#Die Grünen

Online-Kampagnen nach Gauck: The Party has just begun

von , 8.7.10

Auf der Konferenz “Die neue Nähe” sprach Robert Heinrich, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit von Bündnis 90/Die Grünen, über den Zustand des Online-Campaignings und die Lehren aus der Bundestagswahl. Carta dokumentiert hier – leicht zusammengefasst – seinen Vortrag.

Parteien waren eigentlich immer schon dezentrale Kommunikationsnetzwerke. Ein Parteivorsitzender wusste nie, was sein Mitglied am Wahlkampfstand wirklich erzählt. Den immer wieder genannten “Kontrollverlust” gibt es also schon immer, im Netz setzt er sich jetzt fort. Der Unterschied ist, dass er im Netz besser kontrollierbar, also sichtbarer ist, als im “Offline-Leben”.

Die Parteien waren früher stark in in Netzwerken verwurzelt, in Vereinen, Verbänden, in sozialen Millieus. Weil die Kommunikation über diese alten Netzwerke aber nicht mehr so einfach war, haben die Parteien in den letzten Jahren zunehmend auf die Einbahnstraßenkommunikation gesetzt: Also auf massenkompatible Botschaften, die möglichst nicht wehtun und keine Zielgruppe verschrecken, letztendlich also möglichst wenig sagen aber trotzdem gut klingen. Sie setzten auf große Plakatkampagnen und auf sehr kontrollierte, sehr zentralistische Kommunikation.

Jetzt merken alle Parteizentralen, dass diese zentralistische Kommunikation nicht mehr richtig funktioniert und ich glaube, dass der letzte Wahlkampf 2009 eindrucksvoll bewiesen hat, dass die alten Instrumente da nicht mehr weiterbringen. Die massenkompatiblen Claims der Parteien (FDP: “Deutschland kann es besser”, SPD: “Unser Land kann mehr”) sind keine profilierten Botschaften und funktionieren nicht mehr.

Web 2.0 heißt daher für Parteien wieder stärker auf Dezentralität, auf Netzwerkkommunikation, auf Loslassen, auf die Macht des einzelnen Unterstützers bzw. Multiplikators zu setzen – und zwar mit den Mitteln der modernen Kommunikation. Für die Parteien hat das Riesenchancen.

Wir Parteien sind in den letzten Monaten häufig dafür angegriffen worden, dass keine von uns zur Bundestagswahl in der Lage war, eine Obama-Kampagne zu initiieren. Wir konnten drei Grundbedingungen einer Obama-Kampagne nicht erfüllen:

  • es gab keinen Obama, also eine charismatische Persönlichkeit
  • es gab keine echte Polarisierung
  • es gab keine Wechselstimmung

Die letzten drei Wochen vor der Bundespräsidentenwahl haben jedoch bewiesen, wie das funktionieren kann: Wir hatten einen charismatischen Kandidaten, wir haben mittlerweile eine Wechselstimmung und wir hatten eine echte Wahl zwischen zwei verschiedenen Modellen bzw. Charakteren, die eine Polarisierung ermöglichten. Und da hat dann auch die Mobilisierung im Netz – für uns überraschend – sehr gut funktioniert.

Die Parteien können von Web 2.0 wirklich profitieren, weil sie das Netz nutzen können um

  • wieder besser zuzuhören, also eine neue Nähe zu den Bürgern zu bekommen,
  • Dialog einfacher zu machen,
  • besser zu mobilisieren.

Das Netz hat auch einen großen Zusatznutzen: Man kann hier politische Prozesse besser transparent machen und damit größere Glaubwürdigkeit erreichen. Und da Glaubwürdigkeit das ist, was die Parteien zur Zeit am meisten brauche, hat das Netz für die Parteien große Potenziale, die mit der Bundestagswahl 2009 höchstens angekratzt, aber noch nicht ausgeschöpft wurden.

“The Party has just begun” ist daher für mich die Lehre aus dem letzten Bundestagswahlkampf.

Zuhören: Soziale Netzwerke als Seismograph

Wenn früher der Parteivorsitzende wissen wollte, was im Land los ist, musste er die Kreisverbände abtelefonieren, und musste fragen, wie die Stimmung ist und wie die Leute über das denken, was in der Hauptstadt getan wird. Das muss er heute immer noch. Aber er hat auch die sozialen Netzwerke.

Wir nutzen insbesondere Twitter und Facebook sehr intensiv, um die Resonanz auf politische Entscheidungen und Diskussionen abzutesten. Dies sind für uns zusätzliche Seismographen für Stimmungen. Wir sind heute schneller als in der Vergangenheit in der Lage zu merken, welche Konsequenzen politische Entscheidungen in unserer Anhängerschaft haben, weil wir Web 2.0-Instrumente dafür nutzen können.

Dialog: Die Wähler wollen ehrliche Antworten

Dialog ist etwas, was alle Partei nicht wirklich gut beherrschen, in keiner gibt es die echte Dialogkompetenz, die eigentlich gebraucht würde. Die Grünen haben im Wahlkampf 2009 ein Projekt gestartet, das zeigt, wie wertvoll und effizient und wie unglaublich wichtig Dialog sein kann, wenn man ihn gut macht.

Bei der Aktion Drei-Tage-wach haben die Grünen drei Tage vor der Bundestagswahl angefangen 24 Stunden am Tag im Netz alle Fragen der Wähler übertragen und dies per Livestream zu übertragen. Es gab ein bisschen Rahmenprogramm, aber eigentlich war es eine relativ banale Sache: Der Wähler hat Fragen, die Parteien beantworten sie. Eigentlich keine große Innovation. Trotzdem war das, glaube ich, mit Abstand das erfolgreichste Online-Instrument aller Parteien in diesem Wahlkampf, weil es ein tiefes Bedürfnis der Bevölkerung, Politik Fragen zu stellen und darauf eine redliche Antwort zu bekommen, zugleich angeboten und in Form eines sportlichen Events inszeniert hat. Man hat sehr ungeschminkt dargestellt, wie Parteien im Wahlkampf arbeiten. Das hat zu einer erheblichen Schluss-Mobilisierung des grünen Wahlkampfes beigetragen und es gab in allen relevanten Medien Berichterstattung über das Projekt.

Dialog und Transparenz wurden also verknüpft und erzeugten viel positive Resonanz.

Mobilisierung: Die Parteien müssen ihre Unterstützer in die Netzwerke bekommen

Die Mobilisierung der eigenen Anhänger ist nach wie vor die wichtigste Funktion des Web 2.0 für Parteien. Und da muss man sich das Netz als neuen sozialen Raum vorstellen, in dem Multiplikatoren ihre Netzwerke pflegen, in dem sie kommunizieren, in dem sie Meinungsbildung betreiben. Und deswegen ist es auch nicht so wichtig, ob Angela Merkel 40.000 oder 100.000 Freunde auf Facebook hat, sondern es ist vor allem wichtig, ob die Parteien ihre Unterstützer in die Netzwerke bekommen und diese dann dort Meinungsbildung betreiben. Ähnlich, wie sie das früher im Verein getan haben. Und wenn das gelingt, schaffen es die Parteien am Meinungsbildungsprozess im Netz teilzuhaben – auch wenn sie ihn niemals dominieren werden, aber das ist ja auch nicht der Sinn der Sache.

Was müssen Parteien tun, um erfolgreich zu sein?

  • Zuhören wollen,
  • Zuhören können, also auch keine Angst vor Kritik haben,
  • einen langen Atem haben

Nur wenn die Parteien auch zwischen den Wahlen systematisch ihre Netzwerke weiter pflegen und weiter in Dialog treten, werden sie im Wahlkampf eine schlagkräftige Truppe zusammen haben. Sie können also nicht einfach nach der Wahl aufhören. Das ist natürlich schwierig, weil dann dafür weniger Ressourcen zur Verfügung stehen. Das heißt, Parteien müssen hier Schwerpunkte setzen, Ressourcen dafür freistellen und im Zweifelsfall auch andere Dinge lassen.

  • Parteien müssen loslassen können

Die Kontrolle war, wie anfangs erwähnt, schon immer eine Illusion. Aber im Web 2.0 wird der Kontrollverlust noch manifester.

Wir, also Grüne und SPD, haben beispielsweise schon 24 Stunden nach der Nominierung von Gauck als Bundespräsidentschaftskandidat gesehen, wie komische Websites auftauchten, mit denen wir überhaupt nichts zu tun hatten. Ich glaube, es war für alle Parteien ein Lernprozess – den auch die Obama-Kampagne gemacht hat – diese Dinge auch laufen zu lassen und nicht zu versuchen zu intervenieren, sondern bestenfalls Support anzubieten und darauf hinzuweisen. Das haben wir natürlich auch gemacht. Wir haben beispielsweise dafür mobilisiert, als die Online-Organisation Avaaz ein Instrument anbot, den Wahlmännern und und Wahlfrauen eine Email zu schreiben, aber wir hatten eben keinen Einfluss darauf, was in diesen Emails stand.

Gerade wenn man jetzt die Kontrolle über die eigenen Botschaften aus der Hand gibt und Kommunikation plötzlich wieder dezentral wird, braucht es einen kommunikativen Rahmen. Ich glaube, dass die Obama-Kampagne das sehr gut geschafft hat: Das Leitmotiv des change hat den Rahmen vorgegeben, hat aber den vielen dezentralen Unterstützern die Ausfüllung des Rahmens selber überlassen. Das heißt, dass jeder seine eigene Geschichte von change erzählen konnte.

Das ist natürlich eine Jahrhundert-Situation, die man in keinster Weise übertragen kann. Aber zu wissen, dass man auch in Web 2.0, auch in einer letztendlich anarchischerem Kommunikationsumgebung eine Geschichte erzählen muss, einen Rahmen vorgeben muss, ohne autoritär sein zu wollen, das ist glaube ich eine Kunst, die die Parteien hinkriegen müssen und die sie auch mit Blick auf den Wahlkampf 2013 noch zu üben haben.

Zur Einschätzung des Online-Campaigning der Parteien in Großbritannien, siehe auch eine Studie der Hansard Society mit dem Titel “Political parties are digital followers not leaders”.

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