#Berliner Piraten

Piraten auf Schlingerkurs

von , 30.10.12

Was für ein Absturz: Noch vor einem halben Jahr sahen sich die Piraten als „digitale Volkspartei“. Inzwischen liegt ihr Wähleranteil bundesweit unter fünf Prozent – Tendenz weiter sinkend. Damit droht die Partei nicht nur bei den im Januar anstehenden Landtagswahlen in Niedersachsen zu scheitern, sondern in gut einem Jahr auch den Einzug in den Bundestag zu verpassen.

Wozu Piraten?

Nicht nur die parteiinternen Zänkereien sind für das Umfragetief verantwortlich. Viel gravierender ist, dass die Piraten bis heute den Beweis ihrer Politikfähigkeit und damit ihrer politischen Relevanz schuldig bleiben.

In keiner der jüngsten bundespolitischen Debatten haben sie einen nennenswerten Beitrag geleistet – weder im Hinblick auf die Eurokrise, noch bei der Diskussion um die Altersarmut oder die sich dahinschleppende Energiewende.

Selbst bei ihren eigenen Kernthemen – Transparenz und Urheberrecht – konnten sie nicht punkten. In der hitzigen Diskussion um die Nebeneinkünfte des designierten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück ließen sie sich von Union und FDP regelrecht überrumpeln. Und bei dem eigentlich nachgeordneten, für die eigene Wählerklientel jedoch vergleichsweise wichtigen Thema des Leistungsschutzrechts initiierten die Piraten zwar eine Online-Petition, diese scheiterte jedoch kläglich.

Klamme Kassen

Neben diesen eminenten inhaltlichen Schwächen haben die Piraten auch mit handfesten strukturellen Problemen zu kämpfen – allen voran mit einer chronischen Finanznot.

Knapp die Hälfte der Parteimitglieder hat ihren Jahresbeitrag in Höhe von 48 Euro bis heute nicht beglichen. Daher steht den Piraten nach eigenen Angaben bislang nur etwa ein Drittel der benötigten eine Millionen Euro zur Verfügung, um den Wahlkampf im kommenden Jahr professionell bestreiten zu können.

Wie die Partei unter diesen Voraussetzungen in den Bundestag einziehen will, steht derzeit noch in den Sternen.

Doch immerhin, es gibt einen Hoffnungsschimmer: In den letzten Monaten haben die Piraten intensiv – und weitgehend unbemerkt von der medialen Öffentlichkeit – an ihren wirtschafts-, europa- und außenpolitischen Positionen gearbeitet.

Damit kommen sie der Forderung von Kritikern nach, sich in ihrem Programm nicht nur auf Netzthemen zu beschränken. Das eigentlich Überraschende bei alledem ist nur: Entgegen ihres Anspruchs auf Erneuerung setzt das Programm der Piraten vor allem auf altbekannte Ideen.

Auf den Spuren Ludwig Erhards

Exemplarisch dafür sind die wirtschaftspolitischen Anträge, die auf dem Bundesparteitag zur Entscheidung stehen.

Sie orientieren sich weitgehend an den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. So spricht sich ein Antrag – ganz im Sinne Ludwig Erhards – für einen „wirtschaftspolitischen Ordnungsrahmen“ aus, der den „Ausgleich zwischen den klassischen volkswirtschaftlichen Zielen, Wachstum, Stabilität, hohem Beschäftigungsgrad und Außenwirtschaftsgleichgewicht […] herstellt“.

Dem schließt sich ein anderer, weiter gehender Vorschlag an. Er plädiert ebenfalls für eine „echte soziale Marktwirtschaft“, fordert aber nachdrücklicher Maßnahmen zur Existenzsicherung ein – wie etwa die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, gekoppelt an die sozialpolitische „Brückentechnologie“ eines bundesweiten gesetzlichen Mindestlohns.

Fest steht: Mit derartigen Forderungen werden die Piraten Mühe haben, sich von den anderen Parteien abzugrenzen. Denn Ludwig Erhards Thesen erfahren derzeit von der CDU bis sogar hin zur Linkspartei eine Renaissance.

Und auch wenn sich die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen in dieser Klarheit bisher nicht bei anderen Parteien findet, vergleichbare Ansätze werden – neben der Einführung eines Mindestlohns – auch dort diskutiert.

Zwischen Konsolidierung und Originalität

Die entscheidende Frage lautet daher, ob die Piratenpartei mit einem solch blassen Programm erfolgreich die Bundestagswahl bestreiten kann.

Gewiss, ein konsistentes und von der Mehrheit der Mitglieder getragenes Programm kann dazu beitragen, die internen Querelen zu beenden, den Zusammenhalt zu stärken und die Partei so nach innen zu konsolidieren.

Der Haken bei alledem ist nur: Mit ihrem Streben nach innerer Konsolidierung präsentieren sich die Piraten fast schon als Normalo-Partei.

Zwar kommt ihnen ein gediegenes Auftreten an anderer Stelle zugute, etwa wenn sie seit Mitte Oktober erstmals einem Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus zum milliardenschweren Planungsdesaster des neuen Berliner Flughafens vorsitzen.

Doch selbst mit gewissenhafter Parlamentsarbeit werden die Piraten – und das macht ihr Dilemma aus – kaum Boden wettmachen. Denn der große Zuspruch, den sie noch vor einem Jahr erhielten, hatte zwei wesentliche Gründe: zum einen die Enttäuschung der Wähler über die Politik der etablierten Parteien, zum anderen die den Piraten eigene unerschrockene Unerfahrenheit.

Es war vor allem diese politische Naivität, die es den Politikneulingen erlaubte, unkonventionelle und bisweilen auch unausgereifte Vorschläge in die Debatte zu werfen. Weil die Piraten zudem zuallererst das politische Ziel ausrufen und erst danach fragen, wie sich dieses verwirklichen lässt, wohnt diesen Forderungen stets auch etwas Utopisches inne – so etwa, wenn sie nach einer radikalen Reform des Urheberrechts, dem bedingungslosen Grundeinkommen oder auch nach der kostenlosen Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs verlangen.

Den Piraten bleibt somit nur ein Weg: Sie müssen die notwendige Konsolidierung nach innen mit dem Mut nach originellen, klaren Ideen verknüpfen. Auf diese Weise können sie auch die vorherrschende Alternativlosigkeit in der Parteienpolitik hierzulande aufbrechen. Und nur dann wäre die Piratenpartei auch eine echte Bereicherung im Deutschen Bundestag.

Ein längerer Beitrag zum Thema erscheint in wenigen Tagen in der November-Ausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“.

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