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ZDF & Brender: Nie war der Mangel an Staatsferne unzeitgemäßer als heute

von , 23.11.09

Es ist eine Intervention ohne Beispiel: An Wochenende haben 35 Verfassungsrechtler vorab nichts weniger erklärt, als das Hessens Ministerpräsident Roland Koch am Freitag im ZDF-Verwaltungsrat gegen die Verfassung verstoßen werde, wenn er auf der Ablösung von Nikolaus Brender als ZDF-Chefredakteur beharrt.

Koch wolle nämlich  “offenkundig”  einen “unabhängigen Journalisten”  verdrängen, um den Einfluss von Staat und Parteien auf das ZDF zu sichern. Genau dies aber verstoße gegen die verfassungsrechtliche Rundfunkfreiheit.

Der Fall Brender ist damit nicht nur ein “Prüfstein” für die Rundfunkfreiheit, wie es die Staatsrechtler formulieren. Der Fall Brender steht für eine der größten institutionellen Krisen der Rundfunkfreiheit überhaupt.

Nikolas Brender im Kreis seiner Kontrolleure

Die Mitglieder des Programmausschuss Chefredaktion: Nikolas Brender im Kreis seiner Kontrolleure

Um die Staatsferne der Rundfunkanstalten stand es nie gut – nie aber war der Mangel an Staats- und Parteienferne im Rundfunksystem unzeitgemäßer als heute.

Die Rundfunkanstalten mögen sich heute weniger als “Sümpfe parteipolitischer Küngelei” (Spiegel) gerieren als dies in den siebziger und achtziger Jahren der Fall war. Damals jedoch hatten die roten und der schwarzen Flure in den Rundfunkanstalten auch eine spezifische gesellschaftliche Funktion, wie Peter Lösche bereits vor einiger Zeit auf Carta hervorhob: Die Volksparteien waren in den frühen Jahren der Bundesrepublik als Milieuparteien tief in der Gesellschaft verwurzelt.

Bei der Besetzung von Positionen in Rundfunk- und Fernsehräten, ging es  nicht nur um bloße Macht, sondern auch um Inhalte, nämlich darum, darauf zu achten, dass von der eigenen Lebenswelt, den eigenen Ideen und Vorstellungen etwas in den Programmen „rüber kam“, dass also auch konzeptionelle Alternativen erkennbar wurden.

Die Großparteien waren als die zentralen Medien der gesellschaftlichen Wertekonflikte auch die legitimen Vertreter dieser Anliegen in den Rundfunkanstalten. Heute aber ist die gesellschaftliche Rolle der Parteien eine andere. Ihr Machtanspruch in den öffentlich-rechtlichen Gremien aber ist, wie der Fall Brender zeigt, ungebrochen.

Die Krise der Rundfunkfreiheit ist dabei zugleich auch eine Krise der Idee der “Binnenpluralität“. Die Rundfunkfreiheit ist ideengeschichtlich in der Epoche der Frequenzknappheit verwurzelt. Sie ist bestrebt, Meinungsvielfalt im Mediensystem durch programminterne Vielfalt und interne Gremienkontrolle sicherzustellen.

Mit dem Internet aber explodiert die “Außenpluralität”: Es gibt eine rasch wachsende Zahl von Angeboten und Menschen, unabhängig publizieren und so für einen Diskurs zwischen den Publikationen sorgen. Vielfalt muss nicht mehr in einer Anstalt hergestellt werden.

Wenn aber das Mediensystem mehr Meinungsvielfalt bereitstellt, verändern sich auch die gesellschaftlichen Anforderungen an so etwas wie “Rundfunkfreitheit”: Ohne vollständige Freiheit hinreichende Unabhängigkeit können die Anstalten ihren Funktionsauftrag im neuen Umfeld gar nicht mehr erfüllen. Als schlecht getarnte Machinstrumente der parteipolitischen Eliten ist ihre Legimationserosion kaum aufzuhalten.

Dabei stellt sich aber noch eine ganz andere Frage: Ist der Fall Brender überhaupt die richtige Personalie, um über Unabhängigkeit von Rundfunkanstalten zu debattieren? Könnte es nicht doch fachliche Gründe für seine Ablösung geben? Immerhin ist Brender “nicht bei allen Mitarbeitern beliebt”, wie Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung notierte. Doch Nikolaus Brender hat genügend Leuten verdeutlicht, dass

er Protestschreiben von Parteien und Politikern entweder gar nicht oder rotzfrech beantwortet, er bei Politiker-Anrufen nicht zurückruft und er sich jede Einmischung in Personalentscheidungen brüsk verbittet.

Ohnehin: Roland Koch brachte im Interview mit Stefan Niggemeier derart fadenscheinigen Quoten-Argumente gegen Brender vor, dass keine andere öffentliche Interpretation mehr möglich ist als die von den 35 Staatsrechtlern vorgetragene. Brender ist so zum Symbol geworden,  zum verfassungrechtlichen “Prüfstein”. Dabei hätten die Zustände im Verwaltungsrat schön längst Juristen alarmieren müssen.

Die Zustände beim ZDF sind dabei nur besonders drastisch – so drastisch, dass auch vorsichtige Juristen nicht umhinkommen, Veränderungen anzunahmen. Bei vielen ARD-Anstalten sind die Zustände vom Prinzip her nicht viel besser – nur dezenter organisiert.

Dabei kann man  sich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele, die zwar auch für die Staatsfreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, aber vor allem auch für starke Rundfunkanstalten sind, sich eher zurückhaltend in die Debatte einschalten. Sie fürchten offenbar, die Ministerpräsidenten könnten ihre medienpolitisch schützende Hand nicht mehr über die Rundfunkanstalten halten, wenn diese zu eigenständig würden.

Im Gegenschluss bedeutet dies auch: Man ist für die Fortsetzung medienpolitischer Protektion, die sich die Rundfunkanstalten zum Preis  mangelnder Unabhängigkeit erkaufen. Doch genau dieses System gegenseitiger Abhängigkeit passt nicht mehr zum neuen Medien- und Gesellschaftsumfeld. Der Fall Brender zeigt: Das öffentlich-rechtliche  System muss sich dringend verändern, um relevant zu bleiben.

Dabei ist letzlich egal, ob Brender am Freitag gehen muss oder bleiben darf. Den erdrückenden Einfluss der Ministerpräsidenten und der Parteipolitik zeigt der Vorgang fast unabhängig vom Ausgang, wie Eckhard Fuhr richtig anmerkt:

Diese Juristenlogik muss man erst einmal begreifen. Bei der Frage, ob ein öffentlich-rechtliches Gremium in seiner Zusammensetzung verfassungsgemäß ist, kommt es also darauf an, welche Beschlüsse es fasst. Entscheidet der Verwaltungsrat für Brender und gegen Koch, zerstreuen sich die verfassungsrechtlichen Bedenken. Im anderen Fall sehen sie sich bestätigt.

Unabhängig vom Ausgang muss die “Causa Brender” daher der Ausgangspunkt für eine Refom- und Funktionsdebatte des öffentlich-rechtlichen Systems  sein. Denn der Fall hat ein Demokratie- und Kontrolldefizit aufgezeigt, dass sich die Zivilgesellschaft nicht gefallen lassen kann.

Grünen-Chef und ZDF- Fernsehratsmitglied Cem Özdemir hat schon klargestellt:

“Wenn das durchgeht, dann ist endgültig klar, dass künftig die Unions-Staatskanzleien und das Kanzleramt das ZDF führen und eine unabhängige Berichterstattung damit gefährdet ist.”

Glaubt man Michael Sprengs Prognose, dass der Koch den Brender doch mit aller Macht aus dem Amt drängen wird, dann würde übrigens der Ball der politischen Initiative ganz schnell bei der FDP liegen.

Ein Drittel der Mitglieder des Bundestages kann ein Normenkontrollverfahren gegen die Zusammensetzung der ZDF-Gremien beim Bundesverfassungsgericht anstrengen.

Grüne, Linke und FDP haben zusammen die erforderliche Stimmenanzahl.

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Der ZDF-Verwaltungsrat trifft sich am Freitag um 14 Uhr beim ZDF in Berlin. Carta wird live zu dem Treffen blogen.

Ebenfalls zum Thema:

– Robin Meyer-Lucht: Brenders Rapportgremium: Ein kleiner Bundestag

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