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Regierungsklausur in Meseberg: Das Wochenende der Wahrheit

von , 27.5.10

Wenig erstaunlich, dass in Zeiten der großen (Finanzmarkt) und kleinen (NRW) Krisen Kommentatoren und Politiker in ihren Statements zurzeit vermehrt nach Führung rufen. Deutschland fehle es an Führung, klagen zum Beispiel Wolfgang Clement und Friedrich Merz in ihrem jüngst erschienenen Buch „Was jetzt zu tun ist – Deutschland 2.0“. Womit die Politrentner eine der Grundregeln der deutschen Führungsdebatte belegen: Wer öffentlichkeitswirksam Führung einfordert, nimmt meist für sich in Anspruch, es besser zu wissen, besser zu können. Und überhaupt derjenige zu sein, dem qua Kompetenz und Tugend Führung zusteht. Garniert sind solche Forderungen häufig mit Gemeinplätzen. Denen zufolge gehe alles zu langsam. Es müsse endlich „durchregiert“ werden müsse, um „alternativlose“ Reformen durchzusetzen.

Dabei ist die Beobachtung im Grunde schon richtig: die Finanz-, Wirtschafts- und Europakrise ist ein Test für die Führungsfähigkeiten politischer Akteure. Im Allgemeinen, und jene der Kanzlerin im Besonderen. Und zwar sowohl mit Blick auf die Ergebnisqualität als auch auf die Legitimation politischen Handelns. Denn die wachsende Kluft zwischen Regierenden und Regierten, wie sie sich in Umfragen zur Demokratiezufriedenheit manifestiert, ist immer auch ein Spiegel der Hilflosigkeit der politischen Eliten, Zukunftsprobleme glaubhaft zu thematisieren und sie überzeugend in den Griff zu bekommen.

Merkels (Stichwort Griechenland) abwartend-szientistischer Politikstil reichte ihr unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Nutzenkalküls bis heute zum Vorteil. Mit politischer Führung – das ist in den letzten Monaten deutlich geworden – hat er wenig zu tun. Führung im öffentlich-demokratischen Kontext erschöpft sich nicht darin, ein Amt zu erobern und abzusichern.

Es geht um Haltung. Darum, eigene Prinzipien, Wertvorstellungen und Ideen zu entwickeln – natürlich nicht, ohne die Konsequenzen politischer Entscheidungen realistisch abzuschätzen. Für Max Weber waren Gesinnungs- und Verantwortungsethik keine sich wechselseitig ausschließende Gegensätze, „sondern Ergänzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen, den, der den ‚Beruf zur Politik‘ haben kann.“ Ergänzungen, wohlgemerkt.

Denn nicht zuletzt die Agenda 2010 und Hartz IV – über dessen Kürzung nun diskutiert wird – zeigten, dass Argumentieren in Sachzwängen, „Basta“-Politik und Top-Down-Lösungen zwar kurzfristig Entscheidungskosten zu verringern scheinen, Reformen aber in hohem Maße enttäuschungsanfällig machen. Statt ein klares, übergeordnetes gesellschaftliches Ziel zu formulieren und aus diesem dann die notwendigen Themen und Maßnahmen abzuleiten, verfuhren die Akteure damals umgekehrt : Es gab Warenhauskataloge voller Einzelmaßnahmen, die – jede für sich – Widerstände auslösten.

Über die letzten Jahre zog Merkel aus diesen Erfahrungen nur die eine Lektion: Reformverzicht. Sie wird diese Linie nicht durchhalten können. Union und FDP müssen von 2011 an jährlich aufs Neue mindestens zehn Milliarden Euro zusätzlich im Etat streichen, wenn sie 2016 die Vorgaben der Schuldenbremse erfüllen wollen. Auf dem Prüfstand stehen vor allem staatliche Leistungen für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.

Unabhängig davon, ob dies in der Sache geboten ist, oder – wie zahlreiche Ökonomen, aber auch der saarländische Ministerpräsident Peter Müller vorschlagen – nicht auch auf die Einnahmeseite (Spitzensteuersatz, Mehrwertsteuer) geschaut werden muss: Schon für eine harmonischer funktionierende Koalition wäre diese Agenda problematisch. Für diese Koalition wird sie zur Nagelprobe. An ihr könnte sich entscheiden, ob die Koalition überhaupt nochmal zu einem tragfähigen Miteinander kommt.

Für Merkel geht es darum, den abstrakten Nutzen konkreter Belastungen zu vermitteln. Sie muss Ziele und Methoden des eingeschlagenen Kurses nicht nur technokratisch, sondern auch normativ begründen. Und dies im kommunikativen Austausch mit jenen, die ihre Politik mittragen sollen, sowie jenen, die von ihr betroffen sein werden. Nicht nur die Koalition, auch die Kanzlerin wird sich nach Meseberg neu erfinden müssen. Der Heroismus des einsamen Entscheiders, das „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, ist schon dem kommunikativ weitaus versierteren Gerhard Schröder und seiner SPD nicht gut bekommen.

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