#Bildung

Quotenjungs

von , 24.4.13

Während ein Großteil der Medien mit der Abstimmung über eine Frauenquote in Vorständen beschäftigt war, kam die FAZ mit einen originellen Gegenzug: Einfach mal wieder die Benachteiligung des männlichen Teils der deutschen Bevölkerung herausstreichen! “Faul, fahrig, Junge” wurde bitter getitelt. Ja, das bringt Würze in die fade Diskussion, da können noch so abgestandende Geschlechterkampfargumente wieder zum Leben erweckt werden!

Noch einmal zur Wiederholung: Immer wieder wird behauptet, dass in unserem Schulsystem Jungen gegenüber Mädchen massive Nachteile hinzunehmen haben. Schuld daran seien natürlich die Frauen, die in unserem Bildungssystem überrepräsentiert sind: Zum einen würde den Jungen durch die überwiegend weiblichen Lehrkräfte weibliche Verhaltensmuster aufgedrängt und empfindlich bestraft, wenn sie diese nicht annehmen würden. Normaler “männlicher” Bewegungsdrang werde sogar pathologisiert und entsprechende Jungen medikamentös – zum Beispiel mit Ritalin – ruhiggestellt. Das ginge bereits im Krippenbereich los.

 

Als Junge in der Krippe oder im Kindergarten einen männlichen Erzieher zu erwischen, der nicht vor allem Wert auf gemeinsames Singen und Erzählen im Stuhlkreis oder eine penibel angefertigte Bastelarbeit legt, sondern auch Fußballspielen, Holzhobeln und Schlammschlachten im Beschäftigungsangebot hat, grenzt fast an einen Lottogewinn.

 

Denn weibliche Erzieherinnen sind natürlich prinzipiell alle gleich: Penible, singende Basteltanten, denen Aktivitäten im Freien verhasst sind. (Dieses Stereotyp immer wieder zu wiederholen, hat aber, das möchte ich hier betonen, ganz sicher nichts damit zu tun, dass sich Männer nur sehr zögerlich für den Erzieherberuf interessieren!!)

Zum anderen wird behauptet, Jungen würden bei gleicher Leistung in der Schule schlechter bewertet – im Durchschnitt 2,58 versus 2,67 – und selbst bei gleicher Bewertung weniger häufig für das Gymnasium vorgeschlagen.

Nun sind das starke Behauptungen, die starker Belege bedürften. Zwei Quellen werden immer wieder angeführt: Eine Studie im Auftrag der Vodafone-Stiftung, die einen Bewertungsunterschied feststellt, und der Bildungsbericht, der zeigt, dass Jungen am Ende der Grundschulzeit bei Leistungsvergleichstests im Lesen schlechter abschneiden.

Auch das sei dem bösen Treiben der weiblichen Lehrkräfte zuzuschreiben, meint die FAZ. Zwar wird berichtet, dass der Soziologe Marcel Helbig vom Wissenschaftszentrum Berlin nicht der Meinung sei, dass die Überzahl der Lehrerinnen die Ursache ist. Aber da das nicht so schön passt, wird die Vodafone-Studie angeführt, die die schlechtere Bewertung von Jungen überhaupt erst herausgefunden hat (nicht jedoch die Ursache dafür), und diese dann einfach als Hinweis auf die Schuldigen gewertet.

Aber ich will hier mal nicht die penible Tante sein, und eine ausführliche Evaluation aller relevanten Studien kann ich im Moment nicht liefern, aber nehmen wir einmal an, dass diese Studien alle qualitativ absolut hochwertig sind und auch tatsächlich das zeigen, was die FAZ berichtet: Dass Jungen in unserem Bildungssystem strukturell und systematisch benachteiligt werden.

Wenn das so wäre, wäre das schlecht. Wirklich schlecht. Nicht nur würde das dem Grundsatz der Fairness und Gleichbehandlung widersprechen, man würde auch grundlos Potential verschwenden. Es wundert aber doch, dass die Empörung über die Ungleichbehandlung aus einer Ecke kommt, aus der wir in anderen Zusammenhängen ganz andere Argumente kennen. Denn die Vertreter dieser Thesen sind zum großen Teil Menschen, die davon ausgehen, es gebe zwischen Mädchen und Jungen angeborene Unterschiede – sonst würde ja auch das Entsetzen über das “Aufdrängen” “weiblicher Werte und Handlungsmuster” keinen Sinn machen, denn für Mädchen scheint dieses Aufdrängen ja in Ordnung zu sein.

Genau diese Leute sind es aber, die sonst steif und starr darauf beharren, dass Unterschiede im Verhalten, in Bildungswegen und Bildungserfolg durch die angeborenen Unterschiede der Geschlechter bedingt sind. Wenn also Mädchen kaum naturwissenschaftliche oder technische Fächer studieren, hört man immer wieder das Argument, Mädchen WOLLTEN dies einfach nicht – nicht, weil man es ihnen auf verschiedene Arten verleide, sondern weil das weibliche Gehirn für solcherlei Inhalte weniger geeignet sei, zum Beispiel durch eine schlechtere Raumvorstellung und -wahrnehmung.

Ebenso wird begründet, warum zwar unter den Studienanfängern Jahr für Jahr mindestens ebenso viele junge Frauen wie Männer seien, unter den Professor*innen jedoch deutlich weniger Frauen als Männer: Frauen würden sich eben, völlig freiwillig natürlich, für einen anderen Lebensweg entscheiden, der meistens die Aufzucht von Kindern beinhalte – nicht, weil es gesellschaftlich so vorgegeben sei, sondern weil das der weiblichen Natur entspreche. Und so weiter.

Jeder Einwand, diese “freiwilligen” “Willensentscheidungen” von Frauen fänden nicht im luftleeren Raum, sondern in einer Gesellschaft statt, die Mädchen bereits ab ihrer Geburt durch entsprechendes Spielzeug, Stereotype, Farbkodierung und bewusste wie unbewusste Erziehung in eine Richtung dränge, wird mit allerhand Evolutionspsychologie, Neurowissenschaft und nicht zuletzt einer beträchtlichen Portion “gesundem Menschenverstand” abgeschmettert.

Und auch der Hinweis, dass es im Allgemeinen Männer sind, die darüber entscheiden, welche Rolle Mädchen und Frauen in “Männerdomänen” wie den MINT-Fächern oder Wirtschaftsvorständen ermöglicht wird, ist für diese Menschen nicht stichhaltig: Nur objektiv gehe es zu, ja sogar wohlwollend, alles andere: böse Unterstellungen. Dass Mitglieder eines Geschlechts die des anderen Geschlechts an irgendetwas hindern könnten, ist in diese Richtung undenkbar.

Fordert man gar eine Frauenquote, kennt das Entsetzen keine Grenzen mehr: So würden nicht mehr Qualität und Leistung zählen, sondern Geschlecht, was zum baldigen Untergang technologischen und wirtschaftlichen Fortschritts führen müsse. Mehr noch, Menschen würden zu Lebensweisen gezwungen, die ihnen nicht entsprechen, man handele “gegen die Evolution” (was auch immer das heißen soll), und das könne nur zur Degeneration der menschlichen Spezies und schließlich zu ihrem Aussterben führen.

Das Argument könnte natürlich einfach für die Diskussion um Jungen und ihre Situation in der Schule wiederverwertet werden: Jungen KÖNNEN sich einfach nicht so gut den Anforderungen von Schule anpassen, ihr Gehirn ist nicht dazu gemacht, stillzusitzen, zuzuhören und sich unterzuordnen. Sie wälzen sich lieber im Schlamm. Darüber hinaus haben sie nur eingeschränkte sprachliche Fähigkeiten. Außerdem WOLLEN Jungen einfach nicht so lange zur Schule gehen, sie entscheiden sich lieber für ein Lebensmodell, in dem sie schon sehr früh dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Sie gehen eben lieber hinaus in die raue Wirklichkeit anstatt sich im warmen Elfenbeinturm zu verkriechen, das entspricht eher ihrem Naturell als Jäger.

Wenn diese Art der Argumentation aber zur Abwechslung einmal dazu führt, dass Männer im Ergebnis in irgendeinem Bereich unterlegen sind, scheint es zu schmerzhaft zu sein. Dann wird plötzlich über die Notwendigkeit einer spezifischen Jungenförderung nachgedacht – sogar die Gefahr der Degeneration des “echten Mannes” wird dann in Kauf genommen.

Aber Schluss mit der Polemik, schließlich geht es hier um Kinder und darum, deren Potential auszuschöpfen und jeden nach seinen Möglichkeiten zu fördern. Und tatsächlich glaube ich, dass sich über die Gesamtbevölkerung und verschiedene Schulformen und Fächer hinweg ein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern einstellen würde, was Absolventenzahlen und Durchschnittsnoten angeht, wenn es keinerlei Beeinflussung und Benachteiligung aufgrund des biologischen Geschlechts gäbe. Deshalb wäre dies auch mein persönliches Ideal.

Aber da dieses Ideal offensichtlich nicht erfüllt ist, ein Vorschlag zur Güte: Wir führen an Schulen eine Quote ein. Eine Schülerquote. Fünfzig Prozent aller zum Gymnasium zugelassenen Schüler*innen müssen männlich, fünfzig Prozent weiblich sein. Ja, das könnte dazu führen, dass in Einzelfällen ein Junge mit schlechteren Leistungen einem Mädchen mit besseren Leistungen den Gymnasiumsplatz “wegnimmt”. Aber grundsätzlich sollte man ja davon ausgehen, dass im Durchschnitt Jungen ebenso leistungsfähig sind wie Mädchen, dass also die schlechtere Leistung der Mehrzahl der Jungen nur durch fehlende Förderung oder unfaire Bewertung entstanden ist.

Und mit derselben Quotenlogik fahren wir dann fort, Vorstandsposten, Stellen im öffentlichen Dienst und Bundestagsmandate zu vergeben. Dann sollte sich in absehbarer Zeit Unfairness und Ungleichbehandlung von selbst erledigt haben.
 
Crosspost von Dr. Mutti

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.