#Columbine High School

Online-Spiele sind die neue Rockmusik: Das ideale Feindbild konservativer Hinterbänkler

von , 27.3.09


Wenn etwas passiert, das unbegreifbar ist, ist schnell das Schuld, was man nicht versteht. Früher war das Rockmusik. Als vor zehn Jahren das schreckliche Massaker an der Columbine High School stattfand, zeigte man in der ARD einen Ausschnitt aus dem Cure Video “Killing an Arab”. “Zu Deutsch: Einen Araber töten – solche Musik hörten die Attentäter”, hieß es damals mit gedrückter Stimme aus dem Off in unserer Hauptnachrichtensendung.

Der Reflex funktioniert noch immer, lediglich die gute, alte Rockmusik hat ihre Position als bedrohliche, fremde Welt verloren. Niemanden interessiert sich in letzter Zeit mehr dafür was Robert S., Tim K. oder andere Mörder für Musik hören. Auch dem konservativsten Spiegel oder ARD Aktuell Redakteur ist zehn Jahre später klar, wie und wieso Cure oder Rammstein funktionieren. Mit Rockmusik hat sich der Redakteur von heute als Heranwachsender damals selbst abgegrenzt und weiß, dass das der eigenen Entwicklung nicht geschadet hat. Im Zweifel hört er Alice Cooper oder Marylin Manson zum verdienten Feierabend nach wie vor selbst zu Hause.

Die Welt der Computerspiele ist vielen Erwachsenen jedoch fremd. Besonders die der Online-Games. Gerade das macht sie für Kids so attraktiv. Papi weiß aus eigener Erfahrung, wie er auf den musikalischen Antichristen reagieren muss, Counterstrike und Co. machen ihn jedoch komplett ratlos. Was man emotional nicht verstehen kann, bleibt fremd und bedrohlich. Toll für die Adoleszenten, die in der Abgrenzung zu ihren Eltern eine eigene Identität zu finden versuchen. Toll für Journalisten, die mit einfachen Modellen versuchen müssen das Unfassbare greifbar zu machen.

In den Medien wird dann schnell selbst “World of Warcraft” zum Ego-Shooter Spiel, im vorauseilenden Gehorsam nehmen einzelne Elektronikmärkte die dazugehörige Software aus den Regalen und konservative Politiker bellen etwas von Verboten über die man nun nachdenken müsse. Mit den Ursachen hat all das so wenig zu tun wie mit den Spielinhalten. Die wirklich schmerzhaften Themen und der Bereich politischer Gestaltungshoheit, wie Bildung, Erziehung und die Entwicklung gesellschaftlicher Werte bleiben weitgehend außen vor.

Alarmisten wie der notorische Professor Pfeiffer aus Hannover stellen anlässlich solch schrecklicher Ereignisse wie dem in Winnenden aufgeregt fest, dass die absolute Mehrheit aller Jungs zwischen 16 und 20 Jahren schon echte Ego-Shooter wie „Counterstrike“ und das wirklich widerliche „Manhunt“ gespielt haben oder gar regelmäßig spielen. Eine absolute Mehrheit aller Jungs hat früher auch harten Rock oder Hip Hop gehört, wie ihn Vizepräsidenten-Gattin Tipper Gore am liebsten verboten hätte. Die Wahrscheinlichkeit, dass die jeweiligen Amokläufer dazugehören, war zwangsläufig statistisch bei Rock/Hip Hop hoch und ist es nun bei den Games auch. War ausgerechnet die Jugend all dieser konservativen Hinterbänkler aus unserer Parteienlandschaft, so anders als die anderer Kinder?

Tim Renner schreibt auch auf Motorblog.

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