigen Gebrauchtwagen als Grundlage für die private und gewerbliche Lebensführung in Entwicklungs- und Transformationsländern wird künstlich erschwert. Dies schädigt die langfristige wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder.

Da außerdem bei der Ausfuhr die Eigentumsverhältnisse an einem Fahrzeug durch die Zollverwaltung entsprechend dem europäischen Zollrecht nicht kontrolliert werden, wird durch die Politik der Bundesregierung ein Anreiz geschaffen, vorgeblich abgewrackte Fahrzeuge ohne das geringste Risiko illegal zu exportieren. Dadurch wird der Wettbewerb im Gebrauchtfahrzeugmarkt weiter verzerrt. Rechtstreue Exporteure haben im Preiswettbewerb mit ihren Konkurrenten das Nachsehen.

  • Sie führt daher zur Verschwendung von Steuermitteln oder staatlichem Vermögen, gefährdet dadurch die sozialpolitisch gebotene Rückführung der Steuer- und Abgabenlast, erschwert eine generationengerechte Haushaltskonsolidierung, engt den Spielraum für Zukunftsinvestitionen ein und erodiert letztlich das Vertrauen der Bürger in die freiheitlich-soziale Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik.

Mit der Abwrackprämie führt die Bundesregierung einen „totalen Krieg“ gegen Altfahrzeuge. Anders lässt sich dieses staatliche Vernichtungsinstrument jedenfalls kaum mehr erklären. Der einzige Trost, der für den Steuerzahler noch bleibt ist, dass mehr Autos von Opel verschrottet als neu gekauft werden. Bislang entfallen etwa 20 Prozent aller abgewrackten Automobile auf Opel, während der Anteil bei den Erwerbungen nur bei rund elf Prozent liegt. Mein Votum wäre daher, die Abwrackprämie einfach so lange auszuweiten, bis kein Opel mehr auf deutschen Straßen unterwegs ist. Dies wäre wahrlich eine „aktive Sterbehilfe“ für ein wohl langfristig nicht rettbares Unternehmen.

Lesen Sie zu diesem Thema auch den Text “Adam Opel: Lieber Sterbehilfe statt Palliativmedizin” von Steffen Rutter.

Disclaimer: Die hier angegebenen Ausführungen stellen die private Meinung von Steffen Rutter dar und stehen in keinem Bezug zu seiner beruflichen Tätigkeit.

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