#Alexa

Tear down this Mall! Eine Reisewarnung

von , 28.9.14

Architekturkritiker leben gefährlich: Bei der Einweihung des „Alexa“, eines vergleichbaren Shopping Centers am Alexanderplatz, hatte es vor sieben Jahren mehrere Verletzte gegeben. Tausende „Wir sind das Volk“ skandierende Schnäppchenjäger konnten nur durch ein Großaufgebot von Polizei und Sicherheitspersonal davon abgehalten werden, dem riesigen Gebäudekomplex bereits vor Eröffnung buchstäblich die Türen einzurennen.

Trotzdem entschloss ich mich, „The Mall of Berlin“, den lang erwarteten Lückenschluss am Leipziger Platz, bereits am Eröffnungstag in Augenschein zu nehmen. Mein Eindruck: wie erwartet, nur schlimmer. Die Massenpanik blieb zwar aus, und im direkten Vergleich zum rosafarbenen „Kotzbrocken“ (Oliver Gehrs) „Alexa“ – dem „The Mall“ mit seinen 270 Geschäften und 76.000 Quadratmetern Verkaufsfläche den Rang als zweitgrößtes Einkaufszentrum der Stadt abgelaufen hat – erscheint der jüngste Neuzugang auf dem umkämpften Berliner Einzelhandelsmarkt geradezu zurückhaltend.

Die „Mall of Berlin“ als Vorhölle in Dantes „Göttlicher Komödie“

Sollten Theaterschaffende jemals auf die Idee kommen, Dantes „Göttliche Komödie“ auf die Bühne zu bringen und den Plot in das Berlin der Gegenwart zu legen – ich würden ihnen nach wie vor das Alexa als möglichen Höllenschauplatz ans Herz legen. Aber als Schauplatz der Dantschen Vorhölle käme „The Mall of Berlin“ sicher in die engere Auswahl.

Dantes Höllentor ziert die berühmte Inschrift „Ihr, die ihr eingeht, lasst hier jedes Hoffen“. Vom Potsdamer Platz kommend ist es bereits der Anblick der ohnehin belanglosen, aber durch penetrante Werbung zusätzlich verunstalteten Gebäudefassaden, der jedwede Hoffnung, „The Mall“  vielleicht doch etwas Positives abgewinnen zu können, ratloser Resignation weichen lässt. Dem Alexa ließe sich mit etwas Wohlwollen zugute halten, besonders nachts einen Hauch Pop zu versprühen, in all seiner Scheußlichkeit wenigstens eine Haltung zu vertreten – „Fuck Architecture“ etwa. Es ist so ungefähr das, was Dieter Bohlen für die Musik ist.

Die „Mall of Berlin“, wie Nikolaus Bernau treffend beobachtet, ist dagegen ein „architektonisches Nicht-Ereignis“. Sie beschränkt sich, von etwas Bling Bling abgesehen, auf eine Architektur, die, um möglichst viele Kunden an sich zu binden, niemandem wehtun will und gerade deshalb Schmerzen hervorruft. Insofern fügt sie sich nahtlos in das sie umgebende, vom ehemaligen Senatsbaudirektor der Stadt, Hans Stimmann, verordnete „urbane Stakkato“ (Der SPIEGEL) ein, das Berlin zwar „verdichtet“, aber mitnichten „urbaner“ gemacht hat. Und dessen staatstragende Tristesse – historisierende Steinfassaden und Architekturen von der Konfektionsstange – die Stadt nicht nur um die Chance gebracht hat, nach dem Mauerfall wirklich etwas Neues zu wagen, sondern ihr, wenn der Hype mal nachlässt, auch irgendwann zum Problem gereicht. Sie ruft jetzt schon bei vielen vom Berlin-Hype angelockten Besuchern Stirnrunzeln hervor – das also soll eine zukunftsgewandte Stadt sein?

Um sich greifender Einkaufszentren-Investoren-Stumpfsinn

Nach der Eröffnung des Alexa hatte es in Berlin eine intensive Debatte über den um sich greifenden Einkaufszentren-Investoren-Stumpfsinn gegeben und Harald Huth, Inhaber der in Berlin bereits mit mehreren Einkaufszentren vertretenen „High Gain House Investments GmbH“ (sic!), gelobte, sich mit seinem Shopping-Quartier vom üblichen Einheitsbrei der Branche abheben zu wollen. Davon ist nicht viel zu erkennen. Zwar ist „The Mall of Berlin“ Teil eines größeren, fast die gesamte Fläche zwischen Leipziger Platz, Voßstraße und Wilhelmstraße einnehmenden Neubaukomplexes, der auch über 250 Wohnungen sowie Büroflächen und ein Hotel umfasst. Anders als etwa im jüngst eröffneten Bikini Berlin am Zoologischen Garten, das im Übrigen auch architektonisch einen Lichtblick darstellt, dominieren im Einkaufszentrum selbst jedoch die gleichen Geschäfte wie in den meisten seiner Konkurrenten auch. Die Folge: Wer mit „Einzelhandelsvielfalt“ ein möglichst umfassendes Angebot nationaler und internationaler Filialunternehmen verbindet, kommt auf seine Kosten – wie hier in einem beinah realsatirischen Werbevideo klar erkennbar. Wer dagegen unter Vielfalt etwas anderes versteht, als das von Aldi bis Zara reichende Spektrum der üblichen Verdächtigen, tut es nicht.

Die unter PR-Gesichtspunkten clevere Anlehnung an die Tradition des legendären Warenhaus Wertheim Leipziger Straße entpuppt sich als hohles Versprechen. Mit dem nach Plänen von Alfred Messel gebauten Kaufhaus, das im frühen 20. Jahrhundert als eines der schönsten Deutschlands galt, hat das Projekt etwa so viel zu tun, wie Einsteins Relativitätstheorie mit der Behauptung, alles sei relativ. Die „taz“ bringt es auf den Punkt: Wo nun die Mall of Berlin steht, war einst das Wertheim. Mehr Gemeinsamkeiten gibt es nicht. Wogegen Messel Architekturgeschichte schrieb, ist „The Mall of Berlin“ ein weiteres Paradebeispiel für das Unvermögen und den Unwillen heutiger Immobilientwickler, an die bemerkenswerte Geschichte europäischer Geschäfts- und Warenhausarchitektur anzuknüpfen. Damit sei freilich nicht gesagt, dass sie alleine für die bereits seit Jahren beklagte Bauunkultur verantwortlich wären, die bundesweit Fußgängerzonen und Geschäftsstraßen überzieht. Verantwortung trägt auch die kommunale Politik, die, statt ihre gesamte Planungshoheit geltend zu machen, um auf mehr architektonische und städtebauliche Qualität hinzuwirken, seelenlose Belanglosig- und Scheußlichkeiten in Kauf nimmt oder sogar gutheißt.

„Urban-Lifestyle“-Huldigung statt Urbanität

Klaus Wowereit muss man zugutehalten, dass er zumindest im Fall des wahrlich dynamisch hässlichen Alexanderplatzes – er wird immer hässlicher – Position ergriffen hat. 2007 soll er beim Anblick des Alexa und des damals im Bau befindlichen Geschäftshauses Die neue Mitte“ voller Abscheu Ist das hässlich!“ geseufzt haben. Vorwerfen lassen muss er sich, nicht bereits vor Erteilung der Baugenehmigungen interveniert zu haben. Das Rote Rothaus und das Alexa trennen nur wenige Meter Fußweg, aber der Berichterstattung zufolge schien Berlins Regierender Bürgermeister von dem Resultat des von seinem Senat vorangetriebenen Umbaus des Dreh- und Angelpunkts im östlichen Berlin tatsächlich genuin überrascht gewesen zu sein.

Für „The Mall of Berlin“ fand Wowereit dagegen nur lobende Worte. Eh egal, könnte man meinen, handelt es sich beim Standort von „The Mall“ doch um eine Gegend, von der man sich gedanklich bereits vor Jahren verabschiedet hat. Verabschiedet in dem Wissen, dass sie einem Städtebau anheimfällt, der „urban Lifestyle“-Huldigung mit Urbanität verwechselt und dessen Architektur in der Regel zwischen „banal“ und „reaktionär“ changiert oder beide Attribute auf sich vereint. Nicht egal ist jedoch, dass der „Mall of Berlin“-Macher Harald Huth schon jetzt davon träumt zu expandieren. Weitere 50 Geschäfte auf 20.000 Quadratmetern seien am Leipziger Platz in Planung und wenn es nach dem „König der Shopping Center“ (Berliner Zeitung) geht, sollte am besten gleich das ganze Areal vom Potsdamer Platz bis zum Hackeschen Markt in ein „Shopping District“ umgewandelt werden. In den Dreißigerjahren sei man „vom Alexanderplatz bis zum Potsdamer Platz“ nur an Geschäften vorbeigelaufen, „das war wunderbar urban“ und Städte wie etwa London seien faszinierend, „wo ich vier Stunden durch die Stadt laufe und immer noch im Shopping-District bin“. Dass viele der Qualitäten, die er mit dem Berlin der Dreißigerjahre oder dem London der Gegenwart verbindet, auch damit zu tun haben, dass Berlin damals und London heute von Projekten wie seinen verschont geblieben sind, kommt ihm nicht in den Sinn.

Urbanität erschöpft sich nicht im Konsum

Schon heute machen Shopping-Center mit ihrem Branchenmix von der Stange über ein Viertel der gesamten Verkaufsfläche Berlins aus und damit ein Vielfaches mehr, als es zum Beispiel in London der Fall ist. Projekte in der Größenordnung von „The Mall“ suchte man dort im ganzen Stadtzentrum vergeblich, wenn man sie denn vermissen würde. Berlins „Mall-ification“ schreitet dagegen ungebremst voran. An die siebzig großflächige Einkaufszentren gibt es bereits und weitere werden folgen. Die Marktlage gibt es her. Für die Politik scheint diese Tatsache Grund genug zu sein, immer neue Vorhaben zu genehmigen. Aber zu welchem Preis? Projektentwickler und Investoren wie Harald Huth argumentieren, dass ein größeres Angebot perspektivisch mehr Kunden und somit auch mehr Einnahmen bedeuten würde. Ob diese Gleichung aufgeht, ist jedoch ungewiss und es darauf ankommen zu lassen, nicht ohne Risiko. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der Preis der von Huth mit zu verantwortenden Entwicklung paradoxerweise exakt jene städtischen Qualitäten sind, an denen er in seinen Interviews vorgibt, interessiert zu sein.

Urbanität erschöpft sich nicht im Konsum. Urbanität entsteht durch Mischung, Möglichkeiten der Aneignung, sowie kulturelle, räumliche und soziale Kollision. Zu diesen Eigenschaften städtischen Lebens wissen großflächige Einkaufszentren fast nie etwas beizutragen. Im Gegenteil: Sie nehmen ihnen nicht nur den Raum, sich zu entfalten, sondern verzerren und pervertieren sie. All dies ist hinlänglich bekannt – mit sozialwissenschaftlichen Studien, die zeigen, wie Städte von Einkaufszentren geschädigt werden, ließen sich ganze Bibliotheken füllen. Diese Studien stellen nicht in Abrede, dass Einkaufszentren punktuell wirtschaftliche Impulse zu setzen vermögen, aber zeigen auf, dass die umsichgreifende Monotonie standardisierter Konsum- und Erlebniswelten Städte zunehmend ihrer Besonderheiten – und damit mittel- und langfristig auch möglicher Standortvorteile – beraubt. Und sie verdeutlichen, dass die fortschreitende Transformation städtischer Räume in pseudo-öffentliche Konsumlandschaften keinem Naturgesetz folgt und deshalb auch nicht unumgänglich ist. Um es mit Dante auszudrücken: Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt sie kräftig an und handelt!

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.