#Angela Merkel

Ohne Schwarz-Gelb beginnt Merkels Abstieg

von , 25.9.09

Angela Merkel wird Bundeskanzlerin bleiben. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist jedenfalls angesichts des Koalitionsmarktes und einer Koalitionslotterie sehr hoch. Man braucht kein Kenner mathematischer Spieltheorie zu sein, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Schafft sie einen dosierten Machtwechsel – in einer Koalition mit der FDP, hat sie optimale Voraussetzungen, um ihre zweite Kanzlerschaft sicher über vier Jahre zu bringen.

Bleibt sie nur mit einer Fortsetzung der Großen Koalition im Kanzleramt, erhöht sich die Verfallsgeschwindigkeit der neuen Bundesregierung. Dies hängt keineswegs nur, wie zur Zeit häufig spekuliert wird, mit der labilen Verfassung der SPD zusammen, die letztmalig mit dem Versprechen startet, bundespolitisch nicht mit der Linken zu paktieren. Der Countdown für den Machtverfall der Großen Koalition beginnt am Wahlabend und zwar auch aus der Perspektive der Union.

Die Zyklen des Regierens umfassen in Deutschland etwa acht Jahre. Nach dem Zauber des Anfangs erhalten Regierungen mit ihren jeweiligen Koalitionen in der Regel eine zweite Chance. Von diesem Rythmus wurde bisher nur aufgrund außergewöhnlicher Regierungsleistungen oder in zeitgeschichtlich neue Konstellationen abgewichen. Das galt sowohl für Adenauer (14 Jahre) als auch für Kohl (16 Jahre). In den 60 Jahren deutscher Wahlgeschichte kamen die allermeisten Regierungswechsel ohne den Wähler zustande: selbsterneuernde Machtwechsel ( Adenauer-Erhard, Brandt-Schmidt); systemimmante Machtwechsel ohne vorherige Bundestagswahl (Erhard-Kiesinger, Schmidt-Kohl). Die meisten Wechsel waren dosierte Machtwechsel, bei dem ein Regierungspartner kontinuitätsverbürgend auch in der neuen Regierung verblieb (Erhard-Kiesinger, Kiesinger-Brandt, Schmidt-Kohl, Schröder-Merkel). Auch hierbei kam es weniger zum Wechsel durch die Wähler, sondern vor allem durch die Beweglichkeit der Parteien, die nach der Wahl das Lager wechselten.

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"Stabilitätsanker für eine Fortsetzung der Großen Koalition sind nicht erkennbar." Foto (M): Merkelizer, cc-by-nc-sa

Ein kompletter Machtwechsel durch den Wähler erfolgte nur 1998: Die bisherigen Oppositionsparteien SPD und Grüne ersetzten die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP. Die Szenarien des Wechsels dokumentieren die enorme Stabilität der deutschen Bundesregierungen. Nur acht Bundeskanzler in 60 Jahren belegen dies eindrucksvoll. Die im internationalen Vergleich ausgesprochen große Regierungsstabilität war vor allem die Folge eines ultrastabilen Parteiensystems, weniger ein Ergebnis bewusster Wahlentscheidungen. Kanzler scheiterten in der Regel nicht am Wählerwillen, sondern an der eigenen Partei oder an einem Koalitionspartner, der von der Fahne ging .

Angesichts der Rhytmen der Regierungspraxis in Deutschland spricht viel dafür, dass es zu einer zweiten Auflage der Großen Koalition im Bund kommt. Aber: Stabilitätsanker für eine Fortsetzung der Großen Koalition sind nicht erkennbar. Insofern spricht, anders als zu Beginn der ersten Legislaturperiode von Angela Merkels Kanzlerschaft viel dafür, dass die Große Koalition diesmal keine vier Jahre hält.

Bundeskanzler scheitern weniger am Wähler durch direkte Abwahl, sondern vor allem an der eigenen Partei. Die Machtposition von Angela Merkel ist innerhalb der CDU fragil – völlig unabhängig von ihrer hohen Popularität in der Bevölkerung. Sollte es nicht für Schwarz-Gelb reichen, trägt sie alleine mit ihrer präsidialen Prägung des Wahlkampfes, anders als noch 2005, dafür die Verantwortung. Ihr Autoritätsverfall würde am Sonntag um 18.oo Uhr beginnen. Ein Schub durch einen gezielten Wählerauftrag wäre bei der Großen Koalition auch 2009 in den nächsten Monaten sicher nicht messbar. Ein Neustart hätte kein Mandat für einen Aufbruch. Dass aus den ehemaligen Großparteien zwischenzeitlich mittelgroße Volkspartei-Ruinen geworden sind, würde Merkel als Parteivorsitzende ebenso angelastet wie die Verunklarung des Markenkerns der Union. Dass dies überwiegend mit den Strukturbedingungen des Formats der Großen Koalition zusammenhängt, würde im Frust über das schlechte Wahlergebnis wohl völlig außer Acht gelassen werden. Ein großer Landesverband als Rückhalt und Machtreservoir stand ihr nie zur Verfügung. Ihre Parteimacht hatte immer schon eigene Gesetze, die von der herkömmlichen innerparteilichen „Ochsentour“ deutlich abwich. Wie lange kann sich die Kanzlerin unter den Bedingungen einer erneuten Koalition der Wahlverlierer (Union und SPD) der Unterstützung durch die eigene Fraktion sicher sein? Schwindet diese Unterstützung, ist ihr Ende als Kanzlerin nahe. Insofern würden dann auch Spekulationen reifen, durch einen frühzeitigen Kanzlerwechsel (Modell: selbsterneuernde Machtwechsel) die Ausgangsbedingungen für 2013 zu verbessern.

Als Alternative bleibt die Suche nach lagerübergreifenden Mehrheiten mit neuen Koalitionspartnern. Auch diese Suche könnte mit einem neuem Personalangebot glaubhafter organisiert werden, als mit Akteuren, die diesen Versuch bereits 2009 unterließen oder daran scheiterten. Weitere Machterosionen drohen der Großen Koalition auch vom Bundesrat, in dem sie in den zurückliegenden Jahren ihre übergroße Zweidrittelmehrheit verloren hat. Politikstau aufgrund von Steuerungsverlusten könnten die Folge sein. Spektakuläre Wahlniederlagen in den Bundesländern ergänzen das Bild: Die Stärke eines Kanzlers hängt direkt von der Unterstützung in der eigenen Partei ab. Am Ende bliebe für die Kanzlerin der Großen Koalition eine Offensivstrategie à la Schröder: Auflösung des Bundestages und Neuwahlen aufgrund mangelnder Kontrolle über die eigene Partei.

Aber auch dann wäre es möglich, dass eine geschwächte Union einen anderen Kandidaten ins Rennen schicken würde, um für einen Neuanfang zu werben. Das Finale der Großen Koalition könnte somit bereits am Sonntag eingeläutet werden: aus der Erfolgsfalle des strategischen Bündnisses der Wahlverlierer heraus, die sich vermeintlich noch einmal für vier Jahre zusammenschließen müssten. Die Geschichte der Kanzler- , Koalitions- und Regierungswechsel lehrt jedoch, dass wir unseren Blick weniger auf die Arithmetik der Mehrheiten, sondern vor allem auf die innerparteiliche Machtkonstellation richten sollten. Kanzlermacht ist in Deutschland Parteimacht. Diese kann Merkel nur halten, wenn ihr eine Koalition mit der FDP gelingt.

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