von Peter Glaser, 16.7.10
Als ich mal von Griechenland zurück in den Norden fuhr, setzte ich erst mit dem Schiff nach Italien über und fuhr dann von Brindisi ganz unten am Stiefel mit der Bahn weiter. Abgesehen davon, dass in meinem Rucksack eine Flasche Retsina auslief und auf einen unter dem Gepäcknetz sitzenden Karabinieri pladderte, war es eine wunderbare Fahrt.
All das viele Italienisch, das rund um mich gesprochen wurde, war wie Musik. Ich verstand nichts, und aus dem Unverständnis erhob sich das wohltuende Gefühl, die Menschen hätten sich hier, ähnlich wie in der Oper, lauter klangvolle Dinge zu sagen.
Ehe das Internet über uns hergefallen ist, war es ein bisschen wie auf dieser Reise. Zwar hatten sich zuvor schon immer mehr Maschinen zwischen die naturbelassen miteinander kommunizierenden Menschen gedrängt: Fernseher, Telefone, Fernkopierer, aber noch vermochte der Mensch sein Selbstgefühl in der Textstille von Büchern und der Unmittelbarkeit von Gesprächen zu finden. Mit dem Internet und der Mobilkommunikation wurde eine Quasselversion der Büchse der Pandora geöffnet.
“Wenn Fotohandys und Webseiten in Real- und Jetztzeit alles dokumentieren, wird all dies immer belangloser”, sagt etwa die Erziehungswissenschaftlerin Astrid von Friesen. Sie sieht eine Wechselwirkung zwischen dem “logorrhoischen Verhalten in den Medien” und den Kommunikationsmustern vieler Menschen, die sich davon beeinflussen lassen; sie sieht Entwicklungsstörungen bei Kindern, verstörte Männer (da Frauen mehr reden), und Frauen, die in diesem Redefluss sich und die anderen verlieren.
Aber es ist ein großer Fortschritt, dass so viel geredet – und geschrieben und gelesen – wird. Der Fortschritt besteht darin, dass soziale Schranken aufgehoben werden.
Das war schon bei Verbreitung des Radios so. Anfang 1920 gab es in den USA eine Handvoll Radiostationen. Zwei Jahre später, nachdem “drahtlose Konzerte” das neue Medium populär gemacht hatten, waren es bereits an die 600. Das Radio überschritt Grenzen – geografische, ethnische, soziale. Es brachte Menschen in Kontakt mit Orten, Klängen und Lebensgefühlen, die sie sonst nie kennengelernt hätten.
Heute findet diese Vermischung der Lebenswelten viel eingehender statt. Das proletarisch Ungehemmte an manchem öffentlich geführten Mobiltelefonat mag am Anstandsempfinden bürgerlicher Gemüter rühren, aber es begegnen sich dabei die Milieus in einer Detailtiefe, die man zuvor gern vermieden hat.
Im Netz spielen herkömmliche Signale der direkten Kommunikation wie Aussehen, Mimik oder Status keine Rolle mehr. Es gibt so etwas wie einen Augenblick der Gleichheit und Gemeinsamkeit. Die Unterschiede werden etwa über Sprachgebrauch und Interessen ermittelt. Aber die Kommunikationsmaschinen bringen uns einander näher.
Peter Glaser bloggt auf Glaserei. Crosspost mit freundlicher Genehmigung.