#Barack Obama

Obama vs. Palin/McCain: Wahlkampf nach der Logik einer Talkshow

von , 31.10.08

Sieben, sechs, fünf, vier Tage noch, der Countdown läuft, die Zeit ab und die Menschen drehen langsam durch. Heute ist Halloween, und das beliebteste Kostüm ist dieses Jahr nicht die Hexe, Mumie oder Dracula, sondern, wie mir der Verkäufer in dem Kostümladen Ricky’s im New Yorker East Village lachend erzählt, die Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin. Lippenstift, Brille, Haarknoten – fertig ist das Horror-Readymade. Und man kann sich wirklich vorstellen, dass die wertkonservative Power-Woman den liberalen New Yorkern mehr Angst macht als die Fabelwesen des alten Europas.  Trick or treat – gib mir Candy oder ich hebe Roe vs. Wade auf!

Sieben, sechs, fünf, vier Tage noch, der Countdown läuft, die Zeit ab und manche Menschen machen noch schnell Karriere. Joseph Wurzelbacher aus Ohio, Fachmann für Gas, Wasser, Scheiße, besser bekannt unter dem Namen „Joe the Plumber“, hat einen Vertrag bei einem Agenten aus der Musikbranche unterschrieben. Wurzelbacher wurde weltweit bekannt, weil er Senator Obama auf einem Wahlkampf-Event vor laufender Kamera wegen dessen Steuerpolitik kritisierte. McCain baute Joe the Plumber daraufhin in TV-Spots und Stump-Speeches ein, fügte später noch Rose the Teacher und Tito the Builder hinzu – anthropomorphe Chiffren der Steuerpolitik. Wurzelbacher begleitet im Endspurt die republikanischen Kandidaten auf dem Campaign Trail und möchte laut seinem Agenten nun ein „TV celebrity“ werden – man könne sich vorstellen, eine Kampagne für einen Baumarkt zu machen oder eine Platte aufzunehmen.

„Joe the Plumber“ ist ein politischer Bigbrother-Kandidat. Reality-TV. Unwirkliche Wirklichkeit.

Das Problem ist  nicht, dass Menschen die Präsidentschaftskandidaten mit Horrorfiguren verwechseln, oder dass ein Klempner eine Meinung zu Steuerpolitik hat – fatal ist, dass die US-Medien diese unterhaltsamen Nebensächlichkeiten zu „Breaking News“ aufwerten. Die Politikberichterstattung im US-Fernsehen besteht nicht aus Reportagen oder Features über Wahlentscheidungen und Gesetzesvorschläge, sondern basiert auf der Logik der Talkshow. Experten, Analysten und Berater, sogenannte “Pundits” (der Begriff leitet sich wohl von dem Sanskritwort pandita (dt. gelehrt) ab), sprechen über Wahlchancen, Garderobe und die Reden der Politiker. Kein Thema ist zu banal, um es intensiv unter die Lupe zu nehmen: die Tatsache, dass Michell Obama ihren Ehemann ab und an „baby“ nennt (wer hat die Hosen an im Hause Obama?). Die Klamotten für 150 000 Dollar für Sarah Palin. Oder die Tatsache, dass Barack Obama keinen Flaggen-Pin am Revers trägt. “Die Pundits generieren eine künstliche Dynamik”, erzählt mir Jay Rosen, Journalistik-Professor an der NYU und Autor des Blogs Pressthink, “sie müssen ja auch sieben Tage die Woche 24 Stunden senden.”

Über Politik erfährt man dabei allerdings nichts.

Der TV-Analyst Andrew Tyndall hat errechnet, dass die Nachrichtenkanäle dem Thema Vorwahlkampf 2008 mehr Sendezeit widmeten als in den Jahren 2003, 1999, 1995 und 1991 zusammen. Die Einschaltquoten von Sendungen wie Hardball (MSNBC) oder Situation Room (CNN) liegen um mehr als 100 Prozent über den Zahlen von 2004. Doch obwohl mehr als je zuvor über Politik gesprochen wird, haben die meisten Menschen, wie eine gemeinsame Studie des angesehenen Pew Research Institute und der Harvard Universität aufdeckte, nicht das Gefühl, gut informiert zu werden. “MSM” heißen Mainstream-Medien, wie TV-Sender und Zeitungen im Internet-Jargon – und dieses Akronym klingt nicht nur zufällig nach einem profitgierigen Konzern oder einer entzündlichen Erkrankung des Nervensystems.

“Die politische Berichterstattung in den USA dreht sich nicht um Politik “, sagt Rosen, “vor allem die Fernsehsender berichten über den Wahlkampf, als handle es sich um ein Baseball-Spiel.” Ähnlich wie bei einem Sportereignis konzentrierten sich die Journalisten und politischen Analysten bei der Berichterstattung auf die Frage: Wer ist der Beste, Schnellste, Schönste? Wer wird gewinnen? “Horse Race Journalism” heißt dieses Genre in Amerika, eine Form journalistischer Arbeit, die sich nicht mit den politischen Programmen befasst, sondern die sich die Triumph-Niederlagen-Semantik des Sports angeeignet hat und vom “Underdog” und “Frontrunner” spricht. Moderatoren und Experten reden über “gute und schlechte Taktik”, die “richtige Aktion zum richtigen Zeitpunkt”, die neueste Umfragen und den Zwischenstand der Spendensammler. Genau wie das Eckenverhältnis oder die Zweikampfquote im Fußball bieten diese Zahlen angebliche Deutungssicherheit. Mehr als zwei Drittel der Nachrichtenbeiträge (2005 waren es 54 Prozent), so das Ergebnis einer Studie des Pew Research Institute und der Universität Harvard, beziehen sich auf Strategie und Taktik der Kandidaten. Nur zwölf Prozent liefern relevante Informationen für die Entscheidungsfindung der Wähler, nur ein Prozent der Berichte analysiert die politische Arbeit der Politiker.

Das Versagen der Massenmedien, den Wählern einen Informationskontext zu geben, hat keinen sinistren politischen Hintergrund, sondern ist ökonomisches Kalkül. Wenn man nur über den Spielstand, die Wahl-Werbespots der Kandidaten und die Entertainment-Meme des Wahlkampfs berichtet, dann geht man nicht das Risiko ein, zu einem politischen Thema wieder Sinnhaftigkeit der allgemeinen Krankenversicherung Stellung beziehen zu müssen (und postwendend von der einen oder anderen Partei für Parteilichkeit kritisiert zu werden). Jay Rosen sagt: „Die Medien haben Angst als parteiisch zu gelten.“ Das Halloween-Kostüm, Joe the Plumber und neue Umfragen sind politische Nachrichten – aus denen man nichts über die richtige Politik erfährt. Objektivität ist der höchste Wert der Medienbranche – aber wenn Objektivität zum Fetisch wird, dann gibt es einen Fehler im System.

Tobias Moorstedt ist Autor des Buches “Jeffersons Erben” über den US-Wahlkampf, das soeben bei Suhrkamp erschienen ist. Man kann es zum Beispiel hier erwerben.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.