von Robin Meyer-Lucht, 28.8.09
Lezte Woche bekam ich eine E-Mail von der FDP – mit “kleinen Wahlkampfideen zum Nachmachen”:”Bringen Sie eine FDP-Kaffeetasse zur Arbeit mit”, wurde mir vorgeschlagen. Oder: “Verteilen Sie Solms-Bierdeckel.” Oder auch: “Einfach mal mit FDP-Badesachen ins Freibad“.
Mittlerweile habe ich gelernt, dass das Phase drei der diesjährigen Variante des Online-Bundestagswahlkampfs ist: 1. Informieren, 2. Mail-Adressen einsammeln, 3. Mobilisieren in kleinen Schritten.
Am Mittwoch fand ein kleiner Zwischenschau-Workshop in Sachen Online-Wahlkampf statt, organisiert von Wahl.de und einem Telekommunikationsunternehmen. Die Online-Wahlkampfverantwortlichen der größen fünf Parteien waren dabei (Piraten also nicht). Wörtliches Zitieren und die Nennung einzelner Parteien in der nachträglichen Berichterstattung war durch die Regeln des Workshops erst einmal ausgeschlossen.
Hier ist, was ich dabei grundsätzlich gelernt habe:
1. Auf die sozialen Netzwerke kommt es an
Im Online-Bundestagswahlkampf 2009 haben sich die sozialen Netzwerke (Facebook, StudiVZ) für viele Parteien zu den zentralen Plattform für die Akquise und Vernetzung mit Unterstützern herausgebildet. Die Unterstützer verbinden sich hier in deutlich größerer Zahl mit den Parteien, als in parteieigenen Netzwerken. Der Online-Unterstützer lässt sich zur Ein-Klick-Befreundung auf Facebook überreden, mag aber nicht zu den Parteien selbst gehen. Hier zeigt sich offenbar das ingesamt eher distanzierte Verhältnis zu Parteien, mit dem viele Online-Campaigner zu kämpfen haben.
2. Bescheidener Mobilisierungsgrad
Angesichts von 62 Mio. Wahlberechtigten und 22 Mio. Bundesbürgern, die täglich online sind, ist der Mobilisierungrad der Online-Kampagnen bislang noch eher bescheiden. “Es gibt eine hohe Schwelle für Commitment und Beteiligung”, sagt einer der Wahlkampfmanager. Über Abrufzahlen sprechen die Parteien ungerne bis gar nicht (siehe auch P.S. unten). Mit dem Online-Wahlkampf erreichen die Parteien die Wähler in diesem Wahlkampf offenbar besser, umfassender und intensiver als noch vor vier oder acht Jahren. Doch der erhoffte Reichweitenmoment, das räumt auch der eine oder andere Kampagnen-Verantwortliche ein, konnte bislang häufig noch nicht realisiert werden.
3. Die Sofa-Aktivisten mobilisieren
Die meisten potenziellen Wähler wollen sich auf den Parteiwebsites vor allem informieren. Nur wenige hinterlassen auch E-Mail-Adressen und wollen sich beteiligen. Für die Online-Kampagnen geht es in der Schlussphase des Wahlkampfs nun darum, diese Sofa- und Klick-Aktivisten in der realen Welt zu mobilisieren – und zu Multiplikatoren in realen Gesprächen zu machen. Genau deshalb versucht nun etwa die FDP, ihre Online-Unterstützer mit FDP-Kaffeetassen ins Büro zu schicken.
4. Eine Parallelstruktur für die Dauer des Wahlkampfs
Für die deutschen Mitgliederparteien stellt der Online-Kampfkampf, bei dem sich plötzlich eine Sphäre von losen Online-Unterstützern neben der klassischen Parteistruktur bildet, ein bislang nur bedingt gelöstes Strukturproblem dar. Für diesen Wahlkampf haben sich die Parteien zunächst einmal darauf eingerichtet, dass es für die Dauer des Wahlkampfs eine Parallelstruktur neben den klassischen Mitgliedern gibt. Der Online-Wahlkampf kann die Struktur von Ortsvereinen derzeit nicht ersezten. Zugleich ist das Netz vor allem auch eine Infrastruktur, um an die eingeschworenden Parteimitglieder Informationsmaterial und Argumente zu verteilen.
5. Online-Wahlkampf ist viel dezentraler als es die professionellen Beobachter wahrhaben wollen
Der Bundestagswahlkampf wird maßgeblich von den (Direkt-)Kandidaten selbst bestritten. Diesen ganz maßgeblichen Teil des regionalenOnline-Wahlkampfs bekommt die Berlin-Mitte-Bande gar nicht mit – und übersieht damit weite Teile. Zugleich werden bestimmte Teile des Online-Wahlkampfs eher auch symbolisch für die professionellen Beobachter geführt – damit die Medien drüber berichten.
6. Online-Wahlkämpfer sind coole Pragmatiker
Auch wenn der Online-Wahlkampf noch nicht das Momentum entwickelt hat, das sich der eine oder andere Kampagnen-Manager gewünscht hätte, so wissen doch alle: Der Wahlkampf kommt in ihre Richtung. Jetzt schon – und zukünftig noch viel mehr. Angesichts steigender Zahlen braucht sich niemand verstecken. Dass man machmal Politik bis an die Grenze des Klamauks zuspitzen muss, das ist halt so. Dass man noch nicht einen klaren Impuls in diesem impulsarmen Wahlkampf geleistet hat, das ist halt so.
7. Fundrasing kann durchaus funktionieren
Zumindest eine Partei zeigte sich freudig überrascht, wie gut inzwischen der Ansatz der Großplakatspenden funktioniere. Durch die Auswahl von Plakatstandort und Motiv seien sich die Unterstützer aktiv eingebunden. Sie würden diesen – auch inhaltlichen – Einfluss auf die Kampagne sehr schätzen.
8. Online-Wahlkampf nach der “digitalen Blase”: Wichtig, aber nicht entscheidend
Sind die Erwartungen auf Obama-Niveau (die “digiatale Blase”) erst einmal eingeholt, stellt man fest, dass Online-Wahlkampf inzwischen ein wichtiges, aber noch kein entscheidenes Instrument der Parteipolitikwerbung für die klassischen Parteien geworden ist. Das Netz dient der Information der potenziellen Wähler, der Aktivierung von losen Sympathisanten und der Kampagnensteuerung der Mitglieder. Es ist für die Parteien unverzichtbar geworden.
9. Online-Wahlkampf verändert das grundsätzliche Verhältnis von Parteien und Wählern vorerst nicht
Doch auch im Jahre 2009 wird im Internet vor allem klassischer Wahlkampf mit Mitteln des Internets gemacht. Man muss nicht von “Online-Plaktierung” sprechen, aber es bleibt der Nachgeschmack, dass häufig die klassischen Mechanismen auf neue Medium lediglich übertragen werden: Um es mit den Worten von Peter Müller aus dem Handelsblatt zu sagen: “Ein bloggender Außenminister ist auch nichts anderes als ein Politiker, der einem Wahlwerbung in die Hand drückt.” Beiträge, wie sich angesichts neuer Medientechniken das Verhältnis von Parteien und Wahlbürgern grundsätzlich verändern könnte, liefert dieser Online-Bundestagswahlkampf bislang nur bedingt. Er scheint auf dem Weg zu sich selbst erst noch am Anfang zu stehen. Aber warten wir mal ab: Die Wahl ist erst Ende September – und da gibt es ja noch die Piratenpartei.
P.S.: Ich habe nach der Diskussion um die Meedia-Zahlen noch einmal bei Nielsen Netratings nachgefragt, welche Zahlen zur Nutzung der Parteiwebsites dort vorliegen: Demnach erreichten die Parteiwebsites im Juli folgende Besucher (Unique User): CDU.de: 235.00, SPD: 231.000, Pirartenpartei: 93.000, FDP: 76.000, Grüne: 57.000 und Die Linke: 45.000. Die Zahlen basieren auf einem Nutzerpanel mit 25.000 Teilnehmern. Die beiden Volksparteien hätten demnach im Juli jeweils 5 Promille der 43,7 Mio. Internetnutzer mit ihren Zentralwebsites erreicht. Damit ist selbstverständlich nur ein ganz kleiner Teil der Aktivitäten der Parteien dokumentiert. Der Wert der Piratenpartei ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu niedrig. Er weicht ganz erheblich von Alexa- und Google-Adplanerwerten ab, wo die Piraten vor den klassischen Parteien liegen.