#Energiepolitik

Nabucco-Pipeline: Symbolische Politik ohne praktischen Wert?

von , 19.3.09


Politik braucht eingängige Symbole, europäische Politik ganz besonders. In der Energiepolitik lässt sich das gut über Pipeline-Projekte gewährleisten. Deren Realisierungszeit ist sehr lang, ihr Weg lässt sich auf Landkarten anschaulich nachvollziehen, im Mittelpunkt steht “unsere” Versorgung. Die mediale Darstellung von Pipeline-Projekten bewegt sich zudem vornehmlich in den Kategorien der Außenpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine Gruppe von Produzenten-, Transit- und Verbraucherländern schließt sich zusammen, um einen neuen Rohstoff-Korridor zu eröffnen, vorbei an Konkurrenten und potentiellen Störenfrieden, immer in gespannter Erwartung der Interventionen der “Gegenseite” und des “Verrats” innerhalb des eigenen Lagers. Eine spannende story line, die über mehrere Jahre hinweg trägt.

Im konkreten Fall der Nabucco-Pipeline besteht die Konstellation aus Lieferländern des kaspischen Raums und Zentralasiens, zu deren Erdgas “wir Europäer” uns erstmals direkten Zugang verschaffen könnten – unter Einbezug des Transitlands Türkei und unter Umgehung Russlands (Karte hier), das nicht nur mit “uns” um die Gunst dieser Lieferländer konkurriert, sondern bestrebt ist, auch zukünftig seine sehr dominante Stellung auf den europäischen Gasmärkten zu behaupten.

Dieses in den Medien und weiten Teilen der europäischen Politik gezeichnete Bild ist nicht komplett falsch – anderenfalls ginge auch keinerlei Überzeugungskraft von ihm aus -, es unterschlägt jedoch eine ganze Reihe relevanter Ebenen, zuallerst die energiewirtschaftliche. Pipeline-Projekte dieser Größenordnung (3300 km, bei einem geschätzten Investitionsvolumen von 8 Mrd. Euro) sind immer auch politisch, sie werden nie ohne Involvierung der Regierungen der betroffenen Staaten realisiert.

Die Entscheidung über den Bau der Pipeline treffen aber die am Nabucco-Konsortium beteilgten europäischen Gasversorger – nicht die Politik. Fakt jedoch ist, dass für dieses bereits seit Jahren intensiv diskutierte Projekt noch kaum belastbare Lieferzusagen existieren, denn auf absehbare Zeit sind in der kaspischen Region nicht genügend Gaskapazitäten verfügbar, um die Pipeline wirtschaftlich betreiben zu können.

Von der europäischen Politik wird dieses Faktum nicht komplett ignoriert, aber doch gerne verschwiegen. Statt dessen dominieren Debatten um Probleme, die für die Realisierung Nabuccos eher nebensächlich sind, etwa über die grundsätzliche Haltung der europäischen Regierungen zu dieser und anderen Gasimportpipelines (Nord Stream, South Stream) oder um mögliche Finanzierungsbeiträge der EU. Diese Debatten kulminieren in schöner Regelmäßigkeit, etwa bei zahllosen Großkonferenzen (zuletzt in Budapest, demnächst in Sofia und in Prag), oder auch im Umfeld des Frühjahrsgipfels der 27 EU-Staats- und Regierungschefs am 19./20. März. Bei großen Teilen des Publikums mag der Eindruck entstehen, dass die EU sich redlich bemüht – faktisch kommt das Projekt aber nicht voran. Erst kürzlich vermeldete das Konsortium zum wiederholten Male eine Verschiebung des Baubeginns um ein Jahr (auf 2011) – es dürfte nicht die letzte gewesen sein.

Keine Frage: Der Bau der Nabucco-Pipeline wäre ein großer Fortschritt für die EU-Versorgungssicherheit. Es macht jedoch wenig Sinn, dieses Projekt symbolisch derart stark aufzuladen, denn angesichts der offenkundigen Probleme bei dessen Realisierung besteht die Gefahr, dass Nabucco eines Tages zum Symbol des Scheiterns einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik wird.

Es drängt sich die Frage auf, ob die Nabucco-Pipeline auch weiterhin die Top-Priorität der EU-Politik im Bereich Energieversorgungssicherheit bleiben sollte, verglichen etwa mit der dringend notwendigen Verknüpfung der innereuropäischen Gasmärkte (inkl. solidarischer Krisenreaktionsmechanismen), dem verstärkten Einsatz erneuerbarer Energieträger (inkl. Biogas), der Steigerung der Energieeffizienz oder dem Ausbau des sehr viel flexibleren Transports von verflüssigtem Erdgas (LNG) per Schiff. Diese Diskussion ist zwar potenziell konfliktträchtig. Sich auf vergleichsweise unspektakuläre Ansätze mit hoher Umsetzungschance zu konzentrieren wäre jedoch weitaus sinnvoller, als weiterhin Phantomdebatten über symbolträchtige Großprojekte zu führen. Ihrem Anspruch, die Energieversorgungssicherheit Europas zu gewährleisten, kann die EU nur dann gerecht werden, wenn geopolitische Phantasien nicht länger den Blick auf energiewirtschaftliche Fakten verstellen.

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