#EU

Nobelpreis für wen?

von , 12.10.12

Wie gut, dass Norwegen noch nicht EU-Mitglied ist. Sonst hätte der Preis jetzt ein G’schmäckle. Würde der Friedensnobelpreis nämlich wie all die anderen Nobelpreise von der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften, dem Karolinska-Institut Stockholm oder der Königlich-Schwedischen Akademie der Künste verliehen, hätte sich die EU in diesem Jahr quasi selbst beschenkt.

Nun sind es freilich nicht die Länder der EU, die den Preis erhalten oder das EU-Gebiet oder die heimische Bevölkerung, nein, den Preis bekommt der institutionalisierte Integrationsprozess, also ein politisches Verfahren. Erstmals wird keine Person, keine Hilfsorganisation, keine konkrete Initiative und keine Institution (wie 2001 die UNO) ausgezeichnet, sondern ein Legitimationsprozess (Luhmann-Anhänger dürfen jetzt die Sektkorken knallen lassen).

Dieser Legitimationsprozess durch Verfahren, so krisenhaft er auch ablaufen mag und so sehr man ihn in Zeiten von ESM und Troika kritisieren muss, ist tatsächlich preiswürdig. Denn für viele Regionen in Spannungsgebieten ist der Friedens- und Integrationsprozess der EU bis heute das Leitbild: etwa für die Staaten Süd- und Mittelamerikas, für die arabischen und afrikanischen Länder, für Südostasien, ja sogar für die Pazifikanrainer.

Trotzdem ist die Pauschaladressierung „EU“ äußerst fragwürdig und missverständlich. Denn letztlich kann sich nun jeder gemeint fühlen: von Konrad Adenauer bis Silvio Berlusconi, von Maggie Thatcher bis Victor Orban, von den Wahren Finnen bis zum Goldenen Morgenlicht. Das Online-Magazin European (auch ein ideeller Mitpreisträger) hat schon mal die ironische Bild-Parole ausgegeben: „Wir sind Friedensnobelpreis“.

Nein, ein mutigeres Signal wäre es gewesen, wenn das norwegische Parlament in der jetzigen Finanzkrise, die mit einer schleichenden Entdemokratisierung der politischen Willensbildung verbunden ist, den Preis gezielt an das Europäische Parlament vergeben hätte. Schließlich versteht sich die Nobelpreisvergabe immer häufiger als eine in die Zukunft gerichtete pädagogische Maßnahme. Sie will eher der Hoffnung auf das Gute Ausdruck geben als bereits erbrachte Leistungen würdigen. Bei Obama war das schon so, und bei der EU dürfte der Impuls ganz ähnlich gewesen sein (denn es stellt sich ja die Frage: warum jetzt?). Die konkrete Lebensleistung einzelner Personen tritt in den Hintergrund zugunsten von Regierungsambitionen, institutionellen Versprechen und erwünschten Prozessen. Der Nobelpreis wird so zum gut gemeinten Appell.

Dies öffnet der Beliebigkeit Tür und Tor. Die Preisträger müssen immer allgemeiner, immer umfassender, immer globaler ausgewählt werden. Doch will sich das norwegische Nobel-Komitee nicht dem Vorwurf aussetzen, hier klopfe sich vor allem das westliche Wertesystem auf die eigene Schulter, müsste der Preis im nächsten Jahr entweder an die Afrikanische Union, den Islam, die chinesische Ein-Kind-Politik, die Kakaobohnen-Produzenten oder das Universum gehen.

Siehe auch Veras Twitterlese

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