Wo alle sind, darf ich nicht fehlen. Diese »Fear of missing out«, Panik, etwas zu verpassen, kennt man eigentlich von Teenagern. Offenkundig steckt das Netz in der Pubertät.
von Mirjam Stegherr, 28.1.21
Die Bundesregierung hat ihre erste »Datenstrategie« präsentiert, auch auf Clubhouse. Ein guter Anlass, um zu reflektieren, was der Hype um die neue Plauder-App soll und wie die Netzgemeinde zum Datenschutz steht.
Es ist kaum zwei Wochen her, dass Millionen Nutzerinneren und Nutzer zu Signal pilgerten und die Server des Messenger-Dienstes lahmlegten. Warum? Weil Facebook angekündigt hatte, die Nutzungsbedingungen von WhatsApp zu ändern und Daten im Konzern zu teilen. Der Aufschrei war groß, Facebook ruderte zurück. Immerhin sickerte die Erkenntnis durch, dass es Alternativen gibt, die mindestens genauso gut und deutlich datensparsamer sind. Sie hatte bisher nur kaum einer genutzt – schließlich sind die meisten bei WhatsApp. Die mangelnde Interoperabilität und die Trägheit der Masse haben dem Dienst Spitzenwerte verschafft, der nicht der beste ist, sondern nur der am weitesten verbreitete.
Wenn es alle machen, kann es nicht falsch sein. Oder: Wo alle sind, darf ich nicht fehlen. Diese »Fear of missing out«, Panik, etwas zu verpassen, kennt man eigentlich von Teenagern. Aber offenkundig steckt das Netz in der Pubertät. So lässt sich erklären, wie sich Facebook hält, das größtes Netzwerk der Welt – selbst nach Skandalen um Datenklau, Hate Speech und Zensur. Die Markt- und Meinungsmacht, die jetzt allen unheimlich ist, hätte der Konzern nie erreicht, wenn nicht Millionen Menschen bereitwillig teilen und verweilen und der Panik verfallen, irgendwo nicht dabei zu sein, wo so viele sind.
Nichts dazugelernt
Es ist genau diese Panik, die jetzt dafür sorgt, dass so viele Clubhouse stürmen, die Plauder-App, die mit künstlicher Verknappung reizt: Zutritt bekommt nur, wer ein iPhone besitzt und eine Einladung erhält. Viele wollen Teil der »digitalen Elite« sein, zu viele. Als hätten sie nichts dazu gelernt. Unvorstellbar, dass Clubhouse nur wenige Tage nach dem Hype um Signal das neue heiße Ding in der Netzwelt ist. Viele von denen, die den Datenschutz priesen (»Nie wieder WhatsApp!«), geben ihn jetzt preis. Dabei ist längst klar, dass die App das Telefonbuch ausliest und »Schattenprofile« von Personen erstellt, die Clubhouse nicht nutzen. Unklar hingegen ist, wie der Anbieter aus den USA die Daten sichert, auch die Mittschnitte der Gespräche, und was mit den Informationen passiert, wenn das Clubhouse einmal schließt, weil zum Beispiel Twitter an einem ähnlichen Format bastelt (Spaces).
Zugegeben: Gäbe es Interoperabilität, hätten vielleicht auch Andere den Markt der Plauderei erkannt. Wir hätten mehr Konkurrenz. Es fehlt an Alternativen, die anbieten, mit Audio zu experimentieren, ohne Datenschutz zu verletzen. Aber alle, die meinen, Clubhouse testen zu müssen, weil man sich zur Speerspitze der Digitalisierung zählt, der Medien, Kommunikation, Innovationsfreude oder einfach nur professionellen Selbstinszenierung: Nein, muss man nicht. Im Gegenteil: Datenschützer warnen davor. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat die Betreiber wegen rechtlicher Mängel abgemahnt. Und für Beamte gibt es längst Regeln, die den dienstlichen Auftritt im Clubhouse untersagen sollten. Trotzdem feiern sich Nutzerinnen und Nutzer dafür, einer Innovation beizuwohnen, die ihre Schattenseite längst gezeigt hat.
Fomo als Strategie
Seit 2020 gibt es Clubhouse in den USA. Schon im Juli hat New-York-Times-Journalistin Taylor Lorenz, anfangs Cluhouse-Fan, vor Rassismus und Frauenfeindlichkeit in der Plauder-App gewarnt und gesagt, sie wolle kein »Netzwerk unterstützen, das die Sicherheit der Nutzer nicht ernst nimmt«. Man könnte meinen, wir hätten gelernt, dass es nicht gut ist, Dienste zu stärken, die der Gesellschaft schaden, dass es Werte gibt, die es sich zu verteidigen lohnt. Datenschutz müsste da ganz oben stehen. Kanzleramtschef Helge Braun zumindest hat bei der Vorstellung der »Datenstrategie« betont: Datenschutz sei ein europäischer Wert, die DSGVO ein Standortvorteil. Nur, dass er kurze Zeit später die Strategie der Bundesregierung mit Digitalstaatsministerin Dorothee Bär ausgerechnet auf Clubhouse vorstellt. Strategisch gesehen ist das katastrophal.
Wenn die App gegen Werte verstößt, die wir in Europa vertreten und die ein Standortvorteil sind, wenn nur sehr wenige Nutzerinnen und Nutzer Zugriff auf diese App haben, die zudem wissentlich und willentlich Datenschutz ignorieren, sollte die Bundesregierung nicht genau dort ihre Strategie für eine digitale Zukunft erklären. Denn wie soll diese Zukunft bitte schön aussehen? Elitär, wertevergessen und von der pubertären Panik getrieben, nicht dabei zu sein? Ganz ehrlich: »Fomo« war noch nie cool. Auch nicht, wenn sie sich in einer App zeigt, die sich lässig »Clubhouse« nennt.