#Demokratie

Piraten im Putin-Land

von , 3.6.13

Dunkler Spitzbart, schwarz-roter Kapuzenpulli, bunte Turnschuhe: Man könnte sich Pawel Rassudow auch gut mit einem Skateboard unterm Arm vorstellen, wie er leichtfüßig die Treppen vor der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale nimmt. Der 29-Jährige ist studierter Psychologe, verdient sein Geld aber als Webdesigner in einer kleinen Agentur unweit der Kirche. Sein Job vereinbart sich ganz gut mit seinem politischen Engagement: Seit 2010 ist der schmächtige junge Mann „Pirat“, seit 2011 sogar Vorsitzender der russischen Piratenpartei.

Pawel bleibt kurz stehen vor dem imposanten Bau – der zuletzt weltweit in allen Medien als Ort schrillen Protestes gegen Wladimir Putin eine prominente Rolle gespielt hat: Im Innern dieser Kirche veranstalteten die drei jungen Frauen der Punkband Pussy Riot im Februar 2012 ihren berühmt-berüchtigten Anti-Putin-Auftritt. Pawel reagiert eher abgeklärt auf das Thema – wie viele seiner russischen Landsleute: „Das Ganze war doch vor allem eine riesige Medien-Geschichte.“

Pawel hat es eilig, er ist auf dem Weg zu einer Sitzung seiner Moskauer Mitstreiter und läuft an der Kirche vorbei in Richtung einer Fußgängerbrücke über die Moskwa. Sein Handy klingelt, ein Parteifreund aus St. Petersburg ist dran, will wissen, wie es um die offizielle Registrierung als Partei steht – ein Hauptziel, aber auch Hauptproblem der russischen Piraten, seit es sie gibt. „Piraterie“ bezeichne einen kriminellen Raubüberfall auf See. Die Ziele der Partei stimmten demnach nicht mit ihrem Namen überein, heißt es in der Begründung für die Ablehnung durch die russische Justiz – „eine absurde Sichtweise“, findet Pirat Pawel. Dann dürfe ja die grüne Partei, die „Jabloko“, also „Apfel“ heißt, eigentlich auch nicht zugelassen werden. „Jabloko handelt genauso wenig mit Obst wie wir auf hoher See unterwegs sind.“

Internet, Freiheit im Netz, „open democracy“ – das sind auch die großen Themen der russischen Piraten-Partei, die laut Pawel russlandweit 6.000 Mitglieder hat. Ein enger Kontakt besteht vor allem zu den deutschen Parteifreunden, auch weil einige prominente Piraten dort ursprünglich russischsprachig sind: Marina Weisband etwa oder Grigorij Engels. Pawels Partei kämpft vor allem gegen ein neues Informationsgesetz, das seit November vergangenen Jahres in Kraft ist. Damit hat der Kreml nun gleichsam ein Zensur-Recht gegen bestimmte Internet-Seiten. „Offiziell heißt es, es gehe um Kinderschutz, man wolle etwas gegen Pornographie, Pädophilie im Netz tun“, erklärt Pawel. In Wahrheit aber hätten die Behörden angefangen auch andere Seiten zu schließen: Enzyklopädien, Online-Bibliotheken und auch Seiten von Oppositionellen.

Wichtig ist dem 29-Jährigen vor allem: Er hält nicht viel hält von starrem, politischem Schubladen-Denken. „Links oder rechts – das interessiert uns nicht. Uns geht es vor allem um Bürgerrechte und dass der Staat keine Daten hortet.“ Und: Was bedeute es schon „links“ zu sein heute in Russland? „Das können stramme Stalinisten sein oder so jemand wie der Nationalbolschewik Limonow, der in seinem politischen Denken eigentlich fast schon braun ist.“

Dieser eher unideologische, pragmatische Ansatz eint die Piraten mit anderen politischen Akteuren einer jungen, frechen Graswurzelbewegung im Windschatten von Pussy Riot und prominenter Figuren wie dem Anwalt und Blogger Alexej Nawalny oder dem Linksfrontführer Sergey Udalzow. So hat der ehemalige Poker-Champion Max Kaz seit März 2012 einen Sitz im Moskauer Bezirksparlament von Schtschukino. Seitdem mischt Kaz das von der Putin-Partei „Einiges Russland“ dominierte Gremium mit frechen Zwischenfragen etwa zum undurchsichtigen Verbleib von Geldern auf.

Der Moskauer Politologe Stanislaw Belkowski geht soweit die aktuelle Lage und Stimmung in Russland als „zweite Perestroika“ zu bezeichnen: „Es gibt inzwischen eine unüberwindbare Kluft zwischen dem Kreml und der Zivilgesellschaft bei uns, ähnlich wie Ende der 1980er Jahre.“ Das System aus Vetternwirtschaft und Korruption habe sich überlebt, in dieses Vakuum würden in den kommenden Jahren immer mehr junge politische Köpfe von unten vorstoßen.

Pawel Rassudow steht inzwischen im Hinterzimmer eines kleinen Restaurants am Ufer der Moskwa. Etwa zwei Dutzend Piraten haben sich an diesem Abend eingefunden, gefühlt ist hier niemand über 30 Jahre alt. Pawels Stellvertreter, Stanislaw Schakirow, hält sich seinen Tablet-PC vor die Nase und rattert die Partei-Statuten herunter. Am Ende der kurzen Sitzung begrüßt die Piratenpartei schließlich fünf neue Mitglieder – auch sie bereit zum Kampf auf Russlands rauer politischer See.
 
Christoph Kersting gehört zum Korrespondenten-Netz von n-ost. Es besteht aus Journalisten und Journalistinnen in mehr als 20 Ländern, die Reportagen, Porträts und Hintergrundberichte liefern.

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