von Wolfgang Michal, 11.8.13
Am Donnerstag schrieb Daniel Deckers in der FAZ (nicht im Feuilleton, sondern im Politik-Teil):
„Fünfmal ist das für die Kontrolle der Geheimdienste zuständige Gremium aus insgesamt elf Bundestagsabgeordneten zusammengetreten, seit ein bis heute undurchsichtiger Amerikaner namens Edward Snowden erstmals allerlei Medien allerlei Skandalöses über allerlei Machenschaften des Geheimdienstes NSA wissen ließ.“
Soll heißen: Wieso beschäftigen wir uns eigentlich mit diesem Dünnschiss? Weil uns ein hergelaufener Amerikaner allerlei Machenschaften auftischt?
Anschließend heißt es, die Opposition habe sich erdreistet, die Bundeskanzlerin „der Missachtung allerlei Grundrechte (sic!) und allerlei anderer unschöner Dinge“ zu zeihen. Die fünfmalige Verwendung des Wortes „allerlei“ soll andeuten, wie unglaublich windig die „Enthüllungen“ dieses undurchsichtigen Amerikaners gewesen sind. Und dass die Verletzung von Grundrechtsallerlei zu den „unschönen Dingen“ gehört, über die man sich nicht so aufregen soll.
Normale Kooperation
In der FAZ vom Freitag geht die Skandal-Entsorgung noch ein Stück weiter. Eine GROSSE WENDE wird konstatiert. Der BND habe klargestellt, dass er lediglich die bei seiner Auslandsspionage gewonnenen Daten an die NSA weiterleitet. Normale Kooperation unter Verbündeten sozusagen. Alles legal.
Mit dieser Finte glauben die Regierungsvertreter die Debatte austreten zu können. Der FAZ-Aufmacher am Freitag:
„Nach Angaben des Bundesnachrichtendienstes (BND), die bislang nicht angezweifelt werden, handelt es sich bei den ’500 Millionen’ Daten nicht um Verbindungsinformationen Deutscher, sondern um Erkenntnisse des BND, die in Krisenländern oder im Umfeld der internationalen Afghanistan-Truppe gewonnen, dann aufbereitet und ohne Daten Deutscher mit den Amerikanern geteilt wurden.“
Wenige Zeilen zuvor heißt es:
„Hintergrund dieser Aussagen sind inzwischen stark angezweifelte Berichte, denen zufolge amerikanische Geheimdienste monatlich in Deutschland bis zu 500 Millionen Datensätze erlangen.“
Alles klar? Hier: vollkommen durchsichtiger BND = unbezweifelbar, dort: absolut undurchsichtiger Snowden = bezweifelbar. So einfach kann Skandal-Entsorgung sein.
Zweiteilung der Öffentlichkeit
Neun Wochen nach dem Beginn der Enthüllungen erleben wir nun eine allmähliche Zweiteilung der Öffentlichkeit: Die Polit-Profis in den Redaktionen versuchen den Skandal zum wahlkampfbedingten Streit zwischen Merkel und Steinbrück herunter zu kochen. Sie schränken den Abhörskandal auf einen (legalen) Aspekt ein und erklären alle anderen (illegalen) Aspekte für unerheblich.
Im Netz herrscht darüber Verwirrung. Was auch ein wenig daran liegen mag, dass man völlig auf die scheibchenweise, mal übertreibende, mal untertreibende Berichterstattung der klassischen Medien angewiesen ist. (Hier wäre mehr Skepsis gegenüber vorschneller, aufmerksamkeitsheischender Berichterstattung angebracht).
Die Frage, die nun zunehmend gestellt wird, heißt „Wie soll es weitergehen?“ Sollen wir weiter philosophieren über die „gelähmte Wut“ und „die ausbleibende Aufregung“? Sollen wir uns wieder allgemeinen Internetfragen zuwenden? Oder was?
Mutti kommt zurück
Die FAZ-Politikredaktion triumphiert geradezu. „500 Millionen Irrtümer“ heißt die Überschrift am Freitag auf Seite 2. Und der nachfolgende Vorspann erklärt die ganze Aufregung um die von Snowden behauptete Schnüffelei zum “großen Popanz”:
„Die SPD und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hielten voll drauf: Angela Merkel stellten sie als Marionette der NSA hin, die sich an den Rechten der deutschen Bürger vergehe. Nun stellt sich heraus: Das war ein großer Popanz.“
Es folgt eine halbe Zeitungsseite Triumphgeheul von Peter Carstens, wie ihn der Wahlkampfleiter der CDU nicht besser hätte formulieren können. „Schwindelerregend“ sei die Täuschung durch die SPD-Spitze gewesen, geradezu perfide der Vorwurf des Landesverrats.
Gibt es also weder Prism noch Tempora noch XKeyscore? Gibt es keinen schleichenden Ausverkauf der Grundrechte? Keine eingeschränkte Souveränität? Keine BND-Eigenmächtigkeiten? Keine NSA-Paranoia? Alles nur Einbildung und heiße Luft? Verursacht von einem undurchsichtigen Amerikaner im Verein mit einer sensationslüsternen Journaille?
Die große Gefahr der momentanen Desinformationsversuche ist, dass vielen Beobachtern die Materie allmählich zu kompliziert wird. Dass sie sich abwenden. Dass sie sich in juristisches Kleinklein und parteipolitisches Hickhack hineinziehen lassen.
Das Machtwort der Union und die Erklärung des BND scheinen Wirkung zu zeigen. Nächste Woche kommt Mutti aus dem Urlaub. Dann muss Ruhe sein!! Und die Kinderzimmer mit den NSA-Spielsachen müssen dann blitzblank aufgeräumt sein.
- Es gibt natürlich auch andere Stimmen im FAZ-Politikressort: Großfischer aus Pullach