#Atomstrom

Offener Brief an David McAllister: “Schuld sind nicht die Demonstranten …”

von , 9.11.10

Sehr geehrter Herr McAllister,

der Nachrichtenagentur Reuters zufolge haben sie eine „gerechtere Verteilung der Lasten“ gefordert, die durch die Absicherung der Castor-Transporte entstehen. Laut Agenturmeldung beklagen Sie sich darüber, dass Ihr Land eine nationale Aufgabe erfülle, aber allein für die 20 bis 25 Millionen Euro aufkommen muss. „Das ist und bleibt eine Ungerechtigkeit“, werden Sie zitiert.

Ich kann Sie durchaus verstehen.

Ihr Unionskollege aus Bayern, Joachim Herrmann, offenbar nicht. Er sagte im Deutschlandfunk, es sei eine einheitliche Regel, dass Bundesländer sich gegenseitig die Kosten für ihre eingesetzten Polizisten in Rechnung stellen. Auch Niedersachsen soll demnach für die etwa 500 Polizisten aus Bayern zahlen, die beim Castor-Transport im Einsatz sind.

Ihr Kollege aus Bayern, seines Zeichen dort Innenminister, hat gut reden. In seinem „Vorgarten“ steht kein Atommüll und dafür, dass er sicher weit weg von ihm ankommt, möchte er auch noch Geld.

Sehr geehrter Herr McAllister, ich denke an dieser Stelle sollten Sie, nicht nur im eigenem Interesse, eines öffentlich klar deutlich machen:

Und zwar, dass eben jenes Bundesland Bayern, das Sie nun auf den Kosten für den Transport sitzen lässt, vehement verhindert, dass auf seinem Territorium nach geeigneten Endlagerstätten gesucht wird. Und das, obwohl es dort deutlich mehr AKWs gibt, als in Niedersachsen.

Gerade wenn Ihre Unionskollegen Sie dermaßen im Stich lassen, sollten Sie sich auf folgendes besinnen: Sie sind niedersächsischer Ministerpräsident. Auch wenn Sie bislang nie als Spitzenkandidat vom Volk gewählt wurden, sind Sie ausschließlich diesem verpflichtet, nicht Ihrer Partei.

Das könnten Sie am besten damit deutlich machen und beweisen, dass Sie an der Seite anderer Bundesländer gegen die Laufzeitverlängerung klagen, welche die Bundesregierung beschlossen hat. Sie will dabei nicht die Bundesländer fragen.

Ich frage Sie: Glauben Sie angesichts des aktuellen Transportes tatsächlich, dass eine Laufzeitverlängerung, sprich mehr Atommüll, nicht eine Frage ist, der Sie als Bundesland zustimmen müssen?

Ich denke, wenn es keine deutliche Mehrbelastung wäre, die Sicherheit weiterer Transporte zu gewährleisten und bezahlen, würden Sie Ihre Kollegen nicht um finanzielle Unterstützung bitten.

Vielleicht sind Sie geneigt, Joachim Herrmann in seinem zweiten Punkt Recht zu geben. Er hat nämlich vorgeschlagen, die Demonstranten zur Kasse zu bitten. Wörtlich sagte er laut Agenturmeldung: „Gäbe es diese illegalen, gewalttätigen Demonstranten nicht, gäbe es die Kosten nicht.“ Und weiter: „Man muss sich eher fragen, warum die nicht die Kosten zahlen.“

Dies ist eine Aussage, mit der man an konservativen Stammtischen vielleicht Punkten mag. Aber man muss einiges klarstellen. Die Proteste waren bislang keinesfalls illegal und gewalttätig. Wenn die Demonstranten gewollt hätten, hätten sie in der Nacht zum Montag, in der sie über Stunden die Gleise besetzt hielten, die Gleise weitreichend „schottern“ können.

Stundenlang brauchte die Polizei allein, um die schiere Masse an Demonstranten wegzutragen. Hätten die Demonstranten gleichzeitig am anderen Ende versucht, die Schienen unbefahrbar zu machen, die Einsatzkräfte hätten dem nichts entgegenbringen können.

Vereinzelnt mag es Aktionen gegeben haben, die jenseits der Grenze des guten Geschmacks gelegen haben dürften, aber auch hier kann man Sie fragen, was ist Huhn, was ist Ei? Auch Polizisten sind rabiat vorgegangen.

Dass Kinder, Jugendliche, und auch viele ältere Menschen die ganze Nacht auf Schienen verharren, in Kauf nehmen, krank zu werden: Das ist kein Zeichen dafür, dass diese Leute Stress machen wollen. Es ist auch kein Event, wie an einigen Stellen behauptet wird. Es ist nicht einmal Protest. Es ist Widerstand. Widerstand gegen eine Politik, die von den Bürgern nicht gewollt wird.

Dass die Kosten durch den Protest explodieren, der Atommüll länger im freien Gelände steht: Das mag zunächst widersprüchlich wirken. Ihre Aussagen, Herr McAllister, haben aber gezeigt, dass die Aktionen die gewünschte Wirkung haben.

Sie scheinen nämlich Zweifel bekommen zu haben. Zweifel, ob sich Ihr Bundesland und Ihre Partei diese Politik gegen den Willen der Bürger leisten und fortsetzten kann. Nun sollten Sie den nächsten Schritt gehen und Ihren Parteikollegen klar machen:

Nein, das können wir nicht! Und Schuld sind nicht die Demonstranten, Schuld sind wir selbst!

Leider habe ich Zweifel, ob Sie dies tun. Und wenn ich recht behalte, kommt das einer Art Rückzieher Ihrerseits gleich. Der wird die Proteste noch mehr verstärken.

Aber vielleicht überraschen Sie mich ja positiv und treten an die Seite der Zehntausenden, die in den vergangenen Tagen im Wendland den Atomausstieg gefordert haben und der über Hunderttausend, die in Berlin vor einigen Wochen für das gleiche Ziel auf die Straße gingen.

Es würde mich freuen.
Ihr Andreas Grieß

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